Interview
Wir wollen es nicht können wollen
Das inzwischen neunte Album der Goldenen Zitronen heißt "Lenin". Ted Gaier, Gitarrist, Bassist und Textschreiber bei den Goldis, spricht über die neue Platte, alte Kumpels und warum ein erstrebenswertes Leben nicht zum kommerziellen Erfolg führt
Der Name eures Albums klingt anachronistisch - warum der Titel?
Es gibt das gleichnamige Stück auf der Platte und wir überlegen uns Plattentitel nicht, bevor die Stücke fertig sind. Erst war es ein Gag, und dann fanden wir es sehr prägnant und ein Kontrast zu den anderen deutschsprachigen Titeln, die im Moment so virulent sind. Als ich im Lenin-Mausoleum in Moskau war, hat mich eine komische Melancholie befallen, auch bezogen auf die Idee, die dahinter steht. Diese Wachspuppe da liegen zu sehen und drum herum tobt dieses wilde Moskau, das ist schon sehr seltsam.
Der Marxismus bleibt natürlich ein Bezugspunkt für jemanden, der sich ganz anachronistisch als linker Politaktivist betätigt. Was schon mal gar nicht funktioniert hat, war natürlich der Totalitarismus, mit dem man die Leute zu ihrem Glück zwingen wollte, und daraus muss man seine Konsequenzen ziehen, aber das passiert ja auch. In dem historischen Kontext, in dem Lenin seine Entscheidungen getroffen hat, hätte ich wahrscheinlich auch gesagt: Hätte klappen können.
Haben eure Lieder einen Adressaten, oder sind euch gesellschaftskritische Bezüge persönlich ein Bedürfnis?
Wir kommen ja aus so einem Fun-Punk-Ding, wo wir Mitte der 80er Jahre im Punkmilieu der Hafenstraße gegen die damals gängigen Stile wie Straight-edge, Hardcore und parolendreschenden Deutschpunk so eine Art Punk im Punk betrieben haben. Mit Stücken und einem Style, die in der Szene absolut Tabu waren. Wir verwurschtelten Schlager- und Countrymusik und Teeniemythen und trugen uncoole Klamotten wie Schlafanzüge und Schlaghosen, keine Lederjacken. Als Fun-Punk durch den Erfolg der Ärzte und der Toten Hosen dann populär wurde und wir uns als Vorgruppe der Hosen plötzlich in einem völlig unironischen Bierzelt wiederfanden, war das der erste Einschnitt in der Historie der Band. Wir mussten diejenigen, die uns aus falschen Gründen gut fanden, loswerden.
Spätestens mit dem Mauerfall und dem darauf folgenden Rechtsruck, den rassistischen Anschlägen, war dann klar, dass wir in unseren Texten politisch sein müssen. Auf der Suche nach einer geeigneten Ausdrucksform orientierten wir uns dann mehr am HipHop und den Texten von F. J. Degenhard als am Format Punksong. Wir wollten nicht die eigene Gemeinde emotional aufpeitschen und mit Parolen einschwören, hinter denen sowieso alle stehen. Ich glaube, deshalb haben wir immer noch das Glück, dass die Leute unsere Veröffentlichungen beachten.
Ließe sich der kommerzielle Erfolg denn steigern, wenn ihr musikalisch pop-kompatibler werden würdet?
Ich glaube, wir können das gar nicht, vielleicht auch, weil wir es gar nicht können wollen. Bei allen Verästelungen, die wir im Laufe der Zeit genommen haben, haben wir halt immer die andere genommen, und jetzt sind wir so weit oben im Baum, so weit in den Ästen, dass wir auch nirgends anders mehr hinkommen. Das hat natürlich auch ideologische Gründe gehabt, weil wir nach wie vor überzeugt sind, dass es unabhängige Strukturen geben muss. Aber wir haben die Angebote von Majorlabeln ganz einfach schon deshalb ausgeschlagen, weil wir mit Leuten hätten zusammen arbeiten müssen, die wir scheiße finden. Natürlich gab es auch noch so etwas wie eine punkige Borniertheit, die Arroganz des Losers, aber auch die Ahnung, dass, wenn wir uns darauf einlassen, die Band künstlerisch tot ist. Und das sieht man ja auch bei vielen Bands, die immer das reproduzieren, was sie irgendwann mal ausgemacht hat, wie die Chili Peppers ...
... oder die Toten Hosen.
Ja genau. Für uns wäre das das tristeste Dasein, was wir uns vorstellen können, jeden Abend in Hallen vor 3000 Leuten zu spielen, wo es um Leistung im Sinne von Schweiß pro Minute geht. Mit Backstage-Kontrollen wie an den EU-Außengrenzen und der Arschkriecher-Hofstaat, der um einen herumschlawenzelt. Das ist ganz einfach dumpfbackiges Milieu, und ich kann nicht verstehen, warum Bands das für erstrebenswert halten.
In eurem Stück Raus aus der Klasse, zurück in die Klasse geht es darum, dass sich Leute über ihr früheres anti-bürgerliches Leben lustig machen, es als eine Jugendsünde betrachten.
Mir fällt schon seit längerer Zeit auf, wenn ich alte Kumpels von früher treffe, die durch Punk sozialisiert worden sind, dass es kein Zufall ist, wer wo gelandet ist. Diejenigen, die aus dem Proletariat kamen, sind da auch wieder gelandet, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Der ganze Ausbruch, die Radikalität und der ganze Habitus, der ja dominiert war von diesen Leuten, der war erlernbar für alle, aber diejenigen, die es dann verwerten konnten, also einen Übergang in etwas anderes geschafft haben, waren Leute, die aus dem bürgerlichen Milieu kamen. Außerdem haben viel mehr Männer als Frauen davon profitiert. Und irgendwie schaffen es diese Leute dann auch, die Rückkehr ins Bürgerliche gar nicht mal als Bruch in ihrer Biografie darzustellen. Das ist eine Art Auszeichnung, wie wenn man im Krieg gewesen ist oder 68 dabei war. Das zeitweilige Outlawtum als identitätsstiftende Biografieveredelung. Ich kann es bei einigen Leuten auch gut verstehen, dass sie in Zynismus verfallen sind. Mir war aber wichtig, das Ganze mal zu formulieren.
Würdest du ausschließen, dass die Zitronen zu Promotionzwecken mal in einem großen Markt für Elektronikartikel auftreten?
Das wäre der künstlerische Freitod. Wir haben unseren Status ja auch dadurch bekommen, dass wir unverkrampft und selbstverständlich darauf beharrt haben, dass wir das für das falsche System halten. Manchmal gibt es noch Probleme, wenn auf Festivals der lokale Promoter ansagen will: Präsentiert von .... Thorsten von unserer Plattenfirma hatte neulich wieder so ein Gespräch, wo jemand nebenbei fragte, ob das okay sei. Und er dann halt sagte: Nein, mit den Zitronen ist das nicht okay. - Och komm, bitte! - Nein, wirklich nicht. - Und dann sagte der Promoter-Typ zum Schluss: Das ist ja noch viel cooler! Das ist natürlich dann auch irgendwie eine Art von Promotion. Ein anderes Beispiel sind Radio-Interviews, wo wir keine dieser Station-IDs einsprechen. Ich finde das auch nicht besonders heldenhaft, sondern einfach nur normal. Das bedeutet nämlich einfach, dass man sich seinen freien Geist bewahrt.
Und wenn der Hamburger Bürgermeister, so wie bei Tocotronic, anruft und aufs Konzert will, hättet ihr was dagegen?
Erst einmal muss man sagen, dass Tocotronic von all den im Text angesprochenen Beispielen am wenigsten dafür können. Natürlich man kann nichts dagegen machen, wenn Beust aufs Konzert seiner Lieblingsband gehen will, weil dies ein freies Land ist, haha. In unserem Fall fände ich das natürlich total scheiße, aber ich denke, wir sind in unseren Aussagen so eindeutig, und auch in den Codes, die in der Musik drinstecken, dass sich das eigentlich ausschließt für Leute, die eine Art von Kunstgenuss und echte Emotionalität von Popmusik erwarten. Ich glaube nicht, dass der Bürgermeister bei unserem spröden Generve emotional andocken kann, das passiert wohl erst in der übernächsten Politikergeneration, wenn Typen am Start sind, die mit industrial Techno oder so sozialisiert sind.
20 /
2006
ZEIT ONLINE