Ungewöhnliche Sportarten

Auf Lunge spielen

Tief einatmen und abtauchen! Unterwasser-Rugby ist ein Kampf gegen die Atemnot. Und die einzige Sportart, bei der Pässe auch von unten kommen können.

Von Steffen Ermisch

Pässe von unten - Unterwasserrugby als Bildergalerie

Es gibt kaum einen Sport, der für den Zuschauer so langweilig ist wie dieser: In einem Schwimmbecken kraulen ein paar Menschen. Für ein paar Sekunden nur, dann tauchen sie unter. An den beiden Breitseiten des Beckens sitzen Männer und Frauen auf weißen Plastikgartenstühlen. Sie haben Badekappen an, tragen Flossen und Schwimmmasken mit Schnorchel. Hin und wieder springt einer von ihnen ins Wasser. Das passiert immer dann, wenn sich gerade ein anderer Beflosster am Beckenrand aus dem Wasser gerollt hat und hechelnd auf den freiwerdenden Campingstuhl zuwatschelt.

Interessant wird es für den Zuschauer erst, wenn er abtaucht: Dort unten gleiten die Flossenfrauen und –männer scheinbar schwerelos durchs Wasser. Sie tummeln sich um jenen Spieler, der gerade den Ball hat. Es ist still, nur der dumpfe Druck des Wassers lastet auf den Ohren. Dafür sieht man die einzige Ballsportart, bei der Pässe auch von unten kommen können.

"Unterwasser-Rugby ist eben dreidimensional", schwärmt der Kölner Norbert Junkes. Der 35-Jährige ist seit 19 Jahren Unterwasser-Rugby-Spieler. "Das Besondere ist, dass jeder nicht nur gegen die andere Mannschaft, sondern vor allem auch gegen sich selbst spielt." Gemeint ist der Kampf gegen die Atemnot. Sauerstoffflaschen gibt es nur für die beiden Schiedsrichter unter Wasser. Die je sechs Mannschaftsspieler müssen mit der Luft in ihren Lungen auskommen. "Eine halbe Minute, mehr schaffst du nicht", erklärt Junkes. 30 Sekunden in 3D. Dann auftauchen, ein Stück kraulen und wieder runter. Selbst Profis bewältigen nur wenige Tauchgänge am Stück. Deswegen hat jede Mannschaft fünf Auswechselspieler – die auf den Campingstühlen.

Nach 15 Minuten gibt es für alle eine Atempause. Der Spielleiter, der das Getümmel vom Beckenrand verfolgt und Herr der Ergebnistafel ist, drückt auf eine Hupe, die man auch unter Wasser hört. Die Mannschaften besprechen sich kurz, dann geht es wieder ins Becken, die zweite Halbzeit startet.

"Die Spieler sind umso besser, je weniger man vom Beckenrand aus von ihnen sieht", erklärt Marion Schlue, die wie Junkes beim Deutschen Unterwasserclub (DUC) Köln trainiert. Viele der Spieler in ihrem Verein seien übers Tauchen auf die außergewöhnliche Sportart aufmerksam geworden. Nicht umsonst wird Unterwasser-Rugby meist von Tauchvereinen angeboten. "Heute kommen aber die Wenigsten vom klassischen Gerätetauchen, sondern vom Schwimmen oder ganz anderen Sportarten", hat Klaus Dräger beobachtet. Der Sprecher des Verbands Deutscher Sporttaucher (VDST) und Trainer der Junioren auf Bundesebene schätzt, dass es rund 1500 Unterwasser-Rugby-Spieler in Deutschland gibt. Junge Spieler seien aber rar.

"Das ist eben kein Sport, bei dem es Stars gibt", nennt Marion Schlue einen möglichen Grund für den Nachwuchsmangel. "Unterwasser-Rugby erreicht hierzulande einfach kein breites Publikum." Und für Anfänger sei es besonders schwer, denn sie haben nicht nur mit der Atemnot zu kämpfen. "Schwierig ist es vor allem, sich zu orientieren", erinnert sich die Nationalspielerin an ihre ersten Trainingsstunden. "Man muss immer wissen, wo die Mitspieler sind." Das ist zwar bei jedem Mannschaftssport so, aber beim Unterwasser-Rugby verzerrt das Wasser die Entfernungen, die Tauschermaske schränkt das Blickfeld ein und die Kollegen können eben nicht nur neben, vor oder hinter einem sein, sondern auch drüber und drunter. Wer schon beim einfachen Tauchen Panik hat, der wird an diesem Sport keinen Gefallen finden. Denn: Wenn man den Ball hat, wird man – wie beim Rugby üblich – hart angegangen. Da wird geklammert, gezogen und gedrückt, bis der Ball frei ist.

Aber wehe, ein Spieler zieht an der Badehose oder rüttelt an den Flossen. Dann ertönt das Hupen und es gibt es einen "Freiwurf", den man korrekterweise "Freistoß" nennen müsste. Den kleinen Plastikball kann man knapp drei Meter gezielt durchs Wasser stoßen. Im Ruhezustand sinkt er dann relativ schnell gen Beckenboden. Das ist so, damit das Spielgeschehen möglichst weit unten stattfindet. Laut Regelwerk soll der Ball eine Sinkgeschwindigkeit von etwa einem Meter pro Sekunde haben. Um die zu erreichen, ist der Ball mit Salzwasser gefüllt, das eine höhere Dichte hat als das süße Wasser im Schwimmbecken. "Die Vereine präparieren die Bälle aus Kostengründen meist selbst", erklärt Marion Schlue. Konkret heißt das: Ein paar Spieler treffen sich, um eine Kochsalzlösung herzustellen, und füllen die dann mit einer Spritze in den Plastikball.

Welche Gefahren Rugby unter Wasser mit sich bringt? Noch nie, so versichert Marion Schlue und lacht, sei "ein Spieler ersoffen". "Im Ernst: Der Sport ist vollkommen ungefährlich. Man kriegt schon mal ein paar blaue Flecken, aber größere Verletzungen sind die absolute Ausnahme." Beim DUC Köln ist der jüngste Spieler 21, der älteste ist 64 Jahre alt. Jung und alt, Mann und Frau - die Mannschaften sind (außer bei Nationalspielen) gemischt.

Nicht der Körperumfang und die Muskelmasse sind entscheidend, sondern die Kondition. Auf letztere legt Norbert Junkes, der die B-Mannschaft trainiert, besonderen Wert. Immer wieder üben seine Spieler, lange Strecken am Stück zu tauchen. Und der Torwart muss zusätzlich lernen, gegen den Auftrieb zu arbeiten. Das Tor sieht aus wie ein Papierkorb und steht fest in fünf Meter Tiefe auf dem Boden. Die besondere Kunst des Torhütens: sich möglichst lange auf den Korb legen, wenn es brenzlig wird.

Kurzinfo: Die Unterwasser-Rugby-Saison startet im September und endet im April. Es gibt gleich mehrere Bundesligen und Spiele um die Deutsche Meisterschaft. Und in der Sommerpause Freibadturniere. Alle vier Jahre finden WM und EM statt. Das nächste Großereignis ist die Weltmeisterschaft 2007 in Italien. Weitere Infos gibt es auf folgenden Internetseiten:

unterwasserrugby.leistungssport.vdst.de
www.unterwasserrugby.org
www.duc-koeln.de

07 / 2006
ZEIT ONLINE