Castor
"Eher dagegen"
Gestern rollte der Castor- Transport durchs Wendland. Zuender-Autorin Anja schlug sich mit den Protestlern durchs Unterholz, konnte den Castor aber nicht stoppen. Dafür sorgte auch ihr Onkel, der als Polizist auf der anderen Seite stand
Anja Humburg
"Anja hat die Berechtigung, als getarnte Provokateurin an den Castor-Demonstrationen teilzunehmen", steht auf meiner Demo-Card. Zusammen mit dem "Atomkraft – Nein Danke"-Button ziert sie meine Winterjacke. Noch ist Solarstromwetter. Zur Auftaktkundgebung am Samstag versammeln sich mehr als 4.000 Atomkraftgegner in Hitzacker an der Elbe. Gelbe Luftballons flattern über den Gleisen, darunter bewacht eine lange Polizeikette die letzten Kilometer der Castor-Strecke zwischen Lüneburg und Dannenberg. Ein kleiner Mops läuft neben mir. Der Hund trägt ein T-Shirt und die Demo-Card.
Während der Zug am Abend in der französischen Wiederaufarbeitungsfabrik in La Hague startet, setzt sich der phantasievolle Widerstand in den vielen kleinen Dörfern im Landkreis Lüchow-Dannenberg fort. Als ich am Sonntagnachmittag nach Klein Gusborn auf den Acker komme, haben 150 Bauern ihre Trecker zu einem X formiert. Tausend Menschen stampfen und klatschen im Takt zu der französischen Trommlergruppe Doukalli. Sie schlägt eine Brücke rüber zu uns deutschen Demonstranten. "Genau wie die Radioaktivität", sagt Cécile Lecomte von Attac Frankreich, "macht auch unser Protest nicht an der Grenze halt." Am Abend versperren die Trecker die Landstraße.
Nass vom Regen und durchgefroren nach stundenlangem Stehen beschließen wir, zum Musenpalast zu gehen. Hier im Zirkuszelt – "Waffen verboten, bitte nicht rauchen, Stopp Castor" steht vorne angeschlagen - ist es warm. Seit Stunden läuft ein Kulturprogramm. Ein Gaukler schluckt Feuer, ein Zauberer will den Castor verschwinden lassen, schafft es aber nicht ganz, Tänzerinnen und Musiker bringen Heiterkeit in die Nacht. Wir beschließen, ein paar Stunden zu schlafen.
Es ist Montag, Tag X, fünf Uhr dreißig. Für die Uni habe ich heute keine Zeit: Der Castor ist schon in Lüneburg. Mit meiner kleinen Gruppe, die auf den Namen "Katzenklopfer" hört, fahre ich in den Ort Harlingen zwischen Hitzacker und Dannenberg. Zusammen mit einigen schwarz gekleideten Vermummten schaffen wir es durch den Wald bis an die Schienen. Befehle schallen und Sekunden später umzingelt uns eine Polizeitruppe. Ich bekomme meinen ersten Platzverweis, zwei weitere werden an diesem Tag folgen. Für unsere Personalien ist jedoch keine Zeit.
Den Vormittag verbringen die Katzenklopfer dann an der Böschung des Bahndamms und rangeln gelegentlich mit den Beamten. Im nebeligen Sonnenaufgang stehen die Wasserwerfer hinter uns auf der beraureiften Wiese. Hubschrauber kreisen. Berittene Polizisten bilden eine Kette. Durch die Bäume dringen spärlich Ansagen eines Lautsprecherwagens, der über die aktuelle Lage des Zuges informiert. Dann plötzlich rollt er nur fünf Meter neben mir langsam vorbei: eine rote Lok und dann zwölf silberne Behälter. Im Anschluss die Polizisten. Sie stehen auf den Waggons, schauen auf uns herab, filmen und lachen dabei. Zu der Wut und Traurigkeit in meinem Bauch kommt jetzt auch noch die Demütigung. Ich fühle mich wie eine Verbrecherin.
Ob er hinter seinem Job steht, frage ich einen Polizisten – einer von den 10.000 um den Castor herum. "Wir dürfen hier doch gar keine eigene Meinung haben", gibt er kleinmütig zu – mehr Verständnis, als ich erwartet hatte. Mein Onkel steht auch auf der anderen Seite. Er ist Bundespolizist und wohnt wie ich im Wendland. Normalerweise sichert er mit seinen Kollegen Fußballspiele oder Nazi-Aufmärsche. Beim Einsatz zum Castor-Transport kümmert er sich um die Technik. Licht machen und manchmal Menschen aus dem Gleisbett schneiden. Fast jedes Jahr war er dabei. Anfangs sei da kein Unterschied gewesen zwischen dem Castor-Transport und einem gewöhnlichen Einsatz, meint er. Dann habe ihn immer mehr mit dem Thema verbunden, die Region – seine Heimat – und eine schlimme Krebs-Erfahrung in der eigenen Familie. "Ich nehme die Demonstranten hier viel ernster als die Fußballfans, wir begegnen uns mit viel mehr Respekt", sagt er. Er sei ja selbst "eher gegen als für den Mist". Den Job als Bundespolizist kann er trotzdem ruhigen Gewissens vertreten. "Den Kontakt zu den Demonstranten suche ich freiwillig, ich bemühe mich, an die Brennpunkte zu kommen." Schlichten zwischen den Atomkraftgegnern und den eigenen Kollegen gelingt ihm besser als so manchem Konfliktmanager – wahrscheinlich, weil er aus Überzeugung ehrlich ist.
Es ist fünf nach zwölf. Sechs Stunden verspätet stoppt der Zug im Verladebahnhof in Dannenberg. Die heiße Phase beginnt. Niemand weiß, wann die LKW zum Zwischenlager aufbrechen werden. Unterdessen hängen in den Bäumen über der Nordstrecke Leute von Robin Wood, Hunderte setzen sich auf der Dorfstraße in Gorleben quer. Nach ein paar Stunden tragen mich zwei Polizisten weg. In Grippel, da wo Nord- und Südstrecke zusammenlaufen, sind zwei Trecker mit mehreren Menschen zusammengekettet und einbetoniert. "Die Aktion hat uns durchaus Probleme bereitet", wird der Innenminister später zugeben.
Vieles ist schon Routine. Die Menschen auf der Straße begegnen sich mit großem Vertrauen, obwohl sie sich noch nie gesehen haben. Bis in die frühen Morgenstunden des Dienstages hat die Polizei mit dem Entwirren des dicken Knäuels aus Widersetzern zu tun. Mit dem Aggressivitätspotenzial steigt das Verletzungsrisiko, beiderseits. Fünf Polizisten und 14 Demonstranten werden insgesamt als verletzt registriert. Erst um fünf Uhr fahren die zwölf LKW los. Eine Stunde später stehen sie auf dem zwanzig Kilometer entfernten Gelände des Gorlebener Zwischenlagers und alles ist vorbei.
Nächstes Jahr soll es keinen Transport geben, sagt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann. Die Polizisten müssten sich ja "um den Schutz der Fußballweltmeisterschaft kümmern".
41 /
2005
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