Soundtrack

So klingt... das Büro, wenn draußen alle feiern

Manchmal ist eine Brücke eben doch nicht nur etwas, über das man geht. Für jemanden ist sie vielleicht Punk. Oder die Pixies. Drei Geschichten, drei Orte, drei Songs. Heute: Drei Geschichten, drei Orte, drei Songs. Ein Radiostudio und Mia: "Was es ist"

Von Diane Hielscher

Silvester von 2003 auf 2004. Sylvie muss am 1.1. arbeiten, Frühdienst. Das heißt: keine Party, kein Alkohol. Sylvie ist 32 Jahre alt, Redakteurin beim Radio. Sie schreibt und liest Nachrichten. Mit Kater ist das acht Stunden lang zu viel.

Sie sieht fern – um sie rum Party. In fast jeder Wohnung wird getanzt, gefeiert, gelacht, geschrieen. Auch sie wohnt im Friedrichshain – eine relativ gediegene Gegend. Heute nicht, heute ist Silvester. Heute stinkts nach Schwefel. Auf der Straße knallts, zischts, leuchtets. Sie schaut sich "Dinner for one" an. Kommt sich vor wie Miss Sophie. Ohne Butler. Aber mit Dinner. Schnecken gibt’s bei ihr. Wenn schon keine Party, dann wenigstens teures Essen.

Ich dreh den Kopf und bin noch müde. Ich hatte eine kurze Nacht. Lass meine Augen zu und frag mich: was hat mich um den Schlaf gebracht? Ich fühl Dich bei mir und genieße Deine Hand in meiner Hand. Was ich jetzt weiß und noch nicht wusste, bin nicht mehr fremd in meinem Land.

Um 3 Uhr 30 wird der Wecker klingeln, dann mehr als eine Stunde lang Bahn fahren, in den Sender. Um kurz nach fünf im Sender. Dann eine Stunde Vorbereitungszeit. Um 6 Uhr 10 das erste mal Schlagzeilen, um 6 Uhr 30 die ersten Nachrichten. Korrespondenten anhören, Texte schreiben, ins Studio, vorlesen. Aber noch nicht. Noch sitzt sie in ihrem Wohnzimmer. Lärm überall. Schlafen kann sie eh nicht.

Um punkt zwölf – noch dreieinhalb Stunden Schlaf – geht sie auf den Balkon. Er ist klein, man kann grade drauf stehen. Der Himmel ist voll mit Glitzer, blau, rot, silber. Dazu: Mia "Was es ist" in der Remix-Version, sechs Minuten lang. In der Hand hält sie ein Glas Sekt, das geht, nur ein Glas. Kein Problem. Sie kann die Anlage voll aufdrehen, stört niemanden. Die Beats hämmern durch ihr Zimmer, raus auf den Balkon.

Es ist was es ist sagt die Liebe Was es ist, fragt der Verstand. Wohin das geht, das wollen wir wissen, mmh Es ist, was es ist, sagt die Liebe. Was es ist, sagt der Verstand. Ich freu mich auf mein Leben. Mache frische Spuren in den weißen Sand.

Von Sylvies Balkon kann man die Dächer vom Friedrichshain sehen. Die anderen Menschen auf den Balkonen, auf der Straße. Alle feiern. Sie steht nur da – hört Mieze von Mia singen. Ein bisschen traurig, aber nicht richtig. Vielleicht nur ein bisschen.

Es ist was es ist.

Nächstes Jahr will sie nicht an Silvester arbeiten. Sie schaut auf die Straße – Ebertystraße, in Berlin Friedrichshain. Eine ganz normale, kleine, unauffällige Straße. Nichts Besonderes. Jetzt eine Riesenparty. Auf Sylvies Balkon: eine kleine Party und das Wissen, morgen früh wieder Geld zu verdienen. Das Wissen: einen Job zu haben. Einen ganz guten. Aber ein komisches Privatleben.

Es ist was es ist, sagt die Liebe. Was es ist, sagt der Verstand.

Ein Privatleben, das sich um den Dienstplan herum ereignet. Ein Dienstplan, der einem sagt, wann man feiern darf – und das ist nicht das Silvester von 2003 auf 2004.

47 / 2005
(c) ZEIT online