FILM

"Krieg vorbei, Festival noch da"

Während des Bürgerkrieges hat Mirsad Purivatra vielen Menschen geholfen, in der belagerten Stadt Sarajevo zu überleben: Mit eingeschmuggelten Filmen. Aus seinem Kellerkino ist heute ein Festival geworden, das Cannes und Locarno Konkurrenz macht

Von Mareike Engels

Es ist die Mischung aus türkischem und habsburgischem Flair, die den Charme Sarajevos ausmacht. Aus allen Winkeln der Stadt rufen Muezzine die gläubigen Muslime zum Gebet. Wenige Schritte von der prächtigen Gazi-Husrev-Begova Moschee entfernt steht eine katholische Kathedrale, daneben eine orthodoxe Kirche. Abends flaniert ganz Sarajevo herausgeputzt vom österreichischen Teil der Innenstadt in den türkischen – und wieder zurück.

Zwischendurch halten die Menschen in einem der vielen Cafés, diskutieren, lachen oder verfolgen das Treiben. Ich stelle mich dazu, trinke ein Glas frische Limonade oder ein „Sarajevsko Pivo“. In den letzten Wochen ist eine Veränderung im Gang: Überall tauchen rote Plakate auf. Immer mehr Touristen und ausländische Gäste beleben die Stadt noch stärker, als sie es sowieso schon ist: Das „Sarajevo Film Festival“ steht bevor.

An einem dieser Abende lerne ich Adnan in einem Café in der Fußgängerzone kennen. Er freut sich schon auf die Festivalwoche. „Ich liebe es, ins Kino zu gehen und finde es schön, regionale Filme auf dem Festival zu sehen! Was ich aber noch wichtiger finde: Dass so viele Leute nach Sarajevo kommen und dass auch wir etwas Besonderes zu präsentieren haben.“ Er redet, als hätte er persönlich das Festival ins Leben gerufen. Dabei war der Student damals noch ein Kind.

Es war Krieg und nicht er, sondern Mirsad Purivatra hat das Filmfest initiiert. 2006 ist er immer noch Leiter. Auf dem Weg zu seinem Büro gehe ich durch ein hektisches Durcheinander. Mehr als 20 Leute arbeiten in einem Raum. Dagegen wirkt Mirsads Zimmer geräumig und ordentlich. Freundlich empfängt er mich und stellt sich mit seinem Spitznamen Miro vor. Er bietet mir scherzhaft ein Glas Wein an, denn einige Kisten aus Slowenien sind gerade für das Festival eingetroffen. Dann macht er es sich scheinbar in seinem Sessel bequem - aber nur, um bei jeder Frage erneut enthusiastisch hoch zu schnellen und sich anschließend wieder sinken zu lassen.

Er erzählt mir von der Gründungsphase des Festivals: „Den Krieg zu überleben, war nicht nur physisch, sondern auch psychisch schwer. Gerade für Kulturschaffende. Sarajevo war vier Jahre lang isoliert. Es war eine harte Zeit ohne Dinge, die zum Überleben notwendig sind: Kultur, Bücher, Kommunikation.“

Das ging von 1992 bis 1995 so. Sarajevo wurde in dieser Zeit von serbischen Bosniern belagert, die mit Granaten die Stadt beschossen. Scharfschützen zielten von den umliegenden Bergen aus auf die Menschen. Nach dem Willen der Belagerer sollte das multiethnische Sarajevo serbisch werden.

Die Muslime, Katholiken und Orthodoxen in der Stadt, die sich der Logik des „Kampfes der Kulturen“ nicht unterwerfen wollten, konnten den Belagerern nur kulturellen Protest entgegensetzen. Einige Bewohner, unter ihnen Mirsad, zeigten ab 1993 in einem Keller Filme, die von den Festivals in Locarno und Edinburgh eingeschmuggelt worden waren. Noch während des Krieges, im Oktober 1995, fand das erste „Sarajevo Film Festival“ statt. Fünfzehntausend Besucher kamen, und das Festival wurde ein Symbol des Widerstands. Kurz danach wurde der Friedensvertrag von Dayton unterschrieben. In den Jahren darauf etablierte die Stadt das Filmfest.

Jetzt feiern alle – unter freiem Himmel, ohne Angst vor Scharfschützen und Granaten. Für die Einwohner Sarajevos bedeutet das Frieden. „Das Festival ist sehr wichtig für Sarajevo. Der Krieg sollte Bosniens Kultur zerstören, das Festival wollte ein Zeichen dagegen setzen. Jetzt sieht man: Der Krieg ist vorbei und das Festival gibt es immer noch!“, formuliert Esmeralda Abdijevic die Bedeutung der Veranstaltung. Sie arbeitet im Nationaltheater in Sarajevo , dem Hauptveranstaltungsort des Festivals.

Mirsad freut sich: „Unser Festival erlangt von Jahr für Jahr mehr Anerkennung!“. Mittlerweile wird es zur Konkurrenz für Cannes , Venedig , Berlin und Locarno. Durch den Fokus auf regionale Filme spezialisiert es sich aber auch: Im Wettbewerbsprogramm laufen ausschließlich Filme aus Südosteuropa.

„Wir wollen nicht nur eine gute Show organisieren, sondern auch eine Art Motor für die Filmszene sein,“ sagt Mirsad. So wurde vor einigen Jahren CineLink gegründet. Junge Filmemacher aus der Region können ihre Drehbücher einreichen; die Besten werden auf dem Festival präsentiert. Dadurch kommt der Nachwuchs in Kontakt mit Produzenten und potenziellen Partnern für künftige Filmprojekte. Acht Filme sind auf diese Art bereits entstanden oder entstehen gerade.

Der bosnische Nachkriegsfilm kann sich international sehen lassen. „No man`s Land“ von Danis Tanović gewann viele Preise, 2002 sogar den Oscar für den besten ausländischen Film. Jasmila Žbanić, die Jury-Präsidentin Filmfestivals, wurde dieses Jahr mit dem Goldenen Bären für ihren Film „Grbavica“ ausgezeichnet.

Doch besonders für die Menschen in Sarajevo bedeutet das Festival viel. Fast jeder kennt die Gewinner der vergangenen Jahre, die es an zahlreichen Ständen auf raubkopierten DVDs zu kaufen gibt. Und Mirsad Purivatra hat einen Namen in der Stadt. Spricht man ältere Leute auf das Festival an, erzählen sie begeistert von einem gewissen Mirsad und dem Keller-Kino von 1993. Doch Mirsad will kein Held sein: „Das ist nicht mein Festival. Das Festival gehört der Stadt!“

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34 / 2006
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