Wahl

Merkel kommt – und ich würde am liebsten weglaufen

Niemand hat je behauptet, dass Schröder jemals ein Idealist gewesen sei. Nur: Schröder konnte ich einschätzen, Merkel nicht.

Von Christian Bangel

Schröder ist weg. Ich bedaure das nicht, denn wirklich sympathisch war er mir nie. Zu pragmatisch war mir sein Weltbild, zu deutlich sein eigentliches Grundanliegen: Er selbst. "Ich will hier rein" ist zum geflügelten Wort für schließlich doch noch gesättigten Machthunger geworden. Selbst sein Handeln im Irakkrieg entstand aus Kalkül: Einige Monate später waren Bundestagswahlen. Schröder lag zurück. Und gewann sie doch noch. Seit Schröder vor sieben Jahren Kanzler wurde, suche ich bei ihm, dem ehemaligen langhaarigen Juso-Vorsitzenden, nach einer Überzeugung. Ich habe wenig gefunden. Doch da ist etwas. Seine Empörung über Neonazis in den neuen Bundesländern schien echt zu sein. Künstler berichten aus den Runden im Kanzleramt, dass Schröder ihnen aufmerksam zuhört. Der Kulturetat des Bundes wurde gehalten. Es gibt Dinge, die Gerhard Schröder wichtig sind - abgesehen von der Wirtschaft und sich selbst.

Bei Merkel sehe nichts. Mir fehlt bei ihr die innere Bindung zu irgendeinem Zustand. Früher hatte Angela Merkel mal die Unterstützung des CDU-Sozialflügels. Das änderte sich, als es Merkel für opportun hielt, den radikalen Systemumbau zu empfehlen. Was hat sich bei ihr gewandelt? Sieht sie inzwischen, dass wir ein anglo-amerikanisches Wirtschaftsmodell brauchen? Oder setzt sie sich damit von ihren innerparteilichen Konkurrenten ab? Mit einem Profil, dem viele andere auf Grund traditioneller Wählerbindungen nicht folgen konnten? Ich kann Angela Merkel nicht einschätzen. Sie scheint den Menschen nicht zu vertrauen. Diese innere Gestimmtheit hat schon viele Politiker zu restriktiven, intoleranten Handlungsweisen geführt. Was passiert nach einem Terroranschlag in Deutschland? Wird Merkel dafür einstehen, dass der Rechtsstaat seine Grenzen nicht überschreitet? Wird sie sich zurückhalten, wenn wieder ein amerikanischer Präsident die Welt mit seiner Knarre aufräumen will? Ist es Angela Merkel ein Anliegen, dass die Gräben zwischen den Menschen nicht zu tief werden? Dass die sich neu entwickelnde städtische Unterschicht nicht noch weiter abdriftet? Dass keine unbetretbaren Ghettos in Deutschland entstehen? Ich weiß es nicht. Und das macht mir Angst. Soviel Angst, dass mir ein machthungriger, aber berechenbarer Exlinker lieber ist als eine genauso machthungrige, aber unberechenbare Unentschiedene.

Der Contra-Artikel: Merkel kommt – Zeit wird’s

Von Christian Bangel

Schröder ist weg. Ich bedaure das nicht, denn wirklich sympathisch war er mir nie. Zu pragmatisch war mir sein Weltbild, zu deutlich sein eigentliches Grundanliegen: Er selbst. "Ich will hier rein" ist zum geflügelten Wort für schließlich doch noch gesättigten Machthunger geworden. Selbst sein Handeln im Irakkrieg entstand aus Kalkül: Einige Monate später waren Bundestagswahlen. Schröder lag zurück. Und gewann sie doch noch. Seit Schröder vor sieben Jahren Kanzler wurde, suche ich bei ihm, dem ehemaligen langhaarigen Juso-Vorsitzenden, nach einer Überzeugung. Ich habe wenig gefunden. Doch da ist etwas. Seine Empörung über Neonazis in den neuen Bundesländern schien echt zu sein. Künstler berichten aus den Runden im Kanzleramt, dass Schröder ihnen aufmerksam zuhört. Der Kulturetat des Bundes wurde gehalten. Es gibt Dinge, die Gerhard Schröder wichtig sind - abgesehen von der Wirtschaft und sich selbst.

Bei Merkel sehe nichts. Mir fehlt bei ihr die innere Bindung zu irgendeinem Zustand. Früher hatte Angela Merkel mal die Unterstützung des CDU-Sozialflügels. Das änderte sich, als es Merkel für opportun hielt, den radikalen Systemumbau zu empfehlen. Was hat sich bei ihr gewandelt? Sieht sie inzwischen, dass wir ein anglo-amerikanisches Wirtschaftsmodell brauchen? Oder setzt sie sich damit von ihren innerparteilichen Konkurrenten ab? Mit einem Profil, dem viele andere auf Grund traditioneller Wählerbindungen nicht folgen konnten? Ich kann Angela Merkel nicht einschätzen. Sie scheint den Menschen nicht zu vertrauen. Diese innere Gestimmtheit hat schon viele Politiker zu restriktiven, intoleranten Handlungsweisen geführt. Was passiert nach einem Terroranschlag in Deutschland? Wird Merkel dafür einstehen, dass der Rechtsstaat seine Grenzen nicht überschreitet? Wird sie sich zurückhalten, wenn wieder ein amerikanischer Präsident die Welt mit seiner Knarre aufräumen will? Ist es Angela Merkel ein Anliegen, dass die Gräben zwischen den Menschen nicht zu tief werden? Dass die sich neu entwickelnde städtische Unterschicht nicht noch weiter abdriftet? Dass keine unbetretbaren Ghettos in Deutschland entstehen? Ich weiß es nicht. Und das macht mir Angst. Soviel Angst, dass mir ein machthungriger, aber berechenbarer Exlinker lieber ist als eine genauso machthungrige, aber unberechenbare Unentschiedene.

Der Contra-Artikel: Merkel kommt – Zeit wird’s

41 / 2005
(c) ZEIT online, 11.10.2005