Casting
"Hey, das war gar nicht schlecht!"
Nicht, dass ich wirklich bei einer Doku-Soap mitgespielt hätte. Beim Casting dabei zu sein, lohnt sich aber schon. Man muss nicht einmal schauspielern können
„Hi, supi, dass du so pünktlich bist, nicht wundern, ist alles ein bisschen chaotisch hier, wir haben auf die Schnelle keine besseren Studios gefunden und mussten improvisieren“, die Fernsehfrau lächelt mich im Türrahmen an. Tag. Ich lächele schief zurück. Wippe verstohlen mit den Fußspitzen auf der Türschwelle. Dann trete ich ein in diese Wohnung, wo gleich das erste Casting meines Lebens über die Bühne gehen soll. Für eine dieser bekloppten Reality-Doku-Soaps auf einem dieser bekloppten Privatsender. Ich bin tierisch nervös. Und fühle mich saugut.
Banale Nervosität ist gemeinhin eines dieser Alltagsgefühle, die ich nicht so gern verspüre. Wenn man weiß, gleich geht es um Leben und Tod in einer Situation, die mit dem Finger droht: jetzt musst du bestehen. Die heutige Nervosität ist anders. In die wage ich mich willentlich hinein. Denn es gibt ja noch Abstufungen von diesem Gefühl. Im Vorfeld des heutigen Tages hatte die Nervosität ihre Nuancen aufgefächert, mir das Blatt hingehalten, und ich durfte eine ziehen. Durfte mich für das wunderliche Aufgeregtsein entscheiden: Wenn man weiß, gleich wird man Momente haben, die man zwar auch irgendwie meistern muss, aber im Grunde geht es um nichts und trotzdem ist es spannend. So wie meine Casting-Premiere.
Dialoge, die vor Klischees nur so kleben
Ich schaue mich in der Wohnung um. Das Team wieselt zwischen den Räumen hin und her. Ich bin die erste Kandidatin an diesem Freitagmorgen. Vor Monaten hatte ich mich in die Kartei einer Casting-Agentur eintragen lassen, einfach so, just for fun, irgendwo hatte ich mal gelesen, dass sich jeder mit Komparsen-Auftritten Geld verdienen kann - nicht gerade viel, aber mit Spaß. Die Agentur rief vor einer Woche an: Man suche Laiendarsteller für ein neues Format über Beziehungsprobleme, ob ich nicht Lust hätte, man würde mir zuvor etwas Text zumailen. Klar hatte ich Lust. Ich meine, nicht, dass ich wild war auf Sendungen über Beziehungsprobleme mit der Hoffnung im Bambi-Blick ENTDECKT zu werden. Mir war gerade nur etwas langweilig. Ich brauchte etwas Abwechslung. Eine Prise Adrenalin. Eine Spitze Entertainment. Im Übrigen gibt es schlimmere Nebenjobs.
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Und hier stehe ich nun. In einem ausgelagerten, angemieteten Set mit lauter hektischen Menschen. Ein Typ reicht mir eine Liste herüber, in die ich mich eintragen soll. Die Fernsehfrau, die mich begrüßte, bugsiert mich in ein Zimmer. In einer Ecke steht die Kamera, gegenüber an der Wand hängt blaue Leinwand, vor der ich mich postieren soll. Die Kamera linst mich lauernd an. Ich schlucke, in meiner Hand rascheln die Seiten mit dem Text. Eine dramatische Szene soll ich machen, eine Frau spielen, die ihrem Freund verkündet, dass sie schwanger sei, er aber will keine Kinder. Das Ganze getaucht in Dialoge, die nur so kleben vor Klischees. Was soll’s. Ich befürchte nur, ich hab alles vergessen.
„Oh Schatz, ich bin schwanger!“
Die Fernsehfrau winkt ab. „Ich spiele den Typ, der keine Kinder will, unterhalte mich mit dir, und du reagierst einfach, zur Not ganz spontan. Wir machen jetzt so ‘ne halbe Stunde. Wichtig ist, dass du viel Emotion zeigst.“ Emotion. Geht klar. Es macht klick, die Kamera läuft, hypnotisiert mich für einen Moment, ich bin kurz davor, die Sache ernst zu nehmen, den launigen Charakter meiner Nervosität zu gefährden. Da wirft mir die Fernsehfrau den ersten Happen hin, „Schatz, was ist denn los, du bist ja so aufgeregt?“ Ich streife mir die Haut der Ehefrau über, übertusche meine Hemmungen mit gekünstelter Freude und Stolz im werdenden Mutterleib. „Oh, Schatz, ich bin schwanger, wir bekommen ein Kind!“, schwärmerisch schlage ich die Hände aneinander, knipse ein goldiges Lächeln an. „Das ist nicht dein Ernst! Wir können uns jetzt keine Kinder leisten! Ich will, dass du abtreibst!“, schnarrt die Fernsehfrau. Oh mann. Die Schlichtheit der Unterhaltung erfordert den darstellerischen Einsatz eines mimischen Kippschalters. Ich lasse mein Lächeln fallen, „waaaas?“, ich wanke zwischen Wüten und Weinen. „Das kannst du nicht im Ernst verlangen! Das ist doch unser Fleisch und Blut! Ich dachte, du liebst mich!“ Grusel. Doch die Fernsehfrau vom Team ist begeistert, lugt hinter der Kamera hervor, „Hey, das war gar nicht so schlecht, bist du sicher, dass du noch nie ein Casting gemacht hast?“ Ich nicke cool.
Und da ist sie auch schon rum, meine halbe Stunde. Ich bin fertig, im Flur vor der Tür scharrt schon die nächste Kandidatin. Die Dreharbeiten beginnen in einem Monat, erklärt mir noch die Fernsehfrau. Sollte man mich aufgrund des Castings für eine Doku-Soap-Folge engagieren, würde man mich anrufen, „aber wenn du nichts von uns hörst, dann hat es nicht an deinem schauspielerischen Talent gelegen“, versichert man mir eilfertig. Ich grinse in mich hinein. Ich würde nicht ernsthaft mitmachen wollen. Ich wollte nur spielen. Ein bisschen wunderlich aufgeregt sein. Dennoch meldet sich leises Bedauern, als ich wieder raus muss in den Alltag. War nett hier. Echt. Bei Castings kann man sich austoben, Stress ablassen, ein Geheimtipp regelrecht. Ich verlasse das Haus, bade noch ein wenig im Nachhall des Beziehungsdramas.
Und da ist sie auch schon rum, meine halbe Stunde. Ich bin fertig, im Flur vor der Tür scharrt schon die nächste Kandidatin. Die Dreharbeiten beginnen in einem Monat, erklärt mir noch die Fernsehfrau. Sollte man mich aufgrund des Castings für eine Doku-Soap-Folge engagieren, würde man mich anrufen, „aber wenn du nichts von uns hörst, dann hat es nicht an deinem schauspielerischen Talent gelegen“, versichert man mir eilfertig. Ich grinse in mich hinein. Ich würde nicht ernsthaft mitmachen wollen. Ich wollte nur spielen. Ein bisschen wunderlich aufgeregt sein. Dennoch meldet sich leises Bedauern, als ich wieder raus muss in den Alltag. War nett hier. Echt. Bei Castings kann man sich austoben, Stress ablassen, ein Geheimtipp regelrecht. Ich verlasse das Haus, bade noch ein wenig im Nachhall des Beziehungsdramas.
02 /
2006
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