Festival

Sie verlangte Sex mit Käfern

Porno in gut? Das erste Pornfilm-Festival in Berlin wollte vieles anders machen. Ein Bericht aus der Grenzregion zwischen Kunst und Kopulation.

Von Fabian Dietrich

„So, what’s your definition of Porn?“ Das ist die Killerfrage, die zwei fröhliche Moderatorinnen ins Dämmerlicht des kleinen Kinosaales schleudern. Es folgt Schweigen. Vor wenigen Minuten durfte das Publikum des Amateurfilm-Wettbewerbes Cum 2 Cut noch brüllend lachen. Ein mit Tomatenketchup besudelter Nackter lief da plärrend unter dem Berliner Fernsehturm herum, ein Hitler ließ sich von einer Helga dominieren und ein falscher Statist des Porno-Klassikers Deep Throat plauderte aus dem Nähkästchen. Jetzt haben die Anwesenden die Pistole auf der Brust. Alle wissen: Theoriealarm. Gleich wird hier mit schweren Begriffen jongliert.

Irgendwann meldet sich ein Mann aus dem Publikum. „Ich muss gestehen, ich habe eine Menge Pornos aus dem Internet heruntergeladen, und meine Arbeitskollegen auch“, sagt er. „Aber da ging es irgendwie mehr zur Sache als hier.“ Der Fehler im Bild war die vollständige Abwesenheit des erigierten Penis. Keiner der eben gezeigten Kurzfilme hat sich explizit mit sexuellen Akten beschäftigt, es ging stattdessen um Ästhetik und Humor. Die vor der Leinwand aufgereihten Filmemacher haben nun das Wort. Bitteschön, was ist Porno? Etwa Kunst? Freiheit? Leidenschaft? Macht? Oder feine Wichsvorlagen? Das Fazit ist ernüchternd, keiner aus der Runde kann erklären, wo die Grenzen des Grenzenlosen beginnen.

Jemand, der da helfen kann, ist Jürgen Brüning , ein Mann, der bunte Hemden und Mützen trägt und sich als Filmemacher ( West Fickt Ost ) einen Namen in der schwulen Szene gemacht hat. Er ist der Initiator des ersten Porn-Filmfestivals in Berlin . „Mir war wichtig“, sagt er, „dass der Inhalt dieses Festivals ganz, ganz breit gestreut ist. Für mich ist Pornografie nicht nur Darstellung von expliziten Sexakten, sondern auch Intimität, persönliche Beziehung und so weiter. Es muss nicht komplett Kunst sein“, erklärt Jürgen Brüning, „ich habe ja auch Hardcore ausgewählt, aber in einem Film mussten für mich immer ein, zwei Sachen sein, wo ich mir sagen konnte: Die haben einen anderen Ansatz von der Form und von der Machart her.“

Das Programm bietet Filme für Schwule, Filme für Lesben und Filme für den Rest. Es gibt Filme mit Frauen, die aussehen wie Männer, und Filme mit Männern, die aussehen wie Frauen. Das verwirrt. Kann es so etwas wie einheitliche Bewertungskriterien und Definitionen überhaupt geben? „Ein guter Porno“, sagt Jürgen Brüning, „schafft es, eine Illusion zu vermitteln. Das, was da auf der Leinwand gezeigt wird, muss den Leuten Spaß machen und sie erregen. Es ist alles Fassade, genauso wie in anderen Filmen auch alles Fake ist. Es wird immer eine Realität vorgespielt, und das Beste ist, wenn der Zuschauer sich darauf einlassen kann und am Ende eine Fiktion annimmt.“

Jürgen Brüning sagt, er habe sich bemüht, das Thema Porno aus der Schmuddelecke zu holen. Es gibt Anzeichen dafür, dass das geglückt ist. Die Plakate werben in grellen Farben, mit poppiger Schrift und drolligen Aufblaspuppen im Comicstil – nicht mit nackten Körpern. Das Publikum besteht meist aus jüngeren Menschen. Viele sind schwul, viele sind lesbisch, viele kommen aus dem Ausland, viele tragen Brillen. Der klassische Kino-Onanist ist, soweit sich das ermitteln lässt, eine seltene Erscheinung in den Sälen der Kant-Kinos. Der Mainstream trifft sich sowieso gerade auf der Erotik-Messe Venus , die zeitgleich in Berlin stattfindet.

Der Versuch, alles besser zu machen, geht in der Praxis auch mal daneben. Das beste Beispiel ist das Genre Handlungsporno, das neuerdings durch den Skandalfilm Shortbus in die Schlagzeilen geraten ist. Der auf dem Festival gezeigte Film Kill Thrill war auch so einer, der ein ganzer Spielfilm sein wollte. Ein Serienmörder liest onanierende Tramperinnen auf der Straße auf und wird dann von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. In Minute 15 stellt die Tramperin plötzlich Ansprüche: „Now YOU have to make ME happy!“ Also: Oben, unten, hinten, vorne, noch mal oben und dann – wusch – ins Gesicht. Vom klassischen Schema wich Kill Thrill kein Stück ab. Gruselig.

Dafür wurde ein bahnbrechendes neues Genre geboren: Kakerlaken-Porno. Der Film Gokiburi Wa ku Unna von Yuuji Kitano ist wohl das, was Jürgen Brüning „etwas seltsam“ nennt. Regisseur Kitano gab zu Beginn der Vorstellung nur eine knappe Erklärung ab: „Bitte verstehen Sie, dass wir es hier mit einer Komödie zu tun haben.“ Sein Film handelt von einer jungen Frau, in deren Leben sich Kakerlaken auf mysteriöse Art und Weise mit tollem Sex verbinden.

Sie verspeist die Tiere, wälzt sich in ihnen, brät sie in der Pfanne und mixt grünliche Cocktails. Der Höhepunkt des Films ist erreicht, als sie sich mit einem Mund voll lebender und toter Kakerlaken daran macht, einen vor Lust und Abscheu schreienden dicken Mann in Unterhose zu fellationieren. Warum er diesen Film gedreht habe, wird der Regisseur abschließend von Jürgen Brüning gefragt. Kitano antwortet überraschend: „Dieses Mädchen ist schlicht und ergreifend mit dem Wunsch an mich herangetreten, Sex mit Käfern zu haben.“ In Japan ist es übrigens streng verboten, Geschlechtsteile zu zeigen. Die Darsteller tragen deshalb entweder Unterhosen oder kleine Pixel-Wolken im Lendenbereich, aus denen in fortgeschrittenen Szenen dann weiße Flüssigkeit flutscht. Denn Sperma geht in Japan voll in Ordnung.

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43 / 2006
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