Liebestourismus
Der Alpha-Albaner
"You want to come with me in my car?" Zwischen Sexaffäre und Ehe gab es nichts für ihn. Toll fand ich ihn trotzdem - bis ich ihn wiedertraf.
Sein Name sei Arsen. Wie der berühmte albanische Bankräuber, sagte er und setzte sich neben mich. Ich grinste. Ob ich den nicht kenne? Ja, ob ich Arsen, den begnadetsten Bankräuber aller Zeiten nicht kenne? Aber Albanien ist nicht Amerika und Arsen nicht Al Capone. Wie wenig die Welt von ihnen weiß, ist vielen Albanern nicht klar, und vielleicht zum Glück. Dabei passt der Räuber durchaus ins Albanienklischee, assoziieren doch die meisten mit diesem Land nichts als Drogen, Mafia und bestenfalls Blutrache.
"You want to come with me in my car?", fragte er, nach dem Niedergang der Sonne und unserer Konversation, im Strandcafé, an der albanischen Adriaküste, wo ich letzten Sommer im Urlaub war. Ich verneinte. Nach zwei Stunden fragte er wieder. Und wieder nach drei, nach fünf, nach zwanzig. Nach dreißig Stunden, die wir gemeinsam mit Schwimmen und Schweigen, mit Raki und Souflaki verbrachten, schüttelte ich den Kopf, was in Albanien die Geste für Ja ist.
Wir fuhren in seinem Mercedes den einsamen Strand entlang. Arsen parkte dicht am Wasser, ließ den Motor an. Ich wollte aussteigen, ans Meer, er aber hielt mich zurück. Dass es nichts Unromantischeres gäbe, als im Auto zu sitzen, sagte ich. Es sei warm, wir könnten draußen sein, die Körper im Sand, die Füße im Wasser und über uns die Sterne. Dass es nichts Romantischeres gäbe, als im Auto zu sitzen, erwiderte er. Die Körper in den ledernen Polstern, die Füße auf dem Armaturenbrett und vor uns der Mercedesstern. "My second home", sagte er. "My first home", korrigierte er nach einigem Schweigen. Das war nachvollziehbar, wohnte er doch noch bei seinen Eltern, ohne eigene Privatssphäre.
Er beugte sich über mich, griff ins Handschuhfach. Zog eine glänzende Mappe hervor und begann, mir seine Fahrzeugpapiere zu zeigen. Jeden Wisch kommentierte er einzeln. Liebevoll strich er drüber. Mit Samthänden glättete er ein Eselsohr. Nach 10 Minuten war er fertig. Ich atmete auf. Doch dann begann er, mir auch die abgelaufenen Papiere zu zeigen, die mit den ersteren bis auf das Datum identisch waren. Dass in Albanien während der Diktatur Enver Hoxhas bis 1990 Privatautos verboten waren und deshalb heute heilig sind, hatte ich gehört. Im Radio kam ein Lied von George Michael. Arsen wechselte den Sender. Warum? "He’s gay", sagte er.
Erst als ich wieder im Bus saß, nach vier Tagen albanischer Adria, ging mir auf, dass ich mich ein wenig in ihn verguckt hatte. In sein Ganovenlächeln. In die Art, wie er mit der Zunge schnalzte und dabei das Kinn nach oben riss, was in Albanien die Geste für Nein ist. In seine Fahrzeugpapiere, auch die abgelaufenen. Arsen war nicht irgendein Albaner: Er war der Bilderbuchalbaner, der Alpha-Albaner, der albanische Archetyp, der Macho, der Sonnyboy, der Gangster in einer Person. Er war der "Orientale", vor dem mich meine Mutter immer gewarnt hatte. Und was wollte er von mir? Faszinierte ihn die Farbe meiner Augen, oder die meines Passes?
Wir schrieben uns Briefe, die nicht ankamen, Mails, SMS, ein paar Mal rief ich ihn an. Wir kommunizierten stets aneinander vorbei. Ich schrieb ihm über die Wahlen in Deutschland: "We have a female chancellor now. Would you like to have a female chancellor in Albania?" Er antwortete: "Baby, since I know you I can’t sleep or eat anymore". Im Frühjahr entschloss ich mich, im Sommer wieder durch Albanien zu reisen, und fragte ihn, wann und wo wir uns treffen wollten. Er aber ließ sich nicht festnageln, das war nicht seine Art, Konkretisierungen liebte er nicht. Er liebte das Pathos, das Ganze, die Emphase: "Sweety, come, please. I’m waiting every minute!" Irgendwann nannte ich ihm Datum und Treffpunkt und er willigte ein.
Ich erkannte ihn nur an seinem Auto wieder, an dem er teilnahmslos lehnte. Er schien um Jahre gealtert. Er hatte tiefe Augenringe, war blass und leicht ergraut. Dass er, seit er mich kannte, nicht mehr geschlafen hatte, glaubte ich ihm glatt – nicht aber, dass er nichts mehr gegessen hatte: Er war doppelt so breit wie vor einem Jahr. Aber auch sonst war alles anders. Aus dem Studenten der Ökonomie war ein Bürokrat der albanischen Polizei geworden. Statt auf Mercedes schwor er jetzt auf BMW – auch wenn er noch keinen besaß. Und sein Knabenzimmer war einer eigenen Wohnung gewichen: vier Zimmer, drei Balkone, zwei Bäder, keine Küche.
Vor allem aber war er noch phlegmatischer als zuvor. Das Meer, die Berge, die Hauptstadt, die Menschen, alles ödete ihn an. Girls, bars, TV und cars – das waren die einzig verbliebenen Lockspeisen seines Lebens. Per Handy zeigte er mir seine Mädels. Jedes Foto kommentierte er einzeln: "school girl" oder "top model". Viele seien in ihn verliebt, aber er nicht in sie. Er nagle sie nur. Und auch nur im Auto. "I am here", sagte er und hielt die Hand auf Brusthöhe. "They are there", sagte er und senkte die Hand um einen halben Meter.
Mit mir sei das was anderes, sagte er. Und begann unser erstes richtiges Gespräch. Das hatte den Charme eines polizeidienstlichen Verhörs und dauerte einige Stunden. Ob ich mich für ihn entschieden hätte. Ob wir zu ihm oder zu mir gingen, fragte er, und meinte nicht die nächste Nacht, sondern die nächsten Jahre. Dass er mich nicht wirklich liebe, sagte er, ich in all meinen Merkmalen aber die ideale Frau für ihn sei. Dass ich gekommen war, um ihn erst einmal besser kennen zu lernen, sagte ich. Dass er der Alpha-Albaner war, dass ich die Sextouristin war, sagte ich nicht.
Er verstand nicht. Hand in Hand, übern Strand, aber nicht aufs Standesamt? Zwischen Ehe und Sexaffäre gab es für ihn nichts. Die ganze Grauzone, die lockere Liaison, die geregelte Romanze, die feste Beziehung waren ihm fremd. Als er begriff, dass ich keinerlei Konkretisierungen wollte, wusste er nichts mehr mit mir anzufangen. Er verstand meinen Besuch, meine ganze Existenz nicht mehr, hatte keine Kategorie für mich. Und eröffnete mir noch am selben Abend, dass er für ein paar Tage wegfahren müsse. Ich könne auf ihn warten oder fahren, ihm sei es gleich. Zum Abschied hob er die Hand.
Ich blieb noch über Nacht in seiner Wohnung, ein Bus fuhr erst am nächsten Morgen. Einschlafen konnte ich nicht. Ich tastete nach seinem Nachttisch, grübelnd, was dort drin sei. Koks. Colts. Slips. Gold… Ich riss alle Schubläden heraus. Aber das einzige, was ich fand, waren Briefe an mich, halb fertige, nie abgeschickte. "My dear German girl…" Leicht gerührt schlief ich ein. Ernüchtert erwachte ich. "Bye, A. Capone! Everybody stays alone", schrieb ich auf einen Zettel und ging.
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36 /
2006
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