Integration
Mach mit!
Wer sich integrieren soll, muss auch willkommen sein. Mit all seinen Eigenheiten. Aber so weit sind wir noch nicht. Ein Wutausbruch von Christian Bangel
Hamburg-St.Pauli ist nicht Neukölln. Dass ein Drittel der Bewohner nicht aus Deutschland ist, gehört zur Identität des Viertels am Hamburger Hafen. Hier leben Chinesen, Araber, Südeuropäer, Skandanivier und drücken dem Stadtteil ihren Stempel auf. Das stört niemanden, im Gegenteil. Immer mehr junge Pärchen und gutverdienende Alleinstehende folgen den Werbeagenturen und ziehen in die Altbauten in Hafennähe. Sie und die Alteingesessenen, die Künstler, Studenten, Sozialhilfeempfänger, Rentner machen St.Pauli zu einem Milieu. Das Miteinander hat hier scheinbar die besten Bedingungen. Jeder kennt Deniz, den Dönermann oder den lustigen türkischen Typen vom Express-Shop Reeperbahn. Die Grünen bekommen hier um die vierzig Prozent der Stimmen bei den Wahlen. Vor Anti-Nazi-Demos wird politisch korrekt auch auf türkisch zur Teilnahme eingeladen. Niemand würde es auf St.Pauli wagen, jemanden als "Scheiß-Ausländer" zu bezeichnen. Friede, Freude, Eierkuchen?
Nur die Vorderseite dieses Hauses ist bunt. Im Hinterhof steht wieder jeder in seiner Ecke: Die jungen Alternativen in der Wohlwillstrasse, die Türken in ihren Kulturvereinen, die Polen in der Kirche auf der Großen Freiheit, die Portugiesen am Hafen. Die Grenzen dieser Reviere zu überschreiten, dazu braucht es einen Grund. Ich habe den nie gehabt. Das Resultat ist, dass meine Freunde und ich hier nur ethnisch Deutsche kennen. Das geht vielen so, die meisten bleiben letztlich unter sich. Die Migranten und die Deutschen auf St.Pauli: Wir lassen uns in Ruhe, mehr nicht.
Das Verhältnis zwischen Deutschen und Zugewanderten fühlt sich auch hier an wie eine Ehe, die nicht aus Liebe eingegangen wurde und aus der auch keine Liebe entstand. Seit Jahren ersetzt der Fernseher das Gespräch. So sitzen wir nebeneinander und öden uns an. Natürlich kommt es zu Unterstellungen und endlosen Streits. Der tote Punkt unserer Diskussionen hat mehrere Namen: Integrationsbereitschaft, Sprachkurs, Einbürgerungstest, Zwangsheirat, Sanktionen, Hassprediger, Zwang. Das Wort "Integration" versteckt nur eine lange Kette von Vorwürfen. Natürlich ist es wichtig, dass wir artikulieren, was Zuwanderer mitbringen müssen. Selbstverständlich müssen hier alle deutsch sprechen können und das Grundgesetz akzeptieren. Aber welche Ehe hat sich je nur durch Forderungen retten lassen? Wann hat es je ohne Zuhören geklappt? Ohne Fehler einzugestehen? Man wird den Eindruck nicht los: So wird es nicht funktionieren.
Insbesondere der Umgang mit den Muslimen wird unversöhnlicher. In jeder Dorfkneipe weiß man genau, dass der Islam schon im Kern intolerant, frauenfeindlich und terroristisch ist. Erschreckend, dass diese Ansichten auch unter Studenten und Bildungsbürgern weit verbreitet sind. Wer bedient ddiese Vorurteile? Medien und Politik warnen reflexartig Warnungen vor Scharia und "dschihadistischen Recht", wenn über den muslimischen Einfluß auf unsere Kultur gesprochen wird. Sie forcieren Befürchtungen, der Bau von Moscheen könnte gewaltbereite Islamisten anziehen. Inzwischen hört man sogar wieder die offene Forderung, den Islam aus Deutschland zu verdrängen.
Der Schutz des Grundgesetzes ist eine Sache, hysterische Vorbehalte gegen eine unbekannte Kultur eine andere. Vielleicht ist es nur ein Frage des Tonfalls, wahrscheinlich aber mehr. Das US-amerikanische pew-Institut führte kürzlich eine Umfrage in mehreren westlichen und muslimischen Staaten durch. Dort nennen mehr als zwei Drittel der deutschen Muslime ihre Einstellung zu Christen grundsätzlich positiv. Das sagen umgekehrt nur 36% der Deutschen über ihr Verhältnis zum Islam. Eine Mehrheit der Deutschen glaubt, dass das Leben eines gläubigen Muslims mit einer modernen westlichen Gesellschaft unvereinbar sei. Diese Zahlen fordern die Frage nach der Integrationsbereitschaft der Deutschen heraus. Darf der Islam Teil der deutschen Kultur sein? Wollen wir wissen, wann das Zuckerfest gefeiert wird und warum? Sollte auch die Ausübung des Fastenmonats Ramadan gesetzlich geschützt werden? Ein "Nein" auf diese Fragen können wir uns nicht leisten. Es würde diejenigen zurecht verbittern, die ihrerseits aufgefordert sind, auswendig zu lernen, welche unsere christlich-abendländischen Werte sind. Es würde Integration unmöglich machen, weil Muslime sich weiter zwischen ihrer und unserer Kultur entscheiden müssten. Das wäre nicht nur aus moralischen Gründen fatal: In der USA Today hat im Februar ein Ökonom die volkswirtschaftlichen Chancen der EU und der Vereinigten Staaten verglichen. Er gab den Amerikanern Entwarnung: Europas größte Schwäche sei der unreife Umgang mit den Zuwanderern. Sie würde den Zuzug der Köpfe nach Europa beschränken. Es sind auch ökonomische Potenziale, die verloren gehen, wenn sich ein Teil der hier Lebenden ausgeschlossen fühlt.
Deutschland hat schon einmal verschlafen, einen neuen Mitbewohner als solchen zu respektieren. Der Prozess der Wiedervereinigung war keine Liebesheirat, sondern eine Pflichtveranstaltung. Die große Chance, nach vierzig getrennten Jahren mit verschiedenen Erfahrungen eine neue Identität zu umreißen, wurde ausgelassen. Viele Ostdeutsche fragen sich bis heute, was genau sie mit Konrad Adenauer, Fritz Walter und Roy Black zu tun haben. Und warum eigentlich niemand weiß, wer Sigmund Jähn ist. Auch die Zugewanderten stellen uns mit ihren Biografien und konfessionellen und politischen Ansichten Fragen. Fragen nach der Rolle der Familie, der des Geldes, unseres Zusammenhaltes, unserer Toleranz. Es wäre schön, wenn einmal das Zetern aufhören würde und es still genug wäre, diese Fragen zu hören. Endlich zu antworten, würde viel mehr verändern als zehn verpflichtende Sprachkurse, elf Einbürgerungstests und drei Beckstein-Reden hintereinander.
Hat es jemand mitbekommen? Die meisten Migranten haben während der WM zu Deutschland gehalten. Die vielen schwarz-rot-goldenen Fähnchen an den türkischen Geschäften waren ein scheues Lächeln. Das bedeutet mehr als die ewigen Vorwürfe, Unterstellungen und Streitereien. Da ist etwas, was uns verbindet.
28 /
2006
Zuender