Neonazis

In der Falle

Dem Halberstädter Landrat Henning Rühe wird vorgeworfen, im Kampf gegen Rechts eingeknickt zu sein. Er verhinderte ein Konzert mit Konstantin Wecker unter dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ in einem Gymnasium. Versagt hat er deshalb nicht.

Christine Jähn und Christian Bangel

Das Konzert mit Liedermacher Konstantin Wecker hätte am Dienstag Abend im Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Halberstadt in Sachsen-Anhalt stattfinden sollen. Der Erlös wäre in die Kasse des Jugendzentrums „Zora“ geflossen, „eines der wenigen nicht-rechten Jugendtreffs in der Region“, sagt David Begich von der Arbeitsstelle für Rechtsextremismus von „ "miteinander e.V." , einem Netzwerk für ein weltoffenes Sachsen-Anhalt. Schon im Dezember hatte das Landratsamt das Konzert in der Schulaula genehmigt. Doch im Februar platzte der Plan. Der Kreisvorsitzende der NPD, Matthias Heyder, brauchte dafür nur drei Faxe zu versenden.

Heyder drohte, mit Demonstrationen und Blockaden "aktiv an der Veranstaltung teilzunehmen". Außerdem kündigte er an, dass die NPD ebenfalls Konzerte in der Aula der Schule veranstalten wolle. Der Landrat zog daraufhin Anfang Februar seine Genehmigung zurück. Jetzt schlagen die Wogen hoch, Regional- und Bundespolitiker, Künstler und andere Prominente beklagen das Versagen des Lokalpolitikers. Auch Sachsen-Anhalts Innenminister Klaus Jeziorsky hat kein Verständnis für das Agieren seines Landrats: "Den Drohungen rechtsextremer Kräfte darf nicht nachgegeben werden."

Doch einfach nur nachgegeben hatte dieser auch nicht. Wenn die Rechten nur mit Klamauk gedroht hätten, sagt Landrat Henning Rühe, "hätten wir das schon zu verhindern gewusst". Die Drohung des Einklagens in die Schule jedoch habe er ernst nehmen müssen. "Halberstadt ist relativ frei von Rechten", sagt er. "Wir wollen nicht, dass es zum Mekka für sie wird." Deshalb habe er sich Anfang Februar hinter die Richtlinie zurückgezogen, dass am Käthe-Kollwitz-Gymnasium keine kommerziellen Veranstaltungen stattfinden dürften. Nur so könne er verhindern, dass in Kürze rechte Veranstaltungen in der Schulaula stattfänden.

Leider ist das ein berechtigtes Argument. "Wenn man eine öffentliche Einrichtung zu einem bestimmten Zweck öffnet, dann haben auch Andere das Recht, diese zu dem selben Zweck zu nutzen", sagt Christian von Coelln, Verfassungsrechtler an der Universität Passau. Rechte Parteien hätten sich diese Regelung schon öfter zu Nutzen gemacht.

Prominentes Beispiel war die Passauer Nibelungenhalle. Weil die CSU dort ihren politischen Aschermittwoch abhielt, musste die Stadt auch die DVU in die Halle lassen. Passau versuchte zwar wiederholt, der Partei den Zugang zu versagen. Doch die Klagen der DVU vor dem Verwaltungsgericht waren stets erfolgreich. "Passaus einzige Chance wäre gewesen, überhaupt keine politischen Veranstaltungen zuzulassen", erläutert von Coelln. Dasselbe gelte für die Schule: "Wenn die Aula einmal für ein kommerzielles Konzert eines Liedermachers freigegeben worden ist, kann die rechte Szene diese Nutzungsweise einklagen."

"Die NPDler wissen wirklich genau, was sie tun", sagt Begich von "miteinander e.V.". Ihr Vorgehen sei "ein Teil der Öffentlichkeitsstrategie der NPD". Darin sei die Partei inzwischen sehr geschickt: "Sie hat ihr Vorgehen professionalisiert".

In Wernigerode habe sie genau dieselbe Strategie angewandt. Parteikader forderten den Bürgermeister auf, eine Veranstaltung der Grünen mit Claudia Roth im Rathaussaal abzusagen. Ansonsten, so drohten sie, würden sie dort selbst eine Veranstaltung abhalten. "Der Bürgermeister ging nicht darauf ein", schildert Begich. Darauf sei die Veranstaltung zunächst von Vermummten gestürmt worden. Ob die NPD das Recht auf Nutzung einklagen wird, ist offen.

Weil er besagtes Verwaltungsrecht auf seiner Seite weiß, formuliert der NPD-Kreisverband Halberstadt/Wernigerode auf seiner Homepage nun lapidar: "Kreisverwaltung Halberstadt: Habt euch mal nicht so! Demokratie ist für alle da!" Ob der strategischen Druckmittel der NPD warnt Begich vor falschen Schlüssen: Die Rechten dürften weder bagatellisiert werden, noch als unbezwingbare Größe dargestellt werden. "Die Vorfälle zeigen nicht die Stärke von Neo-Nazis sondern eine eklatante Schwäche von demokratischen Institutionen."

Um sie scheint es schlecht bestellt. Denn die Halberstadter fühlen sich auch in einem zweiten Fall genötigt, sich den Drohungen der NPD zu beugen. Diesmal trifft es die Stadtverwaltung. Auch sie erreichte Anfang Februar ein Brief des NPD-Kreisverbandes. Der Anlass: eine Kabarettveranstaltung im Ratssaal von Halberstadt mit dem Schauspieler Serdar Somuncu am 16.März unter dem Titel "Getrennte Rechnungen – Hitler Kebab". Die NPD erinnert die Stadt an ihre parteipolitische Neutralität und kündigt erhebliche Präsenz am Veranstaltungsort an. Die Lösung der Stadt: Die Tickets werden nicht öffentlich angeboten, sondern die Interessenten werden direkt angesprochen. Damit soll verhindert werden, dass sich gewaltbereite Rechte in größerer Zahl Tickets kaufen. Zudem werden Polizisten die Veranstaltung bewachen.

Halberstadt ist zufrieden, dass die Veranstaltung nun überhaupt stattfindet. Auch Konstantin Wecker soll auftreten - allerdings Open Air. Wecker hat zugesagt. Der Landrat auch: "„Konstantin Wecker ist herzlich willkommen. Ich werde das Konzert auf jeden Fall besuchen.“"

Denn der Landrat hat durchaus Interesse am Kampf gegen rechtes Gedankengut, betonen auch die linken Veranstalter von Zora. Zwar äußert Zora-Geschäftsführerin Yvonne Bosse Unverständnis über die Entscheidung des Landratsamtes: "Mit etwas mehr Zivilcourage und in Absprache mit den Behörden wäre das Konzert möglich gewesen." Doch sie bestätig, dass Rühe das Konzert stets in Halberstadt gewollt habe. "Er hat versucht, uns andere Räume zu besorgen". Kurzfristig organisierte er ein Sportzentrum. Doch die Betreiber sagten wieder ab, nachdem sie von den Drohungen der Neo-Nazis gehört hatten. Geschäftsführerin Bosse wünscht sich breitere Bündnisse gegen Rechts - von Privatpersonen, Politikern, Verbänden und Unternehmen. "Als vor zwei Jahren ein Anschlag mit Schwerverletzten auf die Zora ausgeübt wurde, gab es ein oder zwei Aktionen mit Politikern. Das war's." Vielleicht, sagt Bosse, hat diese Situation ja doch zu etwas Gutem geführt: "Dass wir endlich zusammenhalten gegen Rechts."

04 / 2006
Zuender, 10.3.2006