MTV

Kauft Angeberkram und haltet Euch willige Mädchen!

MTV ist peinlich geworden, Stück für Stück. Adrian Pohr hat es erlebt und aufgeschrieben. Alles Gute und Tschüss, MTV!

Es begann mit einer Kriegserklärung. Der erste Clip, den MTV am 1. August 1981 in den USA ausstrahlte, hieß "Video killed the radio star" von den Buggles. Das Nebenbeifernsehen war geboren, optimal, um stupide Hausaufgaben mit einem Auge zu erledigen und stundenlange Telefonate nicht mit dem Blick an die Decke führen zu müssen. Und der Stern des Radios erlosch tatsächlich. Jetzt, 25 Jahre später, feiert sich MTV zum Geburtstag eine Woche lang selbst. Das muss auch so sein, denn wer sonst würde diesen Sender heute noch feiern? MTV hat das Radio zwar gepackt und später auch die Konkurrenz gefressen - am Ende aber hat es sich selbst gekillt.

Wie es soweit kommen konnte? War MTV nicht früher mal revolutionär, wegweisend, kaum wegzudenken? Aber ja. Auch wenn das Musikfernsehen in Deutschland ziemlich spät ankam. 1981 regierte hier noch die Hitparadensendung Formel 1: Konsequent gestylte Moderatoren präsentierten Videos und Playback-Acts, in denen noch konsequenter gestylte Popstars herumstanden und ins Mikrofon sangen. Eightieslook moderierte Eightieslook. Peter Illman oder Kai Böcking brachten uns Duran Duran, Rick Astley, Tears for Fears nach Hause. Noch mehr Musikfernsehen war zu diesem Zeitpunkt nicht nötig, zumal die Videos auf MTV damals noch dieselben waren, und Kabelfernsehen – geschweige denn amerikanisches - hatte damals auch keiner. Der Aufstieg des neuen Musikformats ging an Europa erst mal spurlos vorüber.

Sechs Jahre später ging MTV Europe als Ableger des US-Kanals auf Sendung - rund um die Uhr und mit Videos, die schon eine echte Entwicklung durchgemacht hatten. Die Clips brachten jetzt neue Botschaften. Seal erklärte die Menschheit für verrückt, REM postulierten mit ihrem homoerotischen Theater-Video zu "Losing my religion" Glaubensverlust, und Axl Rose (mit Leggins unterm Bademantel) exerzierte wilde Verrenkungen zu minutenlangen "Ayayayas" ins Mikro. Das alles war vor allem eins: Weit weg von der sehnsüchtigen Postromantik der Achtziger.

Das wirklich bahnbrechende Element des MTV-Erfolgs aber waren nicht die Botschaften. Es war die Visualisierung von Musik. Man hörte Lieder nicht mehr, man sah auch nicht jemanden einfach nur singen. Man sah die Musik selbst. Videoregisseure wie Chris Cunningham , Michel Gondry und Spike Jonze wussten das neue Medium jetzt effektiv zu nutzen und schufen mit ihren Clips für Björk , die Chemical Brothers oder Daft Punk echte Kunstwerke.

Das künstlerische Konzept hatte allerdings nicht nur Freunde. "MTV makes me wanna smoke crack" , sang bereits Anfang der Neunziger der junge Beck, "fall out of the window and I’m never coming back". Crack rauchen und aus dem Fenster hüpfen - ein nachzuvollziehender Scherz, angesichts der immer schnelleren Schnitte und immer schrilleren Bilder, mit denen der Zuschauer beschossen wurde. Bands wie Pearl Jam verzichteten ganz auf Visualisierungen, weil die Songs durch die Bilder ihren spezifischen Charakter und ihre Emotion verlören.

Aber es waren nicht nur die Bilder. MTV gab auch in Sachen Musik selbst die Richtung vor. Grunge zum Beispiel. Der Sender hievte den Garagenrock aus den kleinen Szeneclubs von Seattle hinaus in die ganze Welt. "Smells like teen spirit" von Nirvana, im Video durch eine pogende Masse von High School Kids und den irre umherspringenden Kurt Cobain multipliziert. war die Geburt einer neuen Subkultur, jeanszerlocht und holzfällerbehemdet.

Fast gleichzeitig popularisierte MTV den Crossover, die Vermischung von Genres, von Rock und Hiphop. Bands wie Faith No More , Beastie Boys , Red Hot Chili Peppers und Rage Against The Machine warfen die Schubladen über Bord, und rappten und scratchten zu harten Gitarrensounds. Ein ähnliches Phänomen war die Reanimation des Punk mit Green Day und The Offspring . Das waren die guten Zeiten von MTV, denn sie schmeckten immer ein bisschen nach Anarchie.

Doch was dann kam, schmeckte gar nicht mehr, es roch und riecht noch immer nach Kommerz. Spätestens mit Britney Spears zog das Hardcoremarketing ins Musikfernsehen ein – nackt und weiblich drängte der Sex in die Visualisierungskultur und überrollte alles, worum es mal gegangen war: Musik. Wer wird nach Christina Aguilera , Shakira oder Kylie Minogue noch singen, ohne aufs Körperliche reduziert zu werden? Norah Jones vielleicht.

Doch die Clips sehen inzwischen nicht nur aus wie Softpornos, gleichzeitig haben sich auch die Statussymbole auf dem Schirm breit gemacht. Die Maxime der neuen MTV-Videos hat der Erfolgsrapper 50 Cent benannt: "Get rich or die tryin’"; das immer gleiche Bild: Karren, Bikinis, Kohle. War Grunge noch Rebellion (wenn auch kaum politisch motiviert, sondern individuell verzweifelt), trugen die Videos der letzten Jahre systemkonforme Botschaften an die männliche Konsumenten: Kauft Angeberkram und haltet euch willige Mädchen!

Dieses Statusgehabe hat sich auch in die Sendungen eingeschlichen, die um die Clips herum liefen – und laufen. Rockstars protzen da mit Luxuskühlschränken, Swimming-Pools und Heim-Kinos, andere Formate pimpen alte Karossen zu Edelkarren. Dicke oder Schüchterne werden durch monatelange Kamerabegleitung zu Alphatierchen getrimmt, einfache Fans zu einem Abziehbild ihres Idols. Weil das nicht reicht, machen Kuppelshows den Teenies klar, dass tiefe Dekolletees und wildes Knutschen beim ersten Date obligatorisch sind.

Einem guten Freund gratuliert man auch dann noch aus vollem Herzen, wenn er komplett peinlich geworden ist. Doch dies ist gleichzeitig ein Nachruf. Denn Musikvideos wurden auf dem Musiksender MTV zuletzt kaum noch gesichtet.

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Nach Hause – Zuender. Das Netzmagazin .

31 / 2006
Zuender