Interview

Berlin braucht die "Spex" nicht und "Spex" nicht Berlin

Die „Piranha Medien“ wollen die „Spex“ nach Berlin umsiedeln. Dann aber will Chefredakteur Uwe Viehmann die Redaktion verlassen. Im Zuender berichtet er davon, was die Änderungen für das Heft bedeuten werden

Fragen von Kai Florian Becker

Erst einmal zum Positiven: Wie sehr war die Redaktion überrascht, dass sich die Jubiläumsausgabe zum 25. Geburtstag so gut verkauft hat?

Überraschter kann man nicht sein. Nach knapp einer Woche war die Auflage von 35.000 Exemplaren zu 80 Prozent ausverkauft. Das lag u.a. an der DVD, die dem Heft beilag.

Wie schwierig war es, die DVD zusammenzustellen?

Unfassbar schwierig. Es ist ja schon schwierig, aktuelle Videos zu bekommen. Weil sich viele Labels weigern, die Videos für sogenannte Cover Mount-Geschichten (CD- oder DVD-Beilagen – der Verf.) herauszugeben. Noch schwieriger ist es, 20 Jahre alte Videos zu bekommen.

Ihr beklagt, dass größere Plattenfirmen sich nunmehr auch weigern, Songs für die CD-Beilage freizugeben. Ist die traditionelle Beilage dadurch gefährdet?

Auf keinen Fall. Dann unterstützen wir lieber noch mehr kleinere Firmen. Auch ohne die Majors und deren tolle Stücke kriegt man die CD locker voll. Ich mache mir jedoch Sorgen, ob die Leser die CD nicht langweilig finden und sich beschweren werden, dass anstelle der neuen Single von beispielsweise Radiohead nur noch Songs von Bands zu hören sind, die relativ unbekannt sind.

Da du angekündigt hast, im Falle eines Umzug der "Spex"-Redaktion nach Berlin diese nach nun zwölf Jahren verlassen zu wollen. Daher die Frage: Was war dein schönster Moment mit "Spex"?

Um Gottes Willen... Schwierige Frage. (überlegt) Ein ziemlich guter Moment war, als ich das erste Mal als Briefmarken klebender Mensch, der sich zum Autoren-Job geschummelt hatte, eine Geschichte in den USA machen durfte. Bei Reiseantritt hatte ich Haare bis zum Arsch. Ich musste mir in Amerika aber das Schlafsofa mit einer Katze teilen, die jede Nacht in meinen Haaren schlief. Das war so nervig, dass ich mir die Haare komplett abschnitt. Nun stand ich also wieder in Köln vor der Redaktion, und der damalige Geschäftsführer öffnete mir die Tür. Ich dachte, der sagt jetzt: 'Wer bist du denn?' oder 'Mein Gott, du hast dir ja die Haare abgeschnitten.' Er aber sagte nur: 'Eh, Uwe, schön, dass du wieder da bist. Hast du Bock, Redakteur zu werden?' Das fand ich ziemlich cool. Ein anderer schöner Moment war, als das Heft pleite war und ich vorübergehend für 24 Stunden gefeuert war, obwohl ich die Zeit davor schon für kein Geld gearbeitet hatte. Nach meiner Wiedereinstellung hatten wir für ein Jahr mehr schlecht als recht den Betrieb aufrecht erhalten. Irgendwann war das Heft endgültig pleite. Dann gab es den neuen Verlag und erst einmal viel Hin und Her. Im September 2000 erschien schließlich das erste Heft im neuen Format – DJ Koze auf dem Cover, im Heft eine CD und alles vierfarbig, erstellt von einer neuen Redaktion. Plötzlich musste man niemandem mehr Rechenschaft ablegen und konnte machen, was man wollte. Das war super."

Kommt nun der bitterste Moment für dich, wenn du nach zwölf Jahren das Heft verlassen wirst?

Auf keinen Fall. Irgendwann musste das ja sein. Umso besser, wenn es etwas von Außen gibt, das einen dazu bringt, wirklich zu gehen. Ich spielte schon seit zwei Jahren mit dem Gedanken, aber der passende Moment fehlte. Vor anderthalb Jahren hatten wir beschlossen, das Heft noch einmal auf Vordermann zu bringen. Was nötig geworden war, denn in den letzten fünf Jahren hatten wir uns mit zig gewonnenen Preisen und auch der Tatsache, dass mittlerweile andere Hefte so aussehen wie das unsrige, gehörig unter Druck gesetzt. Wir ließen das aber bleiben, weil ständig die Idee mit dem Umzug nach Berlin umher geisterte. Ein Relaunch, oder wie man das nennen mag, muss von denen gemacht werden, die die Zukunft des Heftes bedeuten. Nicht denjenigen, die in der nächsten Woche aufhören werden. Dieser Zustand ist derzeit sehr unbefriedigend.

Wir stecken schon lange in einer Art Vakuum. Selbst zuletzt, da es hieß, man wolle im Juni umziehen - was aber wieder offen ist -, war es eine ganz seltsame Situation. Bitter ist der Moment für mich, nicht weil ich aufhören werde, sondern weil der Übergang nicht so fließend von statten gehen wird, wie es 26 Jahre bei Spex der Fall gewesen ist: Das Heft hatte sich nämlich immer irgendwie von alleine erneuert. Natürlich kann heutzutage ein Heft von überall aus gemacht werden. Das aber ist für mich genau das Argument, nicht nach Berlin zu gehen."

Ist es nicht irrsinnig, in Zeiten der Globalisierung zu zentralisieren?

Genau das meine ich ja. Natürlich gibt es aber auch viele Argumente für Berlin. Man muss ja nicht zwingend in Köln sitzen bleiben, nur um den Super-Schmelztiegel Berlin von außen betrachten zu können. Allerdings hat in der Vergangenheit ein gutes Stück der Seele von Spex ausgemacht, diese explizit Kölner Stimme zu haben. Man hat das Heft sehr mit Köln verbunden. Nicht viele Magazine haben es so nach außen getragen, in welcher Stadt sie gemacht werden. Das hatte jahrelang natürlich etwas Gutes, als in den Achtzigern und Neunzigern in Köln viel passierte und es hier noch die Popkomm, Viva, etc. gab. Ich finde, es lohnt sich, auf einer gewissen Art von Tradition zu bestehen und gegen Berlin zu sein. Mit diesem Umzug, der einigermaßen über das Knie gebrochen wurde, und der jetzt nicht so bald stattfinden wird wie geplant, gehen immense Konsequenzen einher. Die Leute in der Redaktion werden auseinander gerissen und die, die ausscheiden, müssen erst einmal ersetzt werden. Denn drei von sechs Redakteuren gehen nicht mit – wobei von Seiten des Verlages jedem angeboten wurde, mitzugehen. Und noch was: Aus den letzten Jahren hat man gelernt, dass ein Popumzug auch eine Verkleinerung eines Teams bedeutet. Siehe Viva. Diese mögliche Rationalisierung wird man meiner Meinung nach dem Heft irgendwann ansehen werden. Ob es dann inhaltlich besser oder schlechter sein wird, das will ich damit nicht sagen. Das Traurige ist, dass es diesen harten Schnitt geben wird. Die Spex gehört gottverdammt nicht nach Berlin. Berlin braucht die Spex nicht und Spex nicht Berlin.

Wie ist denn derzeit die Stimmung in der Redaktion?

Nun, ich etwa weiß nicht, was ich danach machen werde. Ich sitze hier und freue mich, dass ich noch etwas länger beschäftigt bin. Ich weiß insgeheim aber, dass dies nicht förderlich fürs Heft ist. Weil man doch etwas unmotiviert ist: Natürlich will man nach wie vor das Beste fürs Heft. Andererseits ist es komisch, nicht zu wissen, wie es kommt. Passiert der Umzug nun im September, Oktober oder vielleicht doch erst im nächsten Jahr.

Gesetzt den Fall, der Verlag macht einen Rückzug vom Umzug, wirst du dann bleiben?

Ich werde hier sicherlich nicht noch in zwei Jahren sitzen. Aber dann könnte man ganz anders planen. Dann könnte man noch einmal über Veränderungen am Heft nachdenken. Das wäre etwas, für das es sich lohnen würde, sich erneut aus dem Fenster zu lehnen und eben 130%-ig anzustrengen.

Wie waren bis jetzt die Reaktionen eurer Leser?

Die Reaktionen sind ziemlich krass. Aber die darf man nicht überschätzen. Es melden sich ausschließlich sehr emotionale Leute zu Wort, die mit Spex sehr viel verbinden oder die man sogar persönlich kennt. Die sagen natürlich, wie Scheiße sie das alles finden. Sie emotionalisieren das, was da passiert. Von daher sind mir diese Leute die wichtigsten.

Wäre es für dich schön, wieder mehr schreiben zu können? Etwa als Freelancer?

Nein. Das wäre eine absolute Horrorvorstellung. Bei Spex haben wir nur sehr wenig mit klassischen Freelancern, den Extrem-Vielschreibern, zu tun. Wir hatten immer den Ansatz, Leute schreiben zu lassen, die finanziell nicht darauf angewiesen sind. Unsere Leser sollen sich mit unseren Autoren identifizieren können. Es ist wichtig, dass man weiß, was es heißt, wenn etwa Jan Niklas Jansen eine Platte gut findet. Das Schlimmste ist, wenn Autoren für zwei verschiedene Magazine eine Platte besprechen und in jedem Magazin eine andere Meinung dazu kundtun. Das ist einer der Gründe, warum ich das nicht machen will. Natürlich will ich gerne weiter Missionar sein. Aber es wird wohl nicht mehr bei der Spex sein. Ich habe es auch nie hinbekommen, mich von einer Freundin zu trennen und danach sofort einfach nur gut Freund zu sein. Was nicht heißt, dass man sich im Streit getrennt hat oder – im Falle Spex - trennen wird.

Siehst du dich denn in zwei Jahren noch in der Musikindustrie arbeiten?

Ich hoffe doch. Ich habe ja in meinem Leben noch nichts anderes gemacht. Bei Spex habe ich auch viel drumherum gelernt, nebenbei noch Konzerte und Festivals organisiert und an den CD- und DVD-Beilagen gearbeitet.

Oder willst du wieder Musik machen – wie seinerzeit mit der Band Cosmic Debris?

Auf gar keinen Fall. (lacht) Wenn, dann nur zum Spaß. Man kann ja nicht so viel Glück haben, wie das eine Mal, als ich mein Hobby hier bei Spex zum Beruf machen konnte. Zwischenzeitlich sah es fast so aus, dass ich ausgerechnet beim 1. FC Köln einen neuen Job bekäme. Doch die sportliche Perspektive sorgte dafür, dass es anders kam. Dass es nicht geklappt hat, ist mir auch wieder eine Lehre. Nach der Musik dann direkt für die zweitgrößte Liebe arbeiten zu können, den Fußball, und dann noch für meinen Lieblingsverein, das wäre gespenstisch gewesen. Wahrscheinlich wäre das der endgültige Hinweis darauf gewesen, dass ich in meinem Privatleben nie mehr glücklich werden kann, weil ich mein ganzes Glück schon im Berufsleben verbraucht habe.

20 / 2006
ZEIT online