Gefühlslupe
Meine Fastfood-Sucht
Angst vor dem Horrorfilm, Nervosität vor einem Date, Freude auf den Sommerurlaub, Unbehagen im Fahrstuhl: Der Zuender nimmt den Alltag unter die Gefühlslupe. Heute: Die Sucht nach Fastfood, das schlechte Gewissen beim Essen und wie es ist, beim Burger-Brater Stammkunde zu sein
Das Rascheln der Tüte. Ich liebe es. Ich sitze auf meinem Sofa und trage immer noch mein Discokleidchen, bin voll aufgestylt. So könnte ich sofort wieder zurück in die Party-Nacht, aber: Ich esse Chicken McNuggets mit süßsaurer Sauce - ich fröne meinem Fastfood-Fetisch.
Ich habe sie irgendwann mal zugelassen: die verhängnisvolle Begegnung meines Gaumens mit dem Saucen-Dip "Süß-Sauer". Kombiniert mit Chicken McNuggets aus dem Kalorien-Pfuhl ein paar Straßen weiter. Seitdem komme ich nicht mehr davon los. Ich hatte schon Momente, da glaubte ich sie zu riechen, obwohl weit und breit kein Fastfood-Laden war. Einmal saß ich im Zug neben einem Mann, der welche aß. Fast hätte ich ihn gefragt, ob ich mal beißen darf. Das gibt mir zu denken.
Es geschieht nie am helllichten Tag. Ich esse nachts, am liebsten von Freitag auf Samstag, wenn es als Vorspeise Tanzen gab - weil sie irgendwie dazugehören zum Partyprogramm. Wenn ich dann nach dem Feiern ganz ungestört bin in meiner Wohnung, bilde mir ein, dass das jetzt überhaupt nicht schlimm ist. Dinge, die man mitten in der Nacht tut und die keiner sieht, haben am nächsten Morgen oft so was Unwirkliches. Als wären sie eigentlich gar nicht passiert. Mit etwas Alkohol erscheint mir dieser Gedanke geradezu logisch.
Tausche Schuldgefühle gegen Alibi-Äpfel
An einem Wochenende übernachtete ich mal bei einer Freundin. Es war eines unserer Pseudo-Diät-Wochenenden, an dem Alkohol die einzig erlaubte Kalorie sein sollte. Und wir gingen abends tanzen. Ich verabschiedete mich früher mit ihrem Wohnungsschlüssel und kam zufällig noch bei McDonalds vorbei. Meine Freundin klingelte kurz darauf an der Tür, da hatte ich noch nicht aufgegessen. Oh nein! Ich warf die Raschel-Tüte durchs Fenster in den Vorgarten. Der Long-Island-Ice-Tea, den ich zuvor getestet hatte, überzeugte mich, dass dies die einfachste Form der Beseitigung war. Meine Freundin lachte Tränen.
Wie jeder Junkie belüge ich mich selbst. Von den goldbraunen Talern lasse ich immer einen übrig - damit ich mir am nächsten Morgen nicht den Vorwurf machen muss, wirklich alle aufgegessen zu haben. Der nächste Morgen ist sowieso schon schlimm genug. Dann fühle ich mich immer wie der übernächtigte Robbie Williams in seinem After-Party-Song "Come undone". Wenn ich an dem Mülleimer vorbeischleiche, in dem die zerknüllte Essens-Tüte liegt. Eine Ecke ragt strafend heraus, schon fühle ich mich schuldig. Schnell stehle ich mich in den Supermarkt und kaufe lauter Alibi-Äpfel. So nenne ich das Obst, von dem ich immer ganz viel horte, obwohl ich weiß, dass die Hälfte in meinem Single-Haushalt verschrumpelt. Aber alleine dadurch, dass die Alibi-Äpfel in meiner Küche sind, beruhigen sie mein Gewissen. Doch da ist noch die Waage in meinem Fitness-Center. Nach einem Chicken-Exzess guckt sie immer besonders vorwurfsvoll und ich beschwichtige sie: "Nie wieder Fastfood!"
Im Hintergrund "Spiel mir das Lied vom Tod"
Und dann esse ich es doch, obwohl ich gar nicht will. Das Burger-Team bei mir um die Ecke kennt mich schon. Peinlich. Man quält mich bereits. Eines Nachts ging ich wieder zu McDonalds. Ich stand vor dem Tresen, wollte bestellen, die Mitarbeiter guckten mich an. Schnitt - die Szene läuft weiter in Zeitlupe. Die Männer lächeln leise, schütteln langsam ihre Köpfe. "Na-hein", schwindeln sie, "alles schon we-heg. Keine Nuggets mehr da-ha." Dazu Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" im Hintergrund. Okay, die Filmmusik lief nicht im Hintergrund, aber sie wäre mein Soundtrack gewesen in diesem Moment.
Ich kann es aber noch schaffen. Denn noch bin ich stolz genug, mir mein Opferrolle als Chicken-Chica nicht auf dem Silbertablett servieren zu lassen. Das letzte Wochenende spricht für mich: Ich gehe zu McDonalds. Als ich zur Tür hereinkomme wedelt der Verkäufer schon mit einer fertig gepackten Fastfood-Tüte. "Hunger?" Er grinst er mich an. Also nee. Ich drehe mich um und stolziere nach Hause. So leicht bin ich dann doch nicht zu haben.
Das Rascheln der Tüte. Ich liebe es. Ich sitze auf meinem Sofa und trage immer noch mein Discokleidchen, bin voll aufgestylt. So könnte ich sofort wieder zurück in die Party-Nacht, aber: Ich esse Chicken McNuggets mit süßsaurer Sauce - ich fröne meinem Fastfood-Fetisch.
Ich habe sie irgendwann mal zugelassen: die verhängnisvolle Begegnung meines Gaumens mit dem Saucen-Dip "Süß-Sauer". Kombiniert mit Chicken McNuggets aus dem Kalorien-Pfuhl ein paar Straßen weiter. Seitdem komme ich nicht mehr davon los. Ich hatte schon Momente, da glaubte ich sie zu riechen, obwohl weit und breit kein Fastfood-Laden war. Einmal saß ich im Zug neben einem Mann, der welche aß. Fast hätte ich ihn gefragt, ob ich mal beißen darf. Das gibt mir zu denken.
Es geschieht nie am helllichten Tag. Ich esse nachts, am liebsten von Freitag auf Samstag, wenn es als Vorspeise Tanzen gab - weil sie irgendwie dazugehören zum Partyprogramm. Wenn ich dann nach dem Feiern ganz ungestört bin in meiner Wohnung, bilde mir ein, dass das jetzt überhaupt nicht schlimm ist. Dinge, die man mitten in der Nacht tut und die keiner sieht, haben am nächsten Morgen oft so was Unwirkliches. Als wären sie eigentlich gar nicht passiert. Mit etwas Alkohol erscheint mir dieser Gedanke geradezu logisch.
Tausche Schuldgefühle gegen Alibi-Äpfel
An einem Wochenende übernachtete ich mal bei einer Freundin. Es war eines unserer Pseudo-Diät-Wochenenden, an dem Alkohol die einzig erlaubte Kalorie sein sollte. Und wir gingen abends tanzen. Ich verabschiedete mich früher mit ihrem Wohnungsschlüssel und kam zufällig noch bei McDonalds vorbei. Meine Freundin klingelte kurz darauf an der Tür, da hatte ich noch nicht aufgegessen. Oh nein! Ich warf die Raschel-Tüte durchs Fenster in den Vorgarten. Der Long-Island-Ice-Tea, den ich zuvor getestet hatte, überzeugte mich, dass dies die einfachste Form der Beseitigung war. Meine Freundin lachte Tränen.
Wie jeder Junkie belüge ich mich selbst. Von den goldbraunen Talern lasse ich immer einen übrig - damit ich mir am nächsten Morgen nicht den Vorwurf machen muss, wirklich alle aufgegessen zu haben. Der nächste Morgen ist sowieso schon schlimm genug. Dann fühle ich mich immer wie der übernächtigte Robbie Williams in seinem After-Party-Song "Come undone". Wenn ich an dem Mülleimer vorbeischleiche, in dem die zerknüllte Essens-Tüte liegt. Eine Ecke ragt strafend heraus, schon fühle ich mich schuldig. Schnell stehle ich mich in den Supermarkt und kaufe lauter Alibi-Äpfel. So nenne ich das Obst, von dem ich immer ganz viel horte, obwohl ich weiß, dass die Hälfte in meinem Single-Haushalt verschrumpelt. Aber alleine dadurch, dass die Alibi-Äpfel in meiner Küche sind, beruhigen sie mein Gewissen. Doch da ist noch die Waage in meinem Fitness-Center. Nach einem Chicken-Exzess guckt sie immer besonders vorwurfsvoll und ich beschwichtige sie: "Nie wieder Fastfood!"
Im Hintergrund "Spiel mir das Lied vom Tod"
Und dann esse ich es doch, obwohl ich gar nicht will. Das Burger-Team bei mir um die Ecke kennt mich schon. Peinlich. Man quält mich bereits. Eines Nachts ging ich wieder zu McDonalds. Ich stand vor dem Tresen, wollte bestellen, die Mitarbeiter guckten mich an. Schnitt - die Szene läuft weiter in Zeitlupe. Die Männer lächeln leise, schütteln langsam ihre Köpfe. "Na-hein", schwindeln sie, "alles schon we-heg. Keine Nuggets mehr da-ha." Dazu Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" im Hintergrund. Okay, die Filmmusik lief nicht im Hintergrund, aber sie wäre mein Soundtrack gewesen in diesem Moment.
Ich kann es aber noch schaffen. Denn noch bin ich stolz genug, mir mein Opferrolle als Chicken-Chica nicht auf dem Silbertablett servieren zu lassen. Das letzte Wochenende spricht für mich: Ich gehe zu McDonalds. Als ich zur Tür hereinkomme wedelt der Verkäufer schon mit einer fertig gepackten Fastfood-Tüte. "Hunger?" Er grinst er mich an. Also nee. Ich drehe mich um und stolziere nach Hause. So leicht bin ich dann doch nicht zu haben.
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2005
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