denyo

"Die Gefahr unterzugehen ist groß"

Die fetten Jahre sind vorbei. Auch im HipHop. Mit dem Zuender sprach der ewige Beginner Denyo über Sidos Duschgelreklame und warum es okay ist, sich vor den Karren von Mobilfunkanbietern spannen zu lassen.

Fragen von Boris Fust

Zuender: Auf dem Cover deiner zweiten Soloplatte sieht man Denyo, Denyo, Denyo und nicht zuletzt Denyo. Zusammen seid ihr "The Denyos". Was macht denn eine "The-Band" im HipHop?

Denyo: Ich mag einfach diese "The"-Bands. Irgendwann werde ich auch einmal ein für eine "The-Band" typisches Album machen – nur zehn Tracks, zwanzig Minuten Länge. Der Titel: "Top Ten". Jetzt war das noch nicht drin. Im Rap ist es ja so: Du musst eine gewisse Spiellänge bieten und eine gewisse Anzahl von Tracks, sonst kaufen die Leute das nicht. Die sind daran gewöhnt, dass ein Album über 70 Minuten dauert und 18, 19, 20 Tracks enthält. Das ist eigentlich viel zu lang. Jay-Z macht diesen Fehler gern. Oder Cam’ron: Auf dessen Platte Purple Haze befinden sich 24 Tracks, von denen nur jeder vierte cool ist. Ich mache lieber weniger Stücke, die dann aber vernünftig.

Zuender: HipHop ist nun einmal sehr Track-orientiert. Die Kunstform eines Albums, wie sie der Rock erfunden hat, gibt es dort nur am Rande.

Denyo: Tatsächlich sind HipHop-Platten im Grunde genommen Track-Sammlungen. Es gibt ganz wenige Konzeptalben im Rap. Die spielen aber keine Rolle und floppen regelmäßig, selbst wenn sie gut sind.

Zuender: Stehen konzeptionelle Überlegungen also grundsätzlich hinten an? Ist HipHop Beat-Bastelei oder Musikproduktion?

Denyo: Das ist unterschiedlich. Bei meiner ersten Soloplatte Minidisko führte mich der Weg von den Beginnern zurück in die kleinen Hallen. Also habe ich ein Album gemacht, das sehr dem entsprach, was ich persönlich machen wollte. Ein Konzept gab es überhaupt nicht. Ich habe ganz einfach nur gemacht, was mich persönlich geflashed hat. Als die Beginner dann "Blast Action Heroes" gemacht haben, wollte ich dann aber sehr bewusst einen anderen Style kicken. Mit The Denyos setze ich diesen Weg nun fort. In der Rückschau ahnt man tatsächlich eine Entwicklung, die das Ganze genommen hat. "The Denyos" klingt ganz anders, es ist fast schon die Kehrseite von Minidisko : wesentlich mehr auf die Zwölf, mit einer weitaus positiveren Attitude.

Zuender: Die ersten Reaktionen gehen tatsächlich in diese Richtung: Aggro Berlin war gestern, jetzt kommt Denyo mit einer positiven Message.

Denyo: Es handelt sich aber um keine vorsätzliche Reaktion auf die im Augenblick angesagte Gangsta-Diskussion. Sagen wir mal so: Ich bin seit 14 Jahren dabei und stehe schon deshalb einfach mal zehn Stufen über Fler. Ich würde mich niemals dazu herablassen, ein Album wegen irgendwem zu machen, der erst seit zwei Jahren rappt. Letzten Endes ist mein Album aber doch eine Art Gegenpol, auch wenn ich das nicht absichtlich so angelegt habe. Mein Style ist eine Alternative zum Hype: Er ist wesentlich entspannter und intelligenter angelegt, eben eher etwas für Leute, die Bock auf Rap haben, aber keinen Bock auf Gehampel um Bitches, Hurensöhne und Fick-Deine-Mutter-Phrasen. Das brauch’ ich nicht, das will ich nicht haben.

Zuender: Wie beurteilst du die aktuelle Diskussion um Aggro und Konsorten?

Denyo: Aggro ist ein Label wie jedes andere. Dabei ist es schon eine Leistung, sich derart durchzusetzen. Ich finde es geil, wenn Independent-Labels es schaffen, sich verkaufsmäßig auf so hohem Level zu etablieren. Aggro hat eigene Infrastrukturen geschaffen und arbeitet professionell. Das ist cool, das respektiere ich. Na ja, und dann gibt es eben Künstler, die ich okay finde, und welche, die ich nicht okay finde.

Zuender: Welche sind okay?

Denyo: Einen Sido finde ich okay, auch wenn ich nicht alles cool finde, was der macht – bei weitem nicht. Trotzdem: Der Mann hat Ideen, da steckt etwas dahinter. Er ist ein guter Rapper, macht cooles Entertainment. Er weiß, wie das Spiel funktioniert – und bei allem, was er macht, ist immer ein leichtes Augenzwinkern dabei. Da kann man nichts gegen sagen. Und dann gibt es andere Leute, das sind Gurken. Die springen auf den Zug auf, hängen bei anderen im Nightliner rum und machen einen auf dicke Hose. Die wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben. Letztendlich interessieren die nicht. Das sind Mitläufer.

Zuender: Sido war vor einiger Zeit bei einer abstrusen Veranstaltung zu erleben: Die Duschgelmarke AXE richtete im Rahmen einer niederschwelligen Werbekampagne eine angebliche Weltmeisterschaft im Ching, Chang, Chong aus. Elton moderierte mit Ruth Moschner, Sido gab Mein Block zum Besten.

Denyo: Elton! Stefan Raab! Ja, ja, das ist Sidos neue Posse ....

Zuender: Wird HipHop demnächst zur Attraktion auf Galaveranstaltungen? Du hast ja auch neulich auf dem O2 Music Flash gespielt, ein Gratis-Event, das Mobilfunkangebote bewerben soll. Gibt es für solche Engagements soviel Kohle, dass man darauf nicht verzichten kann und will?

Denyo: Ja. Der Musikbranche geht es ja generell nicht gut. Als Künstler muss man daher sehr darauf achten, dass man mit seinen Platten Gehör findet. Die Situation ist die: Labels veröffentlichen immer mehr Tonträger mit immer kleineren Budgets. Die Folge ist steigender Konkurrenzdruck. Die Gefahr ist groß, dass man untergeht. Deshalb finde ich es okay, dass man heute Sachen macht, die man vor fünf Jahren nicht gemacht hätte. Die Beginner hätten Anfragen dieser Art grundsätzlich mit einem klaren "Nein" beantwortet. Allerdings waren wir mit 200 000 verkauften Platten in einer ausgesprochen luxuriösen Position. Soviel würden wir heute niemals mehr verticken. Ich verteufle diese Art der Promotion nicht mehr, aber ich versuche darauf zu achten, dass das Ganze noch halbwegs smart ist und ich mich nicht völlig verkaufe. Aber trotzdem: Ich würde auch zu Wetten, dass ...? gehen!

Zuender: Die Mobilfunkbranche will bekanntlich ins Download-Geschäft einsteigen. Sollte über kurz oder lang der physische Tonträger erledigt sein – was wird dann aus einer Kultur, die sich aus dem Umgang mit Vinyl entwickelt hat?

Denyo: Dass HipHop sich um den Plattenteller dreht – das war einmal. Eigentlich ist das alles längst passiert, die Auswirkungen sind bereits deutlich spürbar, ganz egal, was O2, E-Plus oder sonstwer sich demnächst noch einfallen lässt. Bereits jetzt kaufen die Leute weder Vinyl noch CDs. Sie laden sich das herunter, rippen die Tracks oder wollen sowieso nur noch den Klingelton. In ein paar Jahren hat man dann einen iPod, mit dem man telefonieren kann, oder man kann sich Videos auf dem Handy anschauen. Es stimmt: HipHop ist eine Kultur, die eine sehr enge Beziehung zum Tonträger hat. Da ist die Schallplatte, da ist der DJ, der sie auflegt. Nur ist HipHop ein ausgesprochen wandlungsfähiges Genre, weil die Musik eben auf Samples basiert. Rap kann umstandslos wie Rock, Latin, Jazz oder indische Folklore klingen. Man darf die Augen nicht verschließen und muss überlegen, wie man neue Entwicklungen für sich nutzen kann. Inzwischen gibt es ein Programm, das durch eine Art Plattenteller-Controller bedient wird. Damit lassen sich MP3s scratchen. Gerade für kleinere Acts ergeben sich auch große Chancen. Bisher war es so: Wenn du ein Video machst, dass von den Musiksendern abgelehnt wird, kannst du den Clip in die Tonne kloppen. Wenn sich demnächst jemand das Video auf das Handy ziehen kann, ist das doch besser, als wenn man mit dem Streifen gar nichts mehr machen kann.

Zuender: Also: Der Künstler als Unternehmer seiner selbst?

Denyo: Das sowieso. Aber das ist bei uns ohnehin selbstverständlich. Wir sind so lange dabei, dass wir wissen, wie was zu laufen hat. Und alle wissen, dass wir es sind, die sagen, was geht. Wir sind ja nicht Yvonne Catterfeld.

Zuender: Was machen denn eigentlich die Beginner?

Denyo: Die Beginner? Wir gehen abends weg, was trinken. Und Denyo hat gerade sein Soloalbum gemacht.

41 / 2005
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