Interview
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt
Till Rohmann organisiert ein Festival in Jerusalem. Dem Zuender erklärt er, wieso das jetzt wichtig und richtig ist.
Zwischen Israel und Hisbollah herrscht Krieg. Trotzdem wollt ihr Ende August in Jerusalem ein Festival für elektronische Musik und Medienkunst veranstalten. Ist das der richtige Zeitpunkt?
Als der Konflikt losbrach, haben wir uns auch gefragt: „Ist es pietätlos, jetzt dieses Festival zu machen?“ Es besteht ja auch aus Partys und Konzerten. Nach vielen Diskussionen, die wir geführt haben, kamen wir zu dem Schluss, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. So können wir den Künstlern hier, die auch gegen den Krieg sind, eine Plattform bieten. Und gleichzeitig die zivilen Strukturen und die kritischen Stimmen stärken. Das Festival sollte von Anfang an bewusst mit Kontext arbeiten, nicht bloß das zigte Festival für Medienkunst und elektronische Musik sein. Was heißt es, in einer permanenten Konfliktregion Kunst zu produzieren? Das ist ein Thema für viele der israelischen und palästinensischen Künstler, die teilnehmen.
Es gibt Leute, die würden trotzdem einwenden, dass es zynisch sei, Partys zu feiern, während rund herum Krieg herrscht.
Eigentlich könnte man dieses Argument fast immer und überall bringen. Wenn man sich die Situation im Irak ansieht, kann man genauso gut fragen: „Wie kann es sein, dass die Leute in den USA Partys feiern, während das Land im Krieg ist?“ Oder bei anderen Konfliktherden, die ein weitaus geringeres Interesse erfahren. Natürlich ist es schrecklich, was hier gerade passiert. Auf der anderen Seite gibt es weitaus Schlimmeres, über das niemand redet. Israel ist ein krisenerprobtes Land. Das geht Leben geht schließlich weiter, hier und in Beirut. Leute feiern Partys, verlieben sich, streiten sich und essen mit ihren Freunden zu Abend. Je erfahrener ein Land mit Krisen ist, desto normaler werden sie.
Man kann auch umgekehrt argumentieren: Hans Nieswandt hat neulich in einem
Interview
gesagt, dass es gerade in Krisengebieten wichtig sei, Partys zu feiern, damit die Menschen den Alltag ausblenden können.
Die Leute, die zu unserem Festival kommen, wollen in der Regel nichts mit dem Krieg zu tun haben oder sind vollkommen dagegen. In unserem konkreten Fall sind das 80-90 Prozent der Besucher. Man sollte eine kritische Öffentlichkeit nicht dafür abstrafen, dass ihre Regierung Unsinn macht. Natürlich haben die auch ein Recht darauf, Partys zu feiern. Auf der anderen Seite ist es doch komplizierter, denn in Israel und im Libanon sterben täglich viele Menschen. Da bleibt schon ein mulmiges Gefühl im Magen.
Die Raketen der Hisbollah sind bisher nur im Norden des Landes eingeschlagen. Wie macht sich der Krieg in deinem Alltag in Jerusalem bemerkbar?
Eigentlich nur dadurch, dass die Stadt viel voller als sonst ist. Es sind zwar kaum Touristen zu sehen. Aber viele Leute aus dem Norden, die den Alltag im Bunker nicht mehr ausgehalten haben, suchen hier Unterschlupf bei Freunden und Verwandten. Davon abgesehen, bekommt man von dem Konflikt hier fast nichts mit. Würde ich keine Nachrichten schauen und mich mit anderen unterhalten, könnte ich die Situation komplett ausblenden.
Am 30. Juli habt ihr die Veröffentlichung eurer Compilation in Tel Aviv gefeiert. Wie ist die Situation dort?
In Tel Aviv ist es ein bisschen anders. Da ist eher eine „Jetzt-erst-recht“-Feierstimmung angesagt. Auf unserer
Release-Party
waren wider Erwarten 1.200 Menschen. Das war die größte Party, auf der ich hier seit langem aufgelegt habe, total toll und ausgelassen. Aber das mischt sich mit Angst und Unbehagen. Ein möglicher Raketenangriff auf Tel Aviv hängt immer noch wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Leute. Auf der anderen Seite kann man in so einer Situation nicht 24 Stunden im Bunker bleiben. Man hofft eben, dass nichts passiert. Tel Aviv ist so was wie die Eskapisten-Hauptstadt von Israel. Für viele Leute ist sie ein Zufluchtsort vor dem deprimierenden politischen Alltag hier.
Und in Jerusalem?
Wenn man den Krieg ausgeklammert, würde ich sagen, dass die Künstlerinnen und Künstler, die in Jerusalem wohnen, sich bewusst dafür entschieden haben.
Jerusalem
ist, anders als Tel Aviv, ein Ort des permanenten Konfliktes zwischen säkularen und religiösen Leuten und zwischen Israelis und Palästinensern. Wenn man sich in seiner Kunst gerade mit diesen Konflikten beschäftigen will, macht es am meisten Sinn, hier zu wohnen. Das war für uns auch einer der Gründe, das Festival hier machen – und nicht in Tel Aviv. Mit dem Krieg ist es jetzt genau andersrum: Weil sich alle sehr sicher sind, dass Jerusalem nicht von einem Raketenangriff bedroht ist, finde ich Jerusalem im Moment weitaus entspannter. Das mulmige Gefühl, das ich habe, wenn ich nach Tel Aviv fahre, geht sofort weg, sobald ich wieder in den Jerusalemer Bergen bin.
Elektronische Musik ist ein globales Phänomen. Gibt es trotzdem Besonderheiten der Szene in Jerusalem?
Jerusalem ist für seine Experimental-Elektronik berühmt, die ganz schön düster sein kann, aber sehr interessant ist. Ich glaube schon, dass es so was wie einen „Jerusalemer Sound“ gibt, den man raushören kann. Sowohl in der experimentellen Musik als auch in dem Techno, der hier produziert wird. Es ist eine ziemlich schwere und manchmal auch deprimierende Stadt – das findet auch seinen Ausdruck in der Musik. Weniger experimentelle Musik kommt aus Tel Aviv. Dafür gibt es dort eine viel größere Techno-Szene und eine ganz andere Clubstruktur, die es DJs und Produzenten zumindest halbwegs ermöglicht, sich über Gigs zu finanzieren – wenn auch in einem viel geringeren Maße, als das in Europa der Fall ist.
Und das geht in Jerusalem nicht?
Es ist schwierig, weil Jerusalem keine wirklich alternative Clubstruktur hat. Allerdings hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Als ich vor vier Jahren das erste Mal hier aufgelegt habe, kannte noch niemand Minimal House und so was. Die standen alle mit einem großen Fragezeichen überm Kopf auf der Tanzfläche und wussten nicht genau, ob das jetzt ein Club oder eine Lounge sein sollte. Mit 124-125 bpm war es zu langsam, um „echter Techno“ zu sein. Wenn die Leute hier damals Techno gehört haben, war das entweder
Detroit
- oder krasser
Tresor
-Sound. Aber während der letzten zwei Jahre waren viele unserer Freunde schon hier – Mia, Jacob Farley, die Leute von
Areal Records
. Gleichzeitig sind viele VJs und DJs von hier für kleine gemeinsame Tourneen nach Deutschland gekommen. Dadurch hat sich viel verändert. Daraus ist auch die Idee für dieses Festival entstanden. Wobei es aber nicht nur darum geht, internationalen Acts eine Möglichkeit zu geben, nach Jerusalem zu kommen. Wir wollen auch die lokale Szene unterstützen – zum einen dadurch, dass wir Leute herholen, zum anderen auch, indem wir versuchen, denen ein Tor nach Europa zu eröffnen. Wir werden eine Produktion in London mit dem
Institute for Contemporary Arts
haben und wir planen eine Kooperation mit dem
Mutek Festival
in Kanada. Im Februar 2007 sind auch einige kleinere Versionen des „c.sides“ in Berlin, Hamburg und Köln geplant.
Was treibt die Künstler hierher?
Für die Künstler gibt es keinen großen finanziellen Anreiz, hierher zu kommen. Wir sind ein armes Festival, trotz der Förderung, die wir erhalten. Alle Künstler – egal ob sie aus Jerusalem sind, ob sie Musiker, DJs oder Videokünstler sind – bekommen die gleiche symbolische Gage. Ich glaube, dass gerade das Interesse für den Kontext, in dem das Festival stattfindet, die Künstler herbringt. Nicht die paar Cents für das Booking. Israel ist – gerade für deutsche Künstler – ein diskursiv geladenes Feld und kein Ort, an den man einfach mal so fährt, auflegt und sich am nächsten Tag vom Acker macht. Es ist für einen nicht jüdischen, deutschen Künstler etwas Besonderes, auf einmal an einen Ort zu kommen, wo fast nur Juden leben. Viele haben darauf schon seit längerem gewartet.
Zum Festival:
Das
c.sides Festival
für elektronische Musik und Medienkunst findet vom 29.-31. August in Jerusalem statt. Mit dabei sind DJs, Produzenten, Videokünstler und Theoretiker aus Israel, dem Libanon, Deutschland, Österreich, Frankreich, England, den USA und Kanada (u.a. Acid Pauli, DJ Koze, Lawrence, Barbara Morgenstern, die Gebrüder Teichmann).
Teil des Festivals ist ein Kongress mit Workshops und Diskussionen zu politischen und historischen Fragen.
Kuratiert wird das Festival von dem Kölner DJ
Till Rohmann
und der israelischen Medienkünstlerin Ronny Shendar
Eine Compilation-CD mit Tracks der teilnehmenden Künstler ist über
www.a-musik.com
zu beziehen und kostet € 19,90.
Da mal reinhören
Auch schön:
Krieg und Disco
- Hans Nieswandt ist im Auftrag des Goethe-Instituts durch den Nahen Osten getourt
Gilad von nebenan
- In Israel gibt es keine Soldaten. Nur junge Menschen, die entweder in der Armee waren oder es noch sind.
Nach Hause
- Zuender. Das Netzmagazin
33 /
2006
ZEIT ONLINE