Nahost-Konflikt

Zum Krieg immer geradeaus

Wie ist es, mit einem Bein im hochmodernen Westen und mit dem zweiten im Mittelalter zu stehen?

Aus Tel Aviv: Felizitas Anemone

Tel Aviv ist eine Stadt, die hinkt. Den Blick gegen Westen gerichtet, hängt der Nahostkonflikt wie ein unbequemer Klotz an ihrem Bein. Man kann nie ganz dem Druck des Konfliktes entfliehen. Aber versuchen kann man es hier besser als anderswo.

Als vor einer Woche der Konflikt mit der Hisbollah eskalierte, waren die Menschen erschreckt und verunsichert. Die meisten blieben zu Hause und schauten Nachrichten. Aber schon am Donnerstag, dem ersten Abend des Wochenendes, füllten sich die Cafés wieder, in den Bars wurde Geld gemacht. Immer wieder hört man Sätze wie: "Von der Hisbollah lassen wir uns doch nicht den Spaß verderben" oder "Lass uns einfach die Augen schließen, dann können die Bösen uns nicht sehen".

Niemand will glauben, dass der Feind Raketen bis nach Tel Aviv schicken kann. Trotzdem warten alle darauf. Jeden Tag scheint die Reichweite der Raketen in den Nachrichten zu wachsen. Viele haben Freunde, Eltern, Familie und Freunden im Norden. Man plant für den Notfall. Im Fernsehen wird das richtige Verhalten im Fall eines Raketenangriffes erklärt. Männer warten beklommen, ob sie eingezogen werden .

So ist Krieg: Wie eine Schallplatte dreht sich das Leben, um die Belanglosigkeiten und Wichtigkeiten des Herzens.

Und plötzlich, ganz nah bei dir, fangen Menschen an, sich umzubringen. Du hältst kurz erschrocken inne, horchst. Siehst dich um: Alles ist so wie immer, äußerlich hat sich nichts verändert. Also drehst du dich weiter. Langsam, aber nicht mehr ganz so ruhig. Dann, auf einmal, noch ein Aussetzer: Menschen um dich herum fangen an, zu fliehen. Und dir dämmert, dass sich dein Leben verändern könnte. Du wirst nervös. Natürlich gehst du morgens zur Arbeit, wie immer. Natürlich interessiert es dich nach wie vor, ob es dieses Top auch in grün gibt.

Aber darunter, nicht besonders tief, sitzen die anderen Gedanken. Plötzlich schießt dir durch den Kopf, dass das Geschäft ein guter Unterschlupf wäre, weil es keine Fenster hat. Oder, dass man heiraten könnte, um einen deutschen Pass zu bekommen, im Notfall flüchten könnte. Und vor allem, dass man nicht sterben will.

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30 / 2006
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