Halbwissen
Gott hätte Esperanto nicht gewollt
Christiansen heißt bald Jauch – sonst wird sich im Talkbusiness nicht viel ändern: Experten verkünden ihre Sicht der Welt, die dann als Wahrheit gilt. Die Konferenz des Halbwissens wollte zeigen, dass jeder so ein Experte sein kann. Franziska Günther war dabei
Ort: Ein Bürgersteig am Hamburger Hauptbahnhof. Publikum: Zufällige Passanten. Der Unterschied zu den prominenten Originalen: unwesentlich. Der Beweis: Erbracht - mitreden kann jeder.
Täglich können wir Experten bewundern, die uns ihre Präsentkörbe an Erkenntnis bringen und zu allem Stellung nehmen. Es ist, als hätte jeder, der vor einer Kamera sitzt, automatisch recht. Dabei können andere Menschen auch klug reden. Den eindrucksvollsten Beweis brachte unlängst ein Taxifahrer, den die britische BBC versehentlich über die Aussichten der Computerfirma Apple interviewte . Der tatsächliche Investmentbanker war da gerade auf dem Klo.
Eine ähnliche Idee verfolgten die Erfinder der Konferenz des Halbwissens, Mieke, Matze und Rebecca von Superschool . Deshalb haben sie Freunde aus ihrem Umkreis, Musiker und Künstler eingeladen, gemeinsam das Experiment zu wagen und Kunst daraus zu machen. Die Diskussionsrunde muss nur wie eine TV-Show in Szene gesetzt und gefilmt werden.
Die illustre Expertenrunde hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Globalisierung näher zu ergründen. Ist schließlich gerade Fußball, so die Begründung. Was ist eigentlich Globalisierung? "Äh, das globale Dorf eben…und freier Handel und so." Moderator Matze stellt wie die Christiansen eine These in den Raum: "Die Mondialisierung am Beispiel der Krawatte - die Globalisierung äußert sich im Bild des universellen Geschäftsmannes." Carsten Meyer weiß sogleich einzuwenden: "Der amerikanische und deutsche Dress sind aber nicht gleich schön. Die amerikanischen Anzüge haben doch ganz anderes Material, das kann man doch nicht in einen Topf werfen. Heutzutage müssen die Codes gelesen werden können. Früher war es der Indianer mit der Feder am Hinterkopf und das Südseemädchen mit dem Bastrock. Heute machen da feine Nuancen den Unterschied."
Meinen die das jetzt ernst, oder machen die nur Spaß? Genau um diese Schwebe geht es den Machern. Im übrigen verfolgen wir das Geschehen mit dem Rücken zur Expertenrunde auf Bildschirmen - so kommt echte Polittalk-Atmosphäre auf.
Eine Passantin findet es dagegen gar nicht lustig, dass die Künstler in der Öffentlichkeit den Anschein einer seriösen politischen Gesprächsrunde erwecken wollen. Ich für meinen Teil amüsiere mich köstlich über Vergleiche und Querverweise, auch wenn die politikwissenschaftlich nicht fundiert sind. Aber diese Garantie können echte Talkshows auch nicht liefern.
Einwurf eines Diskussionsteilnehmers: "Denken wir zurück an Babel: Damals sprachen die Menschen eine Sprache, und als Gott merkte, dass sie einen Turm bauten, strafte er sie mit fremden Zungen, damit sie sich nicht verstehen konnten." Grund genug für Carsten Meyer, sich gegen eine globale Sprache auszusprechen. Gott hätte das nicht gewollt. So fügt sich Halbwissen und Halbwissen zu Vollwissen - und das war ja das Motto der Zusammenkunft. Ein letzter Kommentar: "Du hast schöne Schuhe!" Gut zu wissen.
27 /
2006
ZEIT online