Partytourismus

Barcelona X

Ich habe an drei Tagen zwei mal den Flug verpasst. Und Dinge gesehen, die ich nie wieder sehen will. Ab jetzt nur noch Erholungsreisen

Von Ador Pazzo

Gegen Ende des Sommers folge ich meinem besten Freund Karl nach Barcelona. Wir planen ein Party-Wochenende um uns den Beginn des Semesters zu versüßen. Leicht und exzessiv soll es werden. Doch was ich sehe und erlebe, wird mich traurig machen. Nach diesem Wochenende werde ich mich entschließen, nur noch nützliche Reisen zu machen, zum Arbeiten beispielsweise, oder zur Erholung. Ich beschließe: "Ab jetzt lebe ich sinnvoll.

Karl fliegt einen Tag eher als ich, denn ich muss arbeiten. Am Morgen meines Abflugs weckt mich mein eigener Schrei. Ich habe zu tief geschlafen und die Wecker nicht gehört. Als ich zwei Stunden zu spät in Schönefeld ankomme, bleibt mir nichts anderes übrig, als zähneknirschend meinen Flug um einen Tag zu verschieben und die Zeit so gut es geht zu nutzen. Die Nacht verbringe ich mit Freunden in den Clubs von Berlin: im LoveLite, im Weekend, und zu letzt wie immer im Café Burger. Es wird bereits hell, als ich nach Hause komme. Schnell packe ich meinen Kram und gehe wieder los.

Als ich in Barcelona ankomme, regnet es. Das Wetter ist herbstlich aber warm. Ein Taxi bringt mich hinauf nach Tibidabo. Im ersten Stock sehe ich Karl. Er steht ohne T-Shirt am Fenster und raucht. Die Wohnung gehört Albertos Freundin Sabrina. Der Fernseher läuft. Auf dem Tisch liegen einige Beutel Kokain und MDMA, ein klumpiges Pulver mit der Farbe von Meersalz.

Wir hängen ein bisschen rum, zu reden gibt es nicht viel, und um elf machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Alberto rast mit seinem Seat bergab, immer eine Hand auf der Hupe. Wir gehen in ein Fischlokal neben der Markthalle in La Ribera. Es ist eine ungewöhnliche Mischung aus einer Hafen-Kantine und einem Yuppieladen. Wir setzten uns an einen der Holztische.

Nach dem Essen verschwinden Sabrina und Karl auf die Toilette. Nach fünf Minuten folgen Alberto und ich. Karl hat den Spiegel von der Wand genommen und hält ihn nun wie ein Tablett. Sabrina hat Lines ausgelegt und jeder von uns zieht sich eine Nase. Dann löst Alberto das MDMA in einer Flasche Wasser auf. Wir trinken es schluckweise. "Die Wirkung kommt spät", sagt Alberto, "aber sie kommt sicher."

Wir nehmen ein Taxi zur Disko. Sie liegt in einem Innenhof, an einem Berg über der Stadt. Unter den Clubs von Barcelona ist dies der Freizeitpark: teuer, durchgestylt und mit Vergnügungsgarantie. Langsam steigen die Drogen im Körper auf, doch ich bin misstrauisch. Schauer laufen mir über den Rücken. Unsere Gespräche werden launischer. Die Brustwarzen stellen sich auf und kalter Schweiß bildet sich unter den Achseln. Ich kann fühlen, wie der Beat nach mir ruft.

"Ihr seid meine Brüder, oder?" fragt Alberto mit seinem verwaschenen katalanischen Akzent. Er beugt sich herüber. Sein Blick gleitet durch mich durch. Wir umarmen uns und Alberto küsst mich auf den Hals. Dann schieben wir uns durch die Menge. Wir tanzen und die Hormone beginnen auch zu tanzen. Um uns herum schwitzt die Crowd von Barcelona. Auf einer Bühne läuft eine gut designte Gogo-Show. Das Kribbeln hat hier viele Gründe. Nur Sabrina bleibt etwas abseits, schweigt. "Do you like it?" frage ich sie. Sie nickt, und ich wundere mich, warum sie so traurig schaut.

Die Party endet jäh. Um vier gehen die Lichter an, Sperrstunde. "Afterhour!". Alberto hat noch nicht genug. Er setzt sich durch und wir nehmen die Bahn stadtauswärts. Die Waggons sind voller Jugendlicher. Ein bleierner Haufen Club-Kids mit leeren, beinah toten Blicken, ausgelaugt, verbraucht und apathisch. Sie machen mir Angst, traurige Reste der künstlichen Ekstase.

An den Fenstern kondensiert der Schweiß. Über den Feldern vor der Stadt geht die Sonne auf. Zwei alte Herrschaften blicken gefasst zu Boden. Sie beschweren sich nicht, dass ihnen niemand einen Platz anbietet. Auch wir stehen, und ich folge dem Blick der alten Dame. "Siehst du das?" Karl ist genauso erschrocken wie ich. Ich nicke stumm. Warum bringt eine Gesellschaft solch eine Jugend hervor?, denke ich. Sie sieht krank aus, entfremdet, total überzogen. Bleich, verschwitzt und allein.

In einem Industriegebiet steigen wir aus und beginnen zu laufen. In der Ferne landen die Flugzeuge. Es ist bereits hell. Die Sonne fordert uns heraus, aber wir, und alle, die mit uns laufen, ignorieren sie.

Der Club ist eine moderne Lagerhalle mit einer langen Schlange davor. Der übertriebene Eintrittspreis eröffnet uns den Vorhof zur Hölle. Der Saal ist voll mit halbnackten Menschen. Durch Ritzen im Dach kann man das Tageslicht sehen.

Auf einer Bühne in der Mitte tanzt ein Punker auf High-Heels. Seine stereotypen Diskobewegungen wirken gelangweilt und abgegriffen. Neben ihm biegt sich eine dunkelhäutige Nixe. Sie hat sich mit Klebestreifen einen metallischen Umhang vor ihren winzigen Busen geklebt. Hier ist jeder auf Drogen. Ein Saal voller Zombies; der kranke Rest, der nicht genug bekommt, nie genug bekommt. Die Musik tötet die letzten Gedanken und hämmert direkt ins Gehirn. "Do you like it?" fragt Sabrina. "Yes, yes", sage ich. "It’s okay."

Ich will nach Hause. Noch fühle ich mich unverdorben und will es auch bleiben. Ich spüre Angst. Angst, dass die Welt wirklich so ist. Die Müdigkeit von zwei durchtanzten Nächten legt sich auf mich. Alberto beugt und schüttelt seinen Körper zur Musik. Er verdreht die Augen und ist kaum noch ansprechbar. Sabrina hat sich einen ruhigen Platz gesucht und die Schuhe ausgezogen. Ich will mit ihr reden, aber sie versteht mich nicht. Es drängt mich weg und ich beginne den Rückweg zu organisieren. Um elf Uhr stehen wir schließlich im Tageslicht, das uns blendet und stören will. Noch auf dem Bahnsteig schläft Alberto ein.

Erst am späten Abend finden wir langsam zurück. Karl und ich sitzen am Strand in Barceloneta. Wir reden. Welle für Welle kommt aus dem Mittelmeer heran und bricht über dem künstlich aufgeschütteten Sand. Wir fühlen uns leer, sind erschrocken über uns. Die Erinnerung an die Nacht setzt sich aus Bildern und chemisch erzeugten Emotionen zusammen. Das Meer tut uns gut. Das Rauschen und der Wind geben uns zurück, was wir verloren haben, den Bezug zur Realität. Später treffen wir Alberto und Sabrina auf der Plaza del Sol um etwas zu essen. Die Nacht hat uns entfremdet. Schweigend starren wir auf den Platz. Ein paar Jugendliche spielen Gitarre und trinken Bier. Es gibt nichts, was wir mit ihnen teilen wollen.

Mein Flug geht am nächsten Morgen in Girona. Ich habe mir die U-Bahn-Verbindung eingeprägt, den Stadtplan studiert und auch die Fahrkarte schon besorgt. Mein innerer Wecker und mein Handy sind gestellt. Ich bin froh zu gehen und will es diesmal nicht verbocken.

Um viertel vor sieben verlasse ich das Haus und steige in die U-Bahn. Ich habe Zeit und fühle mich erleichtert. Als ich am Bahnhof ankomme, sehe ich keinen Bus. Ich bin an der falschen Station, am falschen Ende der Stadt. Um halb elf erreiche ich endlich den Flughafen. Das ist zehn Minuten zu spät für den Ryanair-Check-In. Der Terminal sieht aus wie ein mexikanischer Busbahnhof. Drogen lassen das Gesicht altern, denke ich, ohne in den Spiegel zu schauen. Wahrscheinlich altern auch die Seelen. Erst um Mitternacht lande ich in Hahn. Die Temperatur auf dem Rollfeld liegt im einstelligen Bereich. Ich friere und merke, dass ich krank werde.

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42 / 2006
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