WM in England

Rooney ist schuld

Brechpoesie, Third Reich-Humor und Solidarität mit Muammar al-Gaddafi: Eine Woche des Wahnsinns mit der englischen Yellow Press hat Patrick Kennedy hinter sich

Monday – "The Spewtiful Game"

Eigentlich war zu erwarten, dass nach dem katastrophalen Spiel Englands gegen Equador der Regenbogenblätterwald auf der Insel mächtig ins Rauschen kommt. Doch die Skandalpresse registriert den knappen Sieg der Three Lions mit ungewöhnlicher Gemütsruhe: Noch keine Spur von Wut, Häme oder Resignation - England ist immerhin im Viertelfinale.

"THE SPEWTIFUL GAME" betitelt der Daily Mirror mit scheinheiliger Ironie das üble Spiel, in dem David Beckham ein Tor schoss und sich dann auf den Rasen übergab. Sven Göran Erikson sagte dem Blatt: "I should be very concerned if we were out of the World Cup." Besorgt sein sollten da auch die Tabloids, doch es folgt der erstaunliche Übergang zu interessanteren Themen: Spielerfrauen im Stadion. "Ihre Männer mögen sich bei Temperaturen von mehr als 100 Fahrenheit abgerackert haben - für die Ehefrauen und Freundinnen war trotzdem Party auf der Tribüne angesagt". Englands Einheizer gedulden sich noch mit bewährten Ausreden, vermeiden an diesem Montag aber die Konfrontation. Die Hoffnung auf den ersten Titel nach vierzig langen Jahren lebt.

Tuesday – Auftritt des Veteranen

Für Englands Hoffung hat die Daily Mail heute Weltmeister-Oldie Sir Geoffrey Hurst ausgegraben, der inzwischen Fußballdirektor bei McDonalds ist. Hurst zieht kühn Parallelen zu 1966 und sagt, Englands Nationalmannschaft 2006 habe ähnliche Probleme, in Form zu kommen, wie seinerzeit er und seine Jungs. Big Deal. Um die Moral zu stützen, greift man in England eben gerne in die Veteranenkiste.

Auf der Tagesordnung steht aber vor allem das Duell England gegen Portugal; Erikson vs. Scolari. Vorab die Gebetsmühle Eriksons in der Daily Mail : "Glaubt mir, wir können die Weltmeisterschaft noch gewinnen." Und in der Sun sagt er: "I think you have to suffer in a tournament like this." Die Zeitung dazu trocken: "He has certainly made us do that." Dann folgen unschmeichelhafte Vergleiche. Der Schwede ist wie Mr. Burns von den Simpsons ("Excellent"); Luiz Felipe Scolari dagegen ein zweiter Gene Hackman.

Auch der Daily Mirror sinniert über die beiden Trainer und deren Auftreten vor ihren Mannschaften in der Halbzeitpause: "Während von Scolaris Halbzeitansprachen gesagt wird, sie ähnelten dem feurigen Appell eines Generals, gleichen Eriksons Ansprachen eher der höflichen Aufforderung eines Bibliothekars, sich leise zu verhalten."

Die Schlagzeilen an diesem Dienstag:
1. The Sun: Roo: I can take two (Rooney sagt er sei fit für 120 Minuten)
2. The Sun: Roon is no Pele (Deco sagt, Rooney sei nicht Pele)

Wednesday – Beckham war schlecht wegen der BILD

Der Daily Mirror wirft einen Blick auf die Medienlandschaft des WM-Gastgebers und ist schockiert - BILD macht sich über David Beckham lustig: "Die Zeitung, die erst kürzlich Beckhams Schwester mit einem Schwein verglich, druckt große Bilder von Beckham, wie er sich beim Sieg gegen Equador übergiebt und nennt ihn David Brechham. Außerdem fragen die Deutschen: Hatte er deutsches Bier getrunken? Kann ein Metrosexueller schwanger sein? Hat er die Kreditkarten-Rechnung seiner Frau gefunden?" Vielleicht war ihm auch einfach nur schlecht vom Humor deutscher Journalisten, kontert der Mirror .

Überhaupt, Deutsche und Humor. Das passt nicht ins Bild der englischen Tabloids, die in der Vergangenheit schnittige Schlagzeilen wie "Up yours Fritz" und "German tanks rolling again" aus der "Third Reich"-Schublade gekramt hatten. Bleibt zu hoffen, dass die Tommies und die Fritzes nicht im Finale aufeinander treffen werden.

Thursday – Beckham: From bad to verse

Englands große Hoffnung ist National-Talisman Wayne Rooney. In verträumter Pose mit tiefem Blick in die Kamera (der statt nachdenklich aber eher tumb wirkt) ziert er heute großformatig alle Sportseiten der Tabloids. Rooney will wie Ronaldo zur lebenden Legende werden, verrät er in intimen Gesprächen den Blättern. Sven Göran Erikson hat derweil andere Sorgen – er muss seine Linie verteidigen: "Plan? Of course there is," äußert sich der ungeliebte Schwede im Daily Express zu Vorwürfen, er und sein Team würden kopf – und ziellos durch das Turnier stolpern.

Düstere Vorzeichen für das Spiel gegen Portugal: Schiedsrichter Horacio Elizondo ist Argentinier; Elizondo stellte Beckham 2000 gegen Mexiko nach einem Foul vom Platz; der Argentinier ist ein Poet. Das Komplott ist perfekt. "Schiri ist argentinischer Dichter" meldet die Sun und versucht sich selbst im lyrischen Ausdruck: "It gets bad to verse for David Beckham."

Friday – Shut it Blatter!

Englands Spieler are not amused: Sepp Blatter hat gesagt, die Three Lions spielten den langweiligsten Fußball im Turnier. Der rechte Außenverteidiger Gary Neville dazu in der Sun : "Ich höre nicht auf Sepp Blatter, weil ich nicht will." Ansonsten herrscht auf der Insel die Ruhe vor dem Sturm. Die Sun berichtet exklusiv über Beckham und seine Ansagen in der Kabine vor dem Spiel: "WE’RE gonna f****** beat Portugal and win the f****** World Cup." "Becks hat zugegeben, dass er Ausdrücke benutzt, die seine Mutter erröten lassen würden."

Breaking News unterdessen in der Daily Mail : "Posh jets back home for emergency... hairdo", schreibt das Blatt zur überstürzten Abreise Victoria Beckhams aus Baden-Baden.

Saturday – "WE WILL WINNIE – But I will never be a Churchill"

Die Propaganda-Maschinen der Rot-Weissen laufen vor dem Spiel zur Hochform auf - man könnte meinen, England ziehe in den Krieg: Auf den Titelseiten der Sun und des Daily Mirror steht Rooney mit spitzbübischem Grinsen vor der englischen Flagge, den Zeigefinger auf die Leser gerichtet: "YOUR COUNTRY NEEDS ROO"

Eine Auswahl absurder Schlagzeilen vor dem Match:
"Today is all about Revenge"
"Erikson: We will Winnie – But I Will Never be a Churchill"
Jose Mourinho: "Your Proud Team Will Go into Battle with Honour"
"You Know Roo Will Do the Job"
"It’s not Auf Wiedersehen yet, pet"
"He’s Bald, He’s Round, He’ll soon Be Homeward Bound...Scolari! Scolari"
"Cry Baby" – Ronaldo’s still Got a Lot of Growing up to Do... His World Cup Is Sure to End in Tears"

Sunday – ROON IST SCHULD

Oh, Fußballengland, schon wieder im Elfmeterschießen geschlagen. Die zuvor so hochmütig tönenden Tabloids werden von den eigenen Schlagzeilen eingeholt. Nicht Christiano Ronaldo weinte - es waren John Terry und Rio Ferdinand, die bittere Tränen vergossen. Und – welche Ironie - Ronaldo hat die Briten mit dem letzten verwandelten Elfmeter aus dem Turnier geschossen.

Doch zumindest Wayne Rooney hat seinen Auftrag erfüllt. Die von den Medien aufgepeitschte Kampf-Bulldogge ist Dank ihres präzisen Tritts in Ronaldos Weichteile vom Platz gestellt worden und kann nun ruhmreich auf die Insel zurück fahren... Aber nein! Dort erwartet ihn jetzt die Meute: "ROON IST SCHULD." Er konnte nicht mit dem Druck umgehen, klagt die Sun : "Rooneys Foul ist eine große Enttäuschung. Wir hätten noch viel weiter kommen können."

Das kommt einem alles sehr bekannt vor. Wie war das noch mit Beckhams roter Karte damals, 2000? Englands leidvolle Fußballgeschichte scheint endlos wiederholbar. Ob die FIFA dahinter steckt? Vielleicht hat Gaddafi Recht und man sollte sie einfach abschaffen.

27 / 2006
ZEIT online