Weblogs
Auf beiden Seiten
Im neu entflammten Nahost-Krieg schreiben Blogger auf beiden Seiten über ihre Erlebnisse. Damit wollen sie auch die Darstellung in den Medien korrigieren, die sie für verzerrt halten. Björn Siebke hat nach der Wahrheit gesucht
Schon immer war es schwierig, im Nahost-Konflikt zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden. Aber seit einiger Zeit gibt es massenhaft Weblogs, die uns die Wahrheitsfindung erleichtern. Aber ersparen sie uns wirklich den kritischen Blick?
In der Google-Blogsuche finden sich etwa zum Suchwort Lebanon tausende Einträge. Blogger beider Seiten schildern darin unglaublich detailliert, was um sie herum passiert und wie sie sich fühlen. Das Spektrum reicht von der akribischen Aufzählung sämtlicher Bombeneinschläge über Hetzparolen bis hin zu zynischen Beschreibungen des Kriegsalltags.
Jamal (27) aus Beirut erzählt zum Beispiel, wie schnell man sich an den Krieg gewöhnt: Meine Schwester, die in der ersten Nacht unkontrolliert geweint hat, schläft nun selbst während der Detonationen durch, obwohl sie lauter und häufiger werden. Olah (24) aus Jerusalem, die gerade erst nach Israel eingewandert ist, schreibt : Die Hisbollah hat ihr Hauptquartier und ihre Waffenlager absichtlich inmitten von Ballungsräumen errichtet, um sicherzustellen, dass es mehr zivile Verluste gibt und damit mehr Funktionäre von diesem Unverhältnismäßigkeits-Quatsch reden.
Ramzi (27) , der wie Jamal in Beirut wohnt, beklagt sich, ein Konvoi mit neuen Krankenwagen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten sei von israelischen Kampfflugzeugen beschossen worden. Als Beweis zeigt er das Bild eines zerstörten weißen Wagens, der mit dem Roten Halbmond versehen ist, dem muslimischen Gegenstück zum Roten Kreuz. Eine Ärztin, die ich kenne, ist in Beirut zurückgeblieben. Währenddessen ist der Rest ihrer Familie in die Sicherheit ihres Dorfes im Süden geflohen. Sie aber wollte ihre Pflichten in ihrem Krankenhaus nicht vernachlässigen, schreibt Ramzi. Die Sicherheit war trügerisch: Letzte Nacht wurden ihr Vater, ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester in einem Raketenangriff getötet. Ihre ganze Familie wurde mit einem uups zum Kollateralschaden.
Im Gegensatz zum öffentlich vorherrschenden Bild stehen aber nicht alle Libanesen hinter der Hisbollah: Da gibt es diese Leute, die wir in ihrem kleinen Hafen des Hasses und der mörderischen Ideale uneingeschränkt gedeihen lassen. Und es gibt uns, verängstigt und unfähig, wie wir versagen, den Finger auszustrecken und uns zu beschweren, schreibt Fouad (31) aus Beirut. Einen breiteren Überblick zu bekommen, ist auch für Olah aus Jerusalem einer der wichtigsten Vorteile der Blogs. Die Leute bekommen die rohen Geschichten von denjenigen, die das Ganze tatsächlich durchleben, schreibt sie dem ZUENDER per E-Mail.
Blogs können eine ausgezeichnete Quelle für verschiedene Sichtweisen sein, solange die Leser sich die Mühe machen, viele Blogs zu lesen und nicht nur diejenigen, mit denen sie übereinstimmen, meint auch Ramzi. Nur dann bekommt man wirklich einen besseren Überblick, als ihn Zeitungen und Fernsehen bieten können. Und der sei ziemlich verzerrt, wie Olah und Ramzi übereinstimmend sagen. Die internationalen Medien haben traurigerweise armselige Arbeit geleistet, sagt Olah und nennt diverse Beispiele. Etwa dass nicht über die schwierige Situation in den israelischen Bunkern informiert werde. Ramzi kritisiert: Sie haben alle objektiven Details berichtet, aber sie stellen den Konflikt als einen zwischen Hisbollah und israelischer Armee dar. Tatsächlich geht es darum, Libanon aus politischen Gründen zu zerstören.
Was die Blogger in den Blogs als unmittelbare Wahrheit darstellen, muss aber trotzdem nicht unmittelbar sein und wahr erst recht nicht. Woher hat Ramzi die Fotos des Krankenwagens? Und was beweisen sie? Israelische Kampfbomber sind darauf nicht zu sehen. Seine Geschichte über die Ärztin ist reines Hörensagen. Und woher will Olah wissen, dass die Hisbollah absichtlich in die Ballungsräume zieht, nur um die Israelis international in Misskredit zu bringen?
Die Weblogs machen es zwar einfacher, an subjektive Berichte aus dem Krisengebiet heranzukommen. Aber eine kritische Haltung ist hier noch wichtiger als außerhalb der Blogosphäre. Die Menge an Informationen wird durch Weblogs zwar größer. Verlässlicher aber werden sie nicht.
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30 /
2006
Zuender