Generation

Die Leiden der jungen Jobanwärter

Zu wenig Geld, zu wenig Rechte, zu wenig Respekt. Italienische Jugendliche versuchen sich mit dem Projekt "„Generation 1000 Euro“" zu formieren

Von Till Hilmar

„Was habt ihr euch denn vorgestellt? Ihr träumt ja!“ – „Arbeiten heißt halt, sich an Zeiten zu halten, zu funktionieren.“ - „Willkommen in der Realität!“ - So klingen in Foren einige Reaktionen auf „Generation 1000 Euro“ – dem italienischen Projekt zur Selbstdefinition der jungen prekären Bewegung. Das gleichnamige Buch, dem eine lange Diskussion in Onlineforen und internationalen Medien vorausg egangen ist, ist jetzt in Italien in Form eines Romans erschienen.

Vier müde Gesichter quälen sich aus dem Bett: Samstagnachmittag in der WG, und die Gasrechnung ist da. Das ganze Wochenende ist versaut: Die Rechnung ist horrend, da einer das Gasleck nicht gemeldet hat und die anderen davon nichts wussten. Dann gibt’s sogar Prügel - ausgerechnet derjenige mit dem spendierfreudigen Papa hat sich das erlaubt. Den Dauerauftrag der Eltern gibt es für viele nicht.

Es geht nämlich um Jugendliche, die sich selbst finanzieren. Das Buch versucht, jeden einzelnen Cent zu zählen, alle Einnahmen und Ausgaben eines typisch prekären Tagesablaufes zu erfassen – anhand des Schicksals von Claudio, dem ambitionierten und kreativen Twen in der Werbebranche, der eigentlich gerne würde, aber irgendwie nicht kann. Claudio möchte nicht verschlafen, wollte sich noch bei seiner Freundin melden und hatte sich eigentlich geschworen, nicht mit dieser Barbiepuppe aus dem Büro zu schlafen.

Aber Claudio möchte auch etwas Handfestes. Erfolgreich und schon länger dabei, will er mehr als tausend Euro im Monat und die Sicherheit, nicht plötzlich rausgeschmissen zu werden. Aber das ist nicht die Realität. Seine Verantwortung, sein Engagement, seine Leistung entsprechen der eines ordentlichen Mitarbeiters. Drei kleine Unterschiede nur gibt es. Erstens: Das Gehalt – es reicht zwar zum Leben, aber nicht, um das Risiko eines Unfalls oder einer Schwangerschaft zu decken. Zweitens: der Vertrag – keine Garantien. Claudios Chef aber profitiert im großen Stil von jungen, austauschbaren Kräften an der Basis. Drittens: der Respekt.

„Generation 1000 Euro“ weist auf eine grundsätzliche gesellschaftliche Schieflage hin: Jugendliche werden in der Arbeitswelt nur bedingt ernst genommen. Sie gelten als arbeitsscheu und realitätsfern, dabei sind sie in Wirklichkeit hoch motiviert – nur leider so verdammt unterwürfig. Sie sind sogar so motiviert, dass sie sich gegenseitig für einen guten Vertrag wohl zerfleischen würden.

Für Solidarität ist da kein Platz, und deswegen ist sogar ein klischeeüberflutetes Buch wie „Generation 1000 Euro“ irgendwie wichtig. Auch wenn hier so krampfhaft versucht wird, an allen Ecken und Enden das Charakteristische für diese Generation zu finden, dass es schon lächerlich wirkt: Müssen wir uns wirklich über SMS-unfähige Mütter, knappe Softwarepirateriediskussionen und überflüssige USB-Stick–Probleme definieren? Darüber, das wir alle am liebsten nach Berlin ziehen würden (ein junges italienisches Klischee erster Kategorie)?

Unser Leben sollten wir nicht, wie dieses Buch, an einer Hand voll technologischen Klischees aufhängen, sondern andere Fragen stellen, zum Beispiel: Wie kann es sein, dass wir zwar freieren und breiteren Zugang zu Informationen haben als jede Generation vor uns, wir aber trotzdem bei unserer Berufs- und oft schon Interessenswahl vor einem riesigen Rätsel stehen?

An welchem Punkt man in einem Arbeitsvertrag statt von nötiger Flexibilität von „Ausbeutung“ sprechen kann, hängt wohl sehr von den Umständen der Branche ab. So wird ein junger Chemiker andere Bedingungen vorfinden als ein Marketingabsolvent, dessen „kreatives Potenzial“ eher kurzfristig zählt. Aber „Generation 1000 Euro“ meint, wir sind schon längst zu flexibel. Und warten auf Godot, was unseren Glauben an den fairen Arbeitsmarkt im Sinne einer Verwirklichung unseres Potentials angeht.

Jedenfalls sind wir in dieser der Unsicherheit nicht allein. Die Autoren des Projektes bauen ihre Gemeinschaft online weiter aus. Es bleibt abzuwarten, ob die Freunde der Realität die naiven Jugendbewegungen Europas korrekt einschätzen, oder ob die Realität bald von politisch organisierten Jugendlichen eingeholt wird.

www.generazione1000.com

Antonio Incorvaia, Alessandro Rimassa: „Generazione Mille Euro“, Rizzoli Romanzo 2006

20 / 2006
ZEIT ONLINE