Wissen

Ordnung soll sein

Schluss mit der Anarchie! Citizendium will die bessere Wikipedia werden. Dafür bedient sich Gründer Larry Sanger eines Kniffs, der für Diskussionen sorgt

Jacob Vicari

Larry Sanger Republik existiert noch nicht. Es gibt noch nicht mal eine Verfassung. Und doch nimmt er schon Bewerbungen für Polizistenstellen entgegen. Mindestens 25 soll man sein und einen Universitätsabschluß haben. Wer angenommen wird, ist "Schutzmann" und damit für das Merkmal zuständig, das das Wissensportal Citizendium irgendwann einmal von Wikipedia unterscheiden soll: Qualität.

Larry Sanger ist Chefredakteur, Gründer und Motor des Projektes. Er möchte der Anarchie der Wikipedia, dem Gestrüpp aus Diskussionen und unzähligen Versionen ein System geprüften Wissens gegenüberstellen. Experten und Moderatoren, sogenannte "Constables" sollen Beiträge prüfen und, wenn unwahr, löschen. Was bei Citizendium an Hierarchien hinzukommt, soll an Organisation vereinfacht werden. Das Portal soll an Google erinnern, ohne viele optische und technische Sonderfunktionen.

Das Projekt Citizendium hat schon vor seinem Start für Diskussionen gesorgt. Denn Sanger nimmt das komplette Wikipedia-Wissen mit, also mehr als 1,4 Millionen englischsprachige Artikel. Die Gemeinschaft, die die Artikel geschrieben hat, lässt er zurück. Sanger sieht sich im Recht, schließlich wird auch Citizendium unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlichen. Auch die Bearbeitungsmöglichkeiten von Artikeln und Diskussionen werden Wikipedia ähneln, denn das Projekt baut auf dieselbe Software: MediaWiki. Wikipedianern soll es leicht gemacht werden, aus dem Wiki-Dschungel in die geordnete Welt zu wechseln. "Es ist nichts ungewöhnliches für neue Enzyklopädien, auf Grundlage einer Bestehenden zu beginnen," schreibt Sanger im E-Mail-Interview.

Noch aus einem anderen Grund fühlt sich Sanger berechtigt, bei Wikipedia zu wildern: Er hat es mitbegründet. Zusammen mit Jimmy Wales gründete er im März 2000 Nupedia , eine kostenlose Enzyklopädie mit peer-review Verfahren. Jeder konnte dort verfasste Beiträge verbessern, aber erst nachdem Experten die Änderungen überprüft hatten, gingen sie online. Manchmal dauerte es Wochen, bis Beiträge im Netz standen. Wikipedia, ursprünglich nur ein Nebenprodukt, war erfolgreicher. Hier konnte jeder direkt publizieren.

Doch trotz des Erfolgs: Wie Wikipedia sah Sanger Traum nie aus. Mit der Anarchie der Enzyklopädie konnte er sich nie anfreunden, selbst nachdem auf seine Initiative hin Administratoren eingeführt wurden. Im Jahr 2002 verließ er das Projekt, im Zwist mit Wales. "In Wikipedia herscht Anarchie, der Mob, Demokratie und Diktatur," schreibt er. "Citizendium dagegen soll eine Republik werden." Demokratische Vorrichtungen gibt es bisher aber nicht. Sanger macht keinen Hehl daraus, dass er die Elite will, als Leser wie als Macher. Einmal im Monat sollen sich die Editoren in den USA treffen. Unbezahlt. Wer da mitmacht? "Wissenschaftler," sagt Sanger. Er glaubt, dass ihnen bisher der Kanal fehle. Und Viele von ihrer Arbeit bei Wikipedia frustriert sind, wo auch Fachwissen anonymen Bearbeitern zum Opfer fallen kann.

Viele Fragen bleiben offen: "Wer", fragt der Blogger Clay Shirky, "ist Experte für Politik im Mittleren Osten? Israelis? Palästinenser?" Und: Wenn das Portal einen Wissenschaftssschwerpunkt entwickelt, wer schreibt dann über die Simpsons? Wird es ankommen, dass anonyme Bearbeitung nicht mehr möglich ist?

Dennoch sorgt das Projekt in der Wikipedia für Stirnrunzeln. Nach außen gibt man sich unbesorgt. Das Projekt sei schon vor seinem Start gescheitert. Zwischen den Zeilen der Diskussionen aber ist Unruhe auszumachen. Ein Teil der Community diskutierte sogar eine Löschung des "Citizendiums"-Beitrags. Es herrscht die Sorge, dass eigene Mitstreiter die Seiten wechseln könnten.

Sanger amüsieren diese Diskussionen. "Vielleicht kann man Wikipedia zukünftig besser für Artikel über Sex-Positionen mit Illustrationen nutzen" höhnte er kürzlich. Schon bald will er Wikipedia vom Thron stoßen.

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32 / 2006
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