Antriebslosigkeit

Müssen nur wollen?

Manchmal hat man einfach keine Lust. Keine Kraft. Keine Motivation. Woran liegt das? Und was kann man dagegen machen?

Von Katharina Litschauer

Eigentlich wollte ich heute richtig was tun. Meine Küche putzen, ein Interview abtippen, zur Post gehen, einen Artikel fertigschreiben, meine Termine für die nächste Woche machen, beim Steuerberater anrufen, und endlich mit der Übersetzung beginnen, die nächsten Freitag fertig werden sollte. Nun ist es sieben Uhr Abend, und was ich von meinen Vorhaben bisher umgesetzt habe, lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: nichts. Ich rufe entnervt meine beste Freundin an, und befinde mich gleich in bester Gesellschaft: Sie wollte heute anfangen, ihre Seminararbeit zu schreiben, und rausgekommen ist dabei ein Nachmittag vor dem Fernseher und ein leergegessener Kühlschrank. Mein Kollege hat mir gestern Ähnliches erzählt, als ich ihn nach der stagnierenden Vorbereitung seiner Präsentation fragte. Abends besuche ich meinen Opa. Er klagt seit Tagen darüber, wie schwer er sich täglich aufraffen kann, aufzustehen. „Ich fühle mich so antriebslos“, sagt er, und trifft damit auf den Punkt, was ich selbst fühle. Hilfe, was ist nur los mit uns? Es kann doch nicht nur der endlose Winter daran schuld sein, dass wir von dieser Lahmheit überfallen werden.

In der Psychologie wird Antriebslosigkeit den psychischen und Verhaltensstörungen zugeordnet, und sie gehört zu den klassischen Symptomen einer Depression. Laut der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10) „leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität.“ Sollte uns das jetzt beunruhigen? Heißt das, dass wir alle unter Depressionen leiden? Wieder gibt das Symptomverzeichnis ICD 10 Auskunft: Bei einer so genannten leichten depressiven Episode sind gewöhnlich mindestens zwei oder drei Symptome vorhanden. Antriebslosigkeit alleine macht also noch keine Depression. Wo aber kommt sie dann her? Und vor allem: Was kann man dagegen tun?

Die Depression

Menschen, bei denen Antriebslosigkeit eines von mehreren Depressions-Symptomen ist, haben ein ernstzunehmendes psychisches Problem. Interessanterweise ist Antriebslosigkeit nicht typisch für suizidgefährdete Depressive. So makaber das klingt: Auch, um sich dazu aufzuraffen, sein Leben zu beenden, braucht man Energie. Mein Opa könnte theoretisch zu denen gehören, bei denen eine Therapie am sinnvollsten wäre, denn die Altersdepression ist eine ziemlich häufige Krankheit, die leider oft unbehandelt bleibt, weil sich niemand die Mühe macht, zwischen „harmloser“ Müdigkeit und depressiver Antriebslosigkeit zu unterscheiden.

Der große Berg

Bei meiner besten Freundin sehe ich keine Anzeichen einer Depression, warum also sitzt sie unmotiviert vor dem Fernseher, anstatt energiegeladen in der Uni-Bibliothek? Ihre Situation erinnert mich an die Zeit, als ich meine Diplomarbeit beginnen wollte. Wie gelähmt saß ich damals vor dem unüberschaubar großen Berg an Arbeit, dessen Gipfel ich nicht erkennen konnte, und kein Wegweiser war zu sehen. Anstatt mich ins Unterholz zu stürzen, blieb auch ich ziemlich lange erst mal da wo ich war, und versuchte, den Berg vor mir herzuschieben. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, anzufangen. Was mir damals geholfen hat, war die Anschaffung einer Landkarte und ein Zeitplan, bis wann ich an welcher Wegkreuzung angelangt sein wollte. Anstatt die scheinbar nicht zu bewältigende Gebirgstour zu fürchten („die Arbeit sollte irgendwann im nächsten Jahr komplett fertig sein“), setzte ich mir konkrete Ziele („bis nächste Woche will ich das Konzept für das erste Kapitel fertig haben“), und konnte mich so mit vielen kleinen Erfolgserlebnissen zum Weitermachen motivieren. Die Antriebslosigkeit verschwand, sobald ich klare und auch erreichbare Ziele vor Augen hatte. Und bei jeder Raststation unterwegs belohnte ich mich ausgiebig. Diese Strategie wende ich bis heute in Situationen an, in denen ich unüberschaubar große Aufgaben vor mir habe und sie funktioniert fast immer.

Die Sinnfrage

Auch der schönste Arbeitsplan hilft leider nichts, wenn man nicht weiß, warum man das Ganze eigentlich macht. Die Präsentation, die Seminararbeit, oder das Leben. Hier hilft bei mir nur eines: Ich muss mir die Sinnfrage stellen, solange, bis ich meine Ziele, Wünsche und Prioritäten klar definieren kann. Wer davon überzeugt ist, dass er etwas sinnvolles und erfüllendes vorhat, wird nicht so schnell von Antriebslosigkeit davon abgehalten, es auch zu tun. Pädagogen wissen, dass diese sogenannte intrinsische Motivation der stärkste Antrieb ist, Probleme und Aufgaben zu lösen. Das sollte sich mein Kollege vielleicht mal durch den Kopf gehen lassen. Er findet das Thema seiner Präsentation langweilig. Im Grunde findet er den ganzen Job langweilig. Er könnte sich von seiner Antriebslosigkeit befreien, indem er sich nach einem neuen Aufgabenbereich umsieht. Doch wenn ich ihm das vorschlage, meint er meistens: „Nee, das ist mir viel zu anstrengend.“

Der Teufelskreis

Und hier liegt der größte Hund begraben: Die Antriebslosigkeit selbst hindert uns am meisten daran, etwas gegen die Antriebslosigkeit zu tun. Wir sind zu lahm, um gegen die Lahmheit zu kämpfen. Wir sind zu unmotiviert, um uns zu motivieren. Und plötzlich fehlt sogar der Antrieb, Dinge zu tun, die man eigentlich gerne macht. Dieser Teufelskreis hat mich zum Entschluss gebracht, nie alles auf einmal ändern zu wollen. Man kann mit etwas scheinbar winzig kleinem anfangen, nur um zu sehen: Es geht doch. Und um erstaunt festzustellen: Ich habe ja schon angefangen, etwas zu tun! Also lieber erst mal den Müll runterbringen. Einen Anruf erledigen. Sich ein erreichbares Ziel setzen. Der Rest geht dann schon leichter.

Fazit

Kluge Worte, die müsste ich eigentlich nur noch selbst befolgen. Vielleicht habe ich mir auch zu viel vorgenommen für heute. Vielleicht sehe ich nicht bei allem einen Sinn (die Küche könnte wirklich schlimmer aussehen...), vielleicht aber habe ich es mit etwas viel simpleren zu tun: Ich bin manchmal einfach faul. „Wir können alles schaffen genau wie die tollen dressierten Affen, wir müssen nur wollen.“ Ich will nicht immer wollen müssen. Und ich meine, dass ich dazu auch jedes Recht habe. Bei diesem Wetter. Also ehrlich.

04 / 2006
ZEIT ONLINE