Mutter sein

Hamstermama unter Druck

Ursula von der Leyen hat sieben Kinder, zwei Ziegen, ein Pony und das Ministerium. Almut Steinecke ist schon an ihrem Hamster gescheitert. Ein Plädoyer gegen die Supermutterpowerfrau

Von Almut Steinecke

Beim Anblick der Kachelwand war es vorbei, dabei hatte ich mir fest vorgenommen, nicht zu weinen. Die Deckenlampe mit dem Neonlicht, der Tisch in der Mitte des Raumes, die ganze scharfe, kantige Nüchternheit dieses Behandlungszimmers: Da konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Denn hier war Endstation für meinen Hamster.

Ich habe Schuldgefühle. Vor drei Jahren musste mein Hamster George, eingeschläfert werden, weil er am Bauch einen Tumor bekam, und dieser Tumor, davon bin ich überzeugt, war nur aus einem einzigen Grund bei ihm auf eine tödliche Größe gewachsen: Ich habe zuviel gefeiert. Ich habe meine Pflichten als Hamstermama vernachlässigt.

Normalerweise habe ich meinen Hamster mindestens ein bis zwei Stunden laufen lassen, immer abends, wenn er wach geworden war habe ich George hochgehoben, ihn auf den Rücken gedreht, Reste von Späne aus seinem Bauchfell gezupft, und ihn auf den Teppich gesetzt. Ich sah zu, wie er losdüste. Unser tägliches Ritual.

Atemlos. Fassungslos. Starr.

Aber dann kam diese eine Woche im Mai 2003, als plötzlich alle auf einmal Geburtstag hatten. Ich und noch drei weitere Freunde und alles an vier Tagen hintereinander. Erst habe ich selbst gefeiert - und des Hamsters Spaziergang musste entfallen. Dann haben die anderen gefeiert – und des Hamsters Spaziergang musste entfallen. Vier Abende hintereinander habe ich ihn durchs Gitter in die Dunkelheit schnuppern lassen, vergeblich auf Suche nach seinem Frauchen. Am fünften Abend schlich ich mich schuldbewusst zum Käfig.

Als ich den Hamster hochhob, auf den Rücken drehte, die Späne aus seinem Bauchfell zupfen wollte, da sah ich dieses … Ding. Eine Halbkugel an Georges Bauch, schlimm und riesig. Die war vor vier Tagen noch nicht da! Ich schluckte. „Maus, was machst du denn?“, flüsterte ich dem Hamster ins Ohr, setzte ihn ab, rannte zum Bücherregal und blätterte hektisch in meinem Hamsterbuch. „Bitte lass es keinen Tumor sein“, mein Augen hasteten eine Tabelle mit Krankheiten hinab. „Tumor: schnell wachsende Verdickungen unter der Haut, die eine kugelige Form haben können“

„Wie konnten Sie nur?“ Ja, wie konnte ich nur?

Ich packte George in den Käfig, stritt mit dem Taxifahrer, der im Wagen eine rauchen wollte: „Hallo, geht’s noch, mein Hamster ist krank!“ Die Tierärztin sah mich erstaunt an, als sie den Bauch des Hamsters abtastete. „Das ist ein Tumor, allerdings, aber den hat er doch nicht erst seit gestern? Wie konnten Sie das übersehen?“ Ja, wie konnte ich nur? Im Grunde hatte ich schon immer Skrupel. Ein Hamster lebt nun mal nicht artgerecht in einem Käfig, allein diese Ausgangssituation bescherte mir Gewissensbisse.

Die ganze Feierei war eine Flucht vor genau diesem Schuldgefühl. Aber nicht nur. Das Weglaufen vor der sozialen Verantwortung für George kann auch ein verzweifelter Versuch gewesen sein: alles unter einen Hut zu bekommen, den Job als Hamstermama und gesellschaftliche Verpflichtungen. Warum zum Teufel soviel Druck? Vielleicht weil es Frauen wie Ursula von der Leyen gibt.

„Supermutterpowerfrau?“ Kann ich nicht sein

Von der Leyen ist Politikerin und gleichzeitig Mama von sieben Kindern, und, das ist für meinen Fall das Entscheidende, sie hat nebenher auch noch Haustiere! Zwei Ziegen und ein Pony! Unbewusst so einer „Supermutterpowerfrau“ (taz) nachzueifern, musste bei mir ja schief gehen. Die hat ja auch Leute, die auf Ziegen und Pony aufpassen, und ich könnte mir den Luxus eines regelmäßigen Hamstersitters ja gar nicht leisten! Also ist im Grunde das ganze System Schuld, das mir zu wenig Geld und zu wenig Möglichkeiten einräumt, eine Supermutterpowerfrau zu sein!

Ich habe meinen Hamster öffentlich begraben, obwohl man das nicht darf. Ich bin zu meiner alten Uni und hab ihn im Botanischen Garten verbuddelt, direkt in einem Beet mit Hanf. Soviel soziale Verantwortung war ich ihm schuldig.

20 / 2006
ZEIT ONLINE