Interview

"Ich werde nochmal deutlich werden müssen"

Man muss die Dinge von mehreren Seiten betrachten können. Marcus Wiebusch kann das, schließlich ist er nicht nur Frontmann von Kettcar, sondern Labelbetreiber. Welche Probleme das mit sich bringt und was sich an seiner Musik in Zukunft ändern wird, erklärt er im Zuender -Interview

von Arne Scheffler

Wie geht’s? Arbeitet ihr schon am neuen Album?

Wir komponieren wieder. Das haben wir in letzter Zeit ein bisschen vernachlässigt, weil wir viel Arbeit mit Tomte hatten. Jetzt geht es wieder, aber ich kann nicht sagen, wann wir wieder ins Studio gehen.

Wird’s dann auf der kommenden Tour schon neue Songs zu hören geben?

Ich hoffe wir werden ein bis zwei Songs spielen. Nur weil ich jetzt wieder Songs schreibe, heißt das allerdings noch lange nicht, dass die Band sie auch spielen wird. Das werden wir bald im Proberaum entscheiden.

Kettcar und eure Labelkollegen Tomte sind beide sehr erfolgreich. Wie erklärst du dir das?

(lacht) Wenn ich eitel bin, sage ich, dass wir wohl ganz gute Songs schreiben. Wenn ich das von oben herab betrachte, sage ich, dass Tomte und Kettcar Songs schreiben, bei denen die Leute das Gefühl haben, dass sie, naja, ihr Leben bereichern. Um das mal so platt zu formulieren. Wahrscheinlich ist die Textlastigkeit beider Bands der Schlüssel zum Erfolg, aber wenn die Musik nicht so durchkomponiert und durcharrangiert wäre, würde es auch nicht funktionieren.

Ihr sagt selbst, dass ihr euer Label Grand Hotel van Cleef gegründet habt, weil niemand sonst das Debüt von Kettcar veröffentlichen wollte. Wie war das damals? Was war eure Perspektive für Grand Hotel, war das als was Längerfristiges geplant?

Eigentlich schon, es war irgendwie klar, dass das für mehr Leute bestimmt war als für ein paar hundert. Zwar war es vor vier Jahren nicht unbedingt cool Deutsch zu singen - deswegen haben wir wahrscheinlich auch keine Plattenfirma gefunden - aber wir hatten sehr deutlich das Gefühl, dass wir diese Platte mit Kettcar raushauen müssen, genau wie mit Tomte. Wir haben viel Arbeit investiert, eine Struktur mit Vertrieb und Promotion-Firmen aufgebaut und erfolgreiche Platten gemacht - es wäre totaler Quatsch, das auch nicht für andere Künstler offen zu halten. Natürlich konnten wir nicht wissen, dass wir mal so was wie heute haben.

Und eure Perspektive heute?

Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie ich in fünf bis zehn Jahren Musik machen und das mit dem Label handhaben will. Zum Einen bekommen wir unfassbar viele Demos, die okay sind, aber nicht richtig geil. Und wenn sie geil wären: Haben wir die Zeit? Haben wir die Power, die Kraft? Wir sind ja eigentlich Musiker. Diese Doppelbelastung sorgt dafür, dass wir unser Label wahrscheinlich klein halten müssen. Und auch wollen. Die Künstler sollen so gute Deals haben, dass sie von ihrer Musik leben können. Wir haben viele geile Bands bei großen Plattenfirmen abschmieren sehen, weil sie einfach am Existenzminimum abgerippt worden sind. Wir machen die Deals transparent. Nicht dieses Halli-Galli: "Wir hauen jetzt sinnlos Geld raus in irgendeine Produktion und lassen dann die Band in fünf Jahren entkräftet zusammenbrechen."

Viele Leute beneiden dich sicherlich um das Erreichte. Würdest du sagen, dass du am Ziel bist?

(abwehrend) Oh nee! Man darf sich das nicht zu romantisch denken. Es hat auch schon unfassbare Erschöpfungszustände gegeben, so viele Zweifel. Momente von wegen: „Was mach ich hier eigentlich?“

Es wird ja oft gesagt, die Songs von Kettcar hätten etwas von „Lebenshilfe“. Was würdest du den jungen Menschen raten, bei denen die Unsicherheit über die eigene Zukunft groß ist?

Ui... (stöhnt) Die Songs von Kettcar sind ja auch voller Zweifel, und wenn man die Inhalte der Songs mal runterbolzt, ist es am Ende wahrscheinlich ein Satz, der übrig bleibt: „Einsehen zum Schluss, dass man weitermachen muss.“ Denn irgendwo gibt es den Punkt, an dem man zynisch, abgebrannt und durchgerockt einfach aufgibt, an dem man denkt, ich hab kein Traum, kein Ziel mehr. Zwar ist es heute, anders als vor 20 Jahren, viel schwieriger einen linearen Lebenslauf hinzubekommen. Aber ich sag’s immer so: Wir kriegen hier Karten in die Hand, ein Blatt. Und egal ob wir jetzt zwei Asse haben, oder vielleicht sogar vier Könige, die Hauptsache ist, dass wir es ausspielen. Das hat was mit Selbstverwirklichung zu tun. Ob das Blatt langt, da gibt’s einen Berg von Zweifeln für dich, durch den du durch musst. Es gibt keinen einfachen Weg mehr für junge Leute, wenn man das machen will, was man will. Das war vor 20 Jahren sicherlich auch so, aber es war eingebettet in „lineare Lebensläufe“. Denn dass du ein Job findest nach dem Studium, war relativ wahrscheinlich.

In Frankreich gehen zur Zeit eben wegen jener Angst um die Zukunft junge Menschen auf die Straße. Woran liegt es, dass sich hierzulande nichts rührt?

Das ist eine schwierige, soziologische Frage, die ich nur platt beantworten kann. Zum einen hängt es sicherlich mit den genauen Unterschieden zusammen. Ganz allgemein ist es wohl so, dass die Franzosen anscheinend gespürt haben, dass wenn sie ihren Protest durchziehen, da bei den Oberen auch was passiert. Um das mal an einem deutschen Beispiel festzumachen: Vor einem Jahr sind die Leute jeden Montag auf die Strasse gegangen, weil sie Hartz IV scheiße fanden. Was hat es gebracht? Eigentlich nichts. Die Leute haben das so verebben lassen. Ich wünsche mir natürlich nichts sehnlicher, als dass in Deutschland die Leute den Arsch hochkriegen und deutlich sagen, wofür sie sind und was sie wollen.

Ist wirklich alles so schlecht wie es oft dargestellt wird?

Nein, das wissen wir doch alle. Ganz allgemein besteht überhaupt kein Grund so jammerig drauf zu sein, denn wenn man es mal nüchtern betrachtet: Wir sind eins der reichsten Länder der Welt. Du wirst hier nicht verhungern und bist auch noch nie in eine Uniform gesteckt worden um für dein Land zu kämpfen. Also was bitte ist hier los? Warum man natürlich so jammerig drauf ist, könnte daran liegen, dass man das Gefühl hat, dass man a) sich eine bessere Gesellschaft vorstellen könnte aber b) man ums Verrecken nicht mehr weiß wie. Und diese Diskrepanz zwischen dem was man denkt, was möglich wäre und der Erkenntnis, dass es dafür keinen eindeutigen Weg gibt, der führt zu so einem jammerigen Verzagen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das in England nicht genauso ist. Sicherlich ist es in anderen Kulturen ganz anders, guck mal nach Thailand, wie arm sie da sind, und wie sie drauf und sind und wie sie leben...

Was glaubst du ist typisch deutsch?

(denkt nach) Also viele halten die Deutschen für ein ordnungsliebendes Volk, vielleicht auch pflichtbewusst... Das gilt ja dann auch immer als die deutschen Tugenden. Das kann man sicherlich festhalten, wenn man sich mit Ländern wie Italien und Spanien vergleicht. Warum das so ist, weiß ich nicht.

Würdest du denn bei einer Kampagne wie „Du bist Deutschland“ mitmachen?

Nein, mache ich nicht. Gut dass du das ansprichst. Ich als Mensch, ich fühle mich gar nicht als Deutscher. Natürlich weiß ich, dass ich in diesem Land groß geworden bin und ihm "viel zu verdanken" habe. Dass ich hier, wie ich schon sagte, nie eine Uniform anziehen musste und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens nicht vor Hunger sterben werde, danke. Aber: Nichts lässt mich irgendwie deutsch fühlen. Ich lehne Nationen ab. Ich komme aus einem linken Punk-Umfeld und habe in jüngeren Jahren in einer Asylunterkunft für afrikanische Flüchtlinge gearbeitet. Um mal mitzubekommen, was es bedeutet, wenn Leute ihre Familien, ihre Herkunft verlassen um dann in Deutschland Fuß zu fassen, und was es bedeutet, wenn sie abgeschoben werden. Seitdem denke ich nicht in Kategorien wie "Ah, hier ist die Grenze, ist ja gut, dann können wir ihn ja da wieder abschieben, damit er dann irgendwie zusieht, wo er bleibt." Das ist eine Problemverlagerung, die will nicht in meinen Kopf. Denn ich glaube, dass die Erste Welt für die Probleme der Dritten Welt sehr wohl mitverantwortlich ist. Meine Identität beruht jedenfalls nicht darauf, dass ich deutsch bin. Ich will, dass wir alle endlich begreifen, dass es eine Erde ist und dass die Probleme universeller und größer sind. Im Grunde ist es sogar mein Wunsch, typisch deutsche Identitäten zu zertrümmern.

Sven Regener sagte uns kürzlich, dass man Politik und Kunst nicht miteinander verrühren sollte. Kunst sei ein Gefühls-Ding, wogegen Politik am Verstand orientiert sein müsse. Siehst du das genauso? Die Texte deiner früheren Band ...But Alive hatten ja durchaus politischen Charakter...

Das ist eine Frage, mit der ich mich auch gerade sehr intensiv auseinander setze. Was wäre in dem Fall dann mit all diesen genialen Künstlern, die Musik als Waffe benutzt haben? Es gibt Leute, die sagen, dass John Lennon maßgeblich dazu beigetragen hat, den Vietnam-Krieg zu beenden. Stell dir mal vor: Ein einzelner Mensch hat mit seiner Kunst eine Stimmung geschaffen, die dafür gesorgt hat, einen Krieg zu beenden. Kunst ist ja nicht machtlos. Nimm so wichtige Bands wie The Clash, was haben die politische Bildung in die Leute rein gebracht! Natürlich sollte das alles vernünftig sein, aber gleichzeitig haben es Leute wie Joe Strummer geschafft, Menschen Werte, ja Ideale mit auf den Weg zu geben, die sie anders vielleicht nicht bekommen hätten. Wobei das auch sehr riskant ist, denn im Grunde genommen argumentieren so auch Nazis, die auf dem Schulhof CDs verteilen.
(denkt nach)
Also ich werde nicht für den Rest meines Lebens nur so gefühlvolle Songs schreiben. Ich glaube, ich werde noch mal sehr deutlich machen müssen, auch für mich selbst, worum es mir eigentlich geht. Ich habe das auf der letzten Platte mit "Deiche" auch schon getan, leider ist das ein bisschen untergegangen. Eben dieses alte sozialistische Motiv, dass es alles einfach wahnsinnig ungerecht verteilt ist. Und ich will, dass es gerechter verteilt wird. Dieses Motiv will ich in die Gesellschaft tragen. Wobei es mir egal ist, ob man meine Kunst irgendwie geschmackvoll findet. Ich gehe jetzt nicht so weit wie Jello Biaffra von den Dead Kennedys, der gesagt hat: Jeder Künstler, der seine Kunst nicht zur Waffe macht, ist kein Künstler. Aber ich glaube, es würde uns allen ganz gut tun, auch uns Künstlern, dass wir uns wieder mal darauf besinnen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen und ob wir nicht irgendwas dazu beitragen können.

Was ja leider nicht so einfach ist...

Klar, Fakt ist natürlich, dass es heute so unfassbar viel komplizierter und ambivalenter ist als noch 1977. Aber die absolute Trennung von Kunst und Politik kann ich nicht begrüßen. Weil dass dann dafür sorgt, dass man als Künstler unterm Strich... (denkt nach) einverstanden ist. Und das ist eine Sache, mit der ich mich nur schwer abfinden kann.

04 / 2006
ZEIT ONLINE