Rock

Rock das Luftschloss

"Die ganzen Kriege und Krankheiten werden aufhören, wenn jeder in der Welt nur Luftgitarre spielt," sagt Friedericke van Meer von der German Air Guitar Federation. Fest steht: Solange der Rock lebt, wird es auch die Airguitar geben

Von Kati Krause

Niemand weiß genau, woher sie kommt. Es wird gemunkelt, dass sie auf Elvis-Konzerten ins Leben gerufen wurde, von ekstatischen Teenagern, die ihr Idol imitierten. Sie begleitete eine ganze Generation von zotteligen Teenagern durch biergetränkte Jugendhausfeste mit Metallica und Guns’n’Roses. Inzwischen zählen namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Hulk Hogan und Britney Spears zu ihrer Anhängerschaft. Und über zwanzig Jahre, nachdem Tom Cruise in "Lockere Geschäfte" in Unterwäsche auf einem imaginären Saiteninstrument Bob Seger spielte – was in der Ansicht mancher Cruise-o-phoben sogar Unterwäsche aus der Mode hätte bringen können – nimmt die Popularität der Luftgitarre, des Instrumentes, das nur in der Phantasie des Spielers existiert, immer weiter zu.

Sogar in Spanien, ein Land fest in der Hand von Housemusik, taucht sie immer häufiger auf. Auf einer der größten Rockparties Barcelonas verlor eure Korrespondentin kürzlich ein Stück Schneidezahn, als sie sich zu waghalsig unter die wild in die Saiten hauende Menge mischte. Von Argentiniern im Punk-Look über schwedische Surfer bis hin zu Australiern, die im normalen Leben reiche Franzosen auf Yachten die Mittelmeerküste entlang schippern, war dort alles vertreten – vor der Air Guitar sind alle Menschen gleich, sie kennt weder Landesgrenzen noch Klassenunterschiede.

Der Traum des Luftschlossrockers

Sie ist aus dem Schatten ihrer großen Schwester gerückt und eine eigene Form der Kunst geworden. In einem Artikel in der New York Times im September diesen Jahres erklärte Dan Crane, seines Zeichens begeisterter Luftgitarrist: "Beim Luftgitarrespielen darfst du nicht so tun, als wärst du ein Rockstar. Du musst der Rockstar sein."

Seit 1996 gibt es die Weltmeisterschaft in Oulu, Finnland, und andere Länder zogen daraufhin mit nationalen Vereinigungen und Wettbewerben nach. Sogar Saudi Arabien veranstaltet inzwischen einen eigenen Landeswettkampf, auf denen eben diese Rockstars ihr Können vor einem begeisterten Publikum und einer kritischen Jury zur Schau stellen.

Katharina "Leni Krawitzkowsky" Tomaschek vertrat Deutschland bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in Oulu. "Zum einen trifft man sehr nette leicht abgedrehte Menschen. Der Weltfrieden – für den wir spielen – ist ein zweiter sehr guter Grund auf der Bühne zu wilden Klängen noch wilder mit den Armen zu rudern. Es ist eine Art Ausdruck purer Lebensfreude, andere Menschen malen oder singen, wir greifen in die Luftsaiten und lassen es scheppern", erklärt sie ihre Affinität.

Die Weltmeisterschaft lässt Luftschlossrocker ihren Traum leben, wer gewinnt, ist den Teilnehmern am Ende eher unwichtig. "Niemand hatte so wirklich den Ehrgeiz besser zu sein als die anderen, der Zusammenhalt war wesentlich wichtiger und deutlich zu spüren. Den Gewinner haben wir hochleben lassen und der Rest hat uns hinter der Bühne wenig interessiert," fügt Katharina hinzu.

Der Weltfrieden mag für manche ein Grund sein. "Nach der Ideologie der Luftgitarre, werden die ganzen Kriege und Krankheiten aufhören zu existieren und alle schlechten Dinge werden verschwinden, wenn jeder in der Welt nur Luftgitarre spielt", erklärt Friedericke van Meer von der German Air Guitar Federation. Uri, Mitveranstalter des Danzka Air Guitar-Wettbewerbs in Barcelona im November 2005, glaubt hingegen, dass Eitelkeit und der Adrenalinkick eine große Rolle spielen. "Wer wäre denn nicht gerne ein Rockstar? Du stehst auf der Bühne und die Leute jubeln dir zu, die Menge tobt. Man muss über seinen eigenen Schatten springen, die Scham verlieren."

Bei manchen Luftgitarristen befürchtet man schon eine gespaltene Persönlichkeit . Gesetzestreue Bürger nennen sich plötzlich "Pelvis Fenderbender" oder "The Rockness Monster" und tragen glitzernder Kostüme und Langhaarperücken. Jordi alias "MazingerMolina" tauchte auf dem Wettbewerb in Barcelona in lila Leggins und ausgestopftem Schambereich auf. "Satan befiehlt mir, Air Guitar zu spielen. Er gab mir die Aufgabe, den echten Metal vor korrupten Medien zu beschützen!" schrie er in die Fernsehkameras. Ein paar Minuten und ein Bier später jedoch gab er zu, eigentlich Arzt zu sein und flüsterte verschwörerisch, dass dies sein erster Wettbewerb sei.

"Könnte ich Gitarre spielen, würde ich sicher großartig dabei aussehen."

Doch nicht alle wollen einmal im Leben ein Rockstar sein. Für manche ist die Air Guitar eine Art humorvolle künstlerische Ausdrucksform. Jordan Stone aus Toronto reist mit seiner Luftgitarre um die Welt und macht Fotos vor berühmten Bauwerken. Seine Sammlung umfasst bereits mehrere Dutzend Bilder, vor dem Guggenheim Museum in Bilbao zum Beispiel, und dem Kreml in Moskau. "Ich kann nicht Gitarre spielen, aber ich glaube, wenn ich es könnte würde ich einfach großartig dabei aussehen. Warum sollte ich mir also durch meine völlige Talentlosigkeit den Spaß verderben lassen?"

Aus welchem Grund auch immer, die wachsende Anzahl nationaler und internationaler Vereinigungen scheint nicht nur eine Folge des Informationszeitalters zu sein, sondern ein Zeichen, dass die Air Guitar ein echtes soziales Phänomen ist. Die Britin Amanda Griffiths jedenfalls ist davon überzeugt und schreibt derzeit ihre Doktorarbeit an der Salford Universität über Geschlechterunterschiede in der Luftgitarrenbewegung.

Aber auch die gute, alte Luftgitarre bekommt die Zeichen der Zeit zu spüren. Inzwischen gibt es Soundsysteme für Air-Gitarristen, die mit Hilfe von Infrarotsensoren und Computertechnik Handbewegungen in Klänge umwandeln. Und wem die Gitarre zu altmodisch ist, kann sich im Airscratching versuchen – einfach den Kopf schief legen, mit einer Hand den imaginären Kopfhörer ans Ohr drücken und mit der anderen das Luftvinyl bearbeiten, bis die Menge tobt.

Rock, rock on!

49 / 2005
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