Drogenpolitik

Kein Recht auf Rausch

Ein vom mexikanischen Parlament beschlossenes Gesetz zur Entkriminalisierung harter Drogen tritt vorerst nicht in Kraft. Nach heftigen Protesten der USA verweigerte Präsident Vicente Fox seine Zustimmung

Aus Mexiko Andreas Henrichs

Die Liste war lang und sorgte international für Aufsehen. Jeder mexikanische Bürger über 18 Jahre sollte straffrei bis zu 5 Gramm Opium, 25 Milligramm Heroin, 500 Milligramm Kokain, 5 Gramm Marihuana, 0,015 Milligramm LSD und geringe Mengen anderer, psychoaktiver Drogen für den “persönlichen Bedarf” bei sich führen dürfen. Wer diese Grenzen überschreite, gelte nach dem neuen Gesetz automatisch als Drogenhändler und müsse mit bis zu 15 Jahren Gefängnis rechnen.

Das Gesetz sei ein Instrument im Kampf gegen den Drogenhandel, hatte Präsident Vicente Fox erklärt. Er werde es “ohne Einschränkungen” unterschreiben, hieß es. Einen Tag später gab Fox überraschend bekannt, dass er dem Gesetz nicht zustimmen und es “zur Überarbeitung” zurück an den Kongress verweisen werde. Er begründete dies mit “notwendigen Veränderungen” und betonte, dass in Mexiko der ”Besitz und der Konsum von Drogen weiterhin Rechtsverstöße sind.”

Verantwortlich für den plötzlichen Sinneswandel des Präsidenten war offensichtlich die massive Kritik der USA an dem neuen Gesetz. Die amerikanischen Medien warnten vor einem “lateinamerikanischen Holland” und einem wachsenden Drogentourismus. “Jedes Land, das den Drogenkonsum stärke, bekomme mehr Drogensüchtige”, sagte Tom Riley, ein Sprecher des Weißen Hauses. Der oberste Polizeichef Mexikos, Eduardo Medina Mora räumte ein, dass sich die US-Drogenbehörde (DEA) ihm gegenüber deutlich gegen das Gesetz ausgesprochen habe.

Washington hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Drogenpolitik der Regierung Fox kritisiert und den mexikanischen Behörden “Unfähigkeit bei der Lösung des Drogenproblems” vorgeworfen. Die Situation in dem mittelamerikanischen Land ist in der Tat besorgniserregend.

In den vergangenen 18 Monaten wurden nach Angaben des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit (SSP) bereits mehr als 1500 Menschen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Drogenkartellen getötet. Unter den Opfern befanden sich neben Polizisten und den Mitgliedern der kriminellen Banden auch Anwälte und Journalisten. Die Schauplätze dieser bewaffneten Konflikte sind vor allem die nördlichen Grenzregionen, Acapulco im Süden des Landes und die Hauptstadt.

Mexiko ist nicht nur der zweitgrößte Marihuana- und Heroinproduzent des Kontinents, nach offiziellen Schätzungen passieren auch 75 Prozent des kolumbianischen Kokains auf dem Weg in die USA – dem größten Drogenmarkt der Welt - die mexikanische Grenze. Vor einigen Jahren begannen die kolumbianischen Händler, die Dienste ihrer mexikanischen Komplizen vorzugsweise mit Drogen statt Geld zu bezahlen. Die Folge war eine Überschwemmung des mexikanischen Marktes mit billigem Kokain und ein Anstieg des Konsums unter Jugendlichen um 300 Prozent in den letzten fünf Jahren.

Die mexikanische Politik sucht verzweifelt nach Auswegen. Liberale Modelle, wie die angestrebte Entkriminalisierung der Konsumenten durch das neue Drogengesetz, haben jedoch gegen den Widerstand Washingtons keine Chance. Auch in Kolumbien gab es schon vor Jahren Bestrebungen, alle harten Drogen freizugeben und unter das Monopol des Staates zu stellen. George W. Bush und seine Regierung setzen aber vermehrt auf repressive Lösungen wie den umstrittenen “Plan Colombia”, in dessen Rahmen die Kokaplantagen mit einem Gift besprüht werden, das die Nutzung der Fläche für lange Zeit unmöglich macht. Es ist aber unklar, ob dieses Verfahren effektiv ist, das bisher mehr als vier Milliarden Dollar kostete. Die Situation in Mexiko lässt daran berechtigte Zweifel aufkommen.

04 / 2006
ZEIT ONLINE