MEDIEN

Tsunami macht Spaß

Für Journalisten sind die Opfer von Verbrechen und Katastrophen oft nur Zahlen. Die Gefahr abzustumpfen ist hoch. Wie ist es, aus einem beheizten Büro heraus das Grauen zu vermelden?

Von Diane Hielscher

Der Tsunami ist Saskias Rettung. Nichts ist los in der Woche zwischen Weihnachten und Silvester. Eigentlich. Saskia arbeitet in der Nachrichtenredaktion eines Radiosenders. Politik wird erst wieder im Januar gemacht, in der Bundesliga wird nicht gespielt und niemand gibt Pressekonferenzen. Die Welle in Südasien gibt ihr etwas zu tun. Und es macht Spaß, sie gibt es zu: Was melde ich wie wann und mit welchen Interviews?

Die Opferzahlen werden immer weiter nach oben korrigiert: 8.500, 24.000, 100.000, 115.000. Wie an der Börse. „Und, haben wir die 200.000er Marke schon geknackt?“ fragt jemand. Ein anderer singt den Juli Song: „Das ist die perfekte Welle…“ Der nächste plant seinen Sommerurlaub: „Geil, nach der Nummer werden die Flüge nach Thailand billiger und die Hotels da auch!“ Im Fernsehen laufen die Bilder in Dauerschleife: Fischer ohne Boot, Eltern ohne Kind, Einheimische ohne Hoffnung und immer wieder Leichen.

Eine Zote jagt die Nächste im Großraumbüro. Ein Kollege fragt: „Das sind ja mehr Tote als bei dem Erdbeben im Iran, wie viele waren das damals?“ „So um die 30.000, glaub ich.“ sagt Saskia. „Wir sollten ein Katastrophen-Quartett machen. Mit den Kategorien: Tote, Verletzte, Sachschaden, Hilfsgelder… Ich hab den Tsunami, ich hab gewonnen!" Alle lachen.

Dieses Verhalten ist reiner Selbstschutz, sagt Medienpsychologe Daniel Süss. In solchen Situationen haben viele Angst, die Professionalität zu verlieren und versuchen nur, weiter handlungsfähig zu bleiben. Zynismus heißt, auf Distanz gehen. Es ist keine gute Art, mit dem Schrecken umzugehen, sagt Süss, aber eine verständliche. Nach der Arbeit sollte man sich seinen Ängsten stellen, allein oder mit Freunden. Reden hilft. Thomas Abel, Psychoanalytiker, drückt es drastischer aus: Eine schreckliche Situation löst Ekel aus. Man möchte das Erlebte und Gesehene auskotzen, sich so des Schreckens entledigen. Zynismus ist das psychische Erbrechen.

Rolf ist Polizeireporter für eine Fernsehagentur. Er ist als erster am Unfallort, er interviewt Hinterbliebene, filmt tote Kinder und fragt Witwen aus, bis sie weinen. Das Material verkauft er an Fernsehsender. Rolf macht die Arbeit, die keiner machen will und bekommt Geld für Bilder, die angeblich niemand sehen will. Die Fernsehsender reißen sich darum. Heute ist er – wieder mal – in einem Randbezirk von Berlin. In einer ungeheizten Wohnung, die Hunde machen ins Kinderzimmer, überall liegen Essensreste und leere Bierflaschen. Hier ist ein Kind vernachlässigt worden. Jetzt ist es tot, verhungert. Rolf freut sich. Denn nur ein totes Kind verkauft sich an die Boulevardsendungen der großen Fernsehsender, öffentlich-rechtlich oder privat, ganz egal. Kurzes Interview mit der Polizei, ein paar Einstellungen von der Wohnung, das reicht, zurück in die Agentur. Erst zu Hause, allein, kommen die Gefühle. Was sind das für Menschen, die ihr Kind verhungern lassen? Es war acht Jahre alt. Sein Magen krampft sich zusammen. Er leidet zeitverzögert. Jetzt hilft es, mit anderen Menschen zu sprechen, sagt Psychologe Thomas Abel. Es gibt zwei Gehirnhälften, die rechte ist für die Verarbeitung von Emotionen zuständig, die linke für die Rationalität und die Sprache. Erst wenn man seine negativen Gefühle verbalisiert, kann die Verbindung zwischen beiden Gehirnhälften hergestellt werden und die Schreck-Situationen werden verarbeitet.

Christopher sagt, ihm mache das alles nichts aus. Er ist Kameramann bei einer anderen Agentur, macht die gleiche Arbeit. Immer wieder Leichen filmen. Zerfetzte Körper, abgetrennte Köpfe, jede Nacht. Die Motorradunfälle sind die schlimmsten, sagt er und grinst. „Nein, wirklich mir ist das egal." Er wirkt noch sehr jung, mit seiner Tarnhose und der Coolness.

Medienpsychologe Daniel Süss spricht von einem Phänomen, das bei Katastrophenhelfern, Polizisten und Feuerwehrleuten auftaucht. Ein Job, der einen oft in Grenzsituationen führt, kann die Illusion auslösen, man sei unverwundbar. Dadurch wird man leichtsinnig.

Auch Psychoanalytiker Thomas Abel hat für Gefühllosigkeit eine Erklärung. Er spricht von Verrohung im Job. Wenn man lange genug mit Grauen in Berührung kommt, stumpft man ab und lässt tatsächlich keine Gefühle mehr an sich heran. Solange die Verrohung ausschließlich auf den Job beschränkt ist, ist sie kein Problem, sagt er, sondern lediglich ein Schutz-Mechanismus. Erst wenn die Verrohung sich auf private Gefühle ausweitet, wird es gefährlich. Dann kann es sogar sein, dass man verlernt zu lieben.

Ulrich Ladurner wirkt nicht verroht. Er schreibt für die ZEIT und hat bei seiner Arbeit Bilder gesehen, die er nicht mehr los wird. Seine Stimme klingt warm, man kann hören, dass er viel denkt, bevor er spricht. Er war während des Krieges im Kosovo, er war in Afghanistan, im Irak. Dort, in Nadschaf, gab es eine Situation, die er niemals vergessen wird. Irgendwer rief etwas von einer Granate: „Da ist was passiert, das müssen wir uns ansehen.“ Da wusste Ladurner schon, dass er sich das lieber nicht ansehen will. Aber genau das ist es, was er tun muss. Ansehen und berichten. Keine Widerrede. In einem Leichenschauhaus sieht er die Kinder. Vier, so zwischen sieben und zwölf. Nicht nur tot, sondern zerfetzt, von der Granate zerrissen und verbrannt. Diese Bilder wird er niemals vergessen. Geschlafen hat er in dieser Nacht nicht. Aber geredet, mit einem Kollegen. „Man macht seine Arbeit.“ sagt er, und: „Ich hasse Sentimentalität.“ Zynisch ist er nicht.

Um auf solche Situationen optimal vorbereitet zu sein, bietet zum Beispiel die Bundeswehr Kurse für Journalisten an, sagt Daniel Süss. Wenn man weiß, was einen erwartet, kann man seinen Job machen und wird auch von seinen Gefühlen nicht überrollt dabei - und vor allem danach. Wie man – gerade, wenn man „vor Ort" ist – mit Grauen umgeht und wie man danach darauf reagiert, hängt vor allem auch mit der eigenen Persönlichkeit zusammen. Wer in der Kindheit ein Urvertrauen mitbekommen hat, das Wissen, dass „alles gut" wird, kann später besser mit schrecklichen Situationen umgehen. Wer ein gesundes Selbstvertrauen hat und „in sich ruht", hat bessere emotionale Möglichkeiten, Erlebtes zu verarbeiten. Ullrich Ladurner hat oft Angst während der Arbeit, sagt er. Aber das ist auch gut, Angst macht wach, aufmerksam. Er weiß, wenn er nur noch Leere spürt, dann wird es gefährlich.

08 / 2006
ZEIT ONLINE