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Vergebene Liebesmüh?

Sie sind "Absolute Beginner" – zwei männliche und eine weibliche Jungfrau, die noch nie eine Beziehung hatten und noch nie Sex: Sascha, Sven und Marie erzählen im Zuender, wie man daran verzweifeln kann. Oder daraus eine Chance macht

Von Almut Steinecke

Der Trailer war ja schon ganz spaßig. Sascha überlegt aber noch, ob er sich den kompletten Film anschaut: "Jungfrau (40), männlich, sucht . . .", die neue Komödie über den 40-jährigen Dauersingle Andy Stitzer, der sein erstes Mal noch vor sich hat. So alt ist Sascha noch lange nicht. Trotzdem bezweifelt der 29-Jährige, dass er über Andy wirklich lachen kann. Denn der spiegelt Saschas Situation – und die findet der Hagener Lehramtsstudent überhaupt nicht witzig. "Die Frauen, die ich will, wollen mich nicht, und die, die mich wollen, will ich nicht", schachtelt Sascha, wenn man ihn fragt, warum er noch nie geknutscht und gekuschelt hat, noch nie eine Freundin oder Sex hatte: "An einem bestimmten Punkt kriege ich den Dreh nicht, damit daraus eine Beziehung wird – und dann bleibt es immer nur auf der Kumpelebene."

Warum man "Absoluter Beginner" ist, hängt freilich ab vom Einzelfall. Regina Swoboda, Single-Coach aus München, glaubt, dass Menschen wie beispielsweise Sascha unter anderem Probleme hätten, "einen Zugang zur eigenen Männlichkeit zu finden und Frauen als Frau anzusprechen". Wer sich einer Frau kumpelhaft nähere, obwohl ihm eher nach Flirten wäre, liefe Gefahr, von ihr auch nur als Kumpel wahrgenommen zu werden. Da passt es, dass sich Sascha bereitwillig immer wieder die Liebes-Lamenti frustrierter Frauen anhört, die einen Ex noch nicht verdaut haben. "Wer so was zu lange mitmacht, verpasst den Schwenk in eine mögliche Beziehung", warnt Regina Swoboda.

Doch das ist nur die Spitze des emotionalen Eisbergs. Die Studie "Kinder der sexuellen Revolution", herausgegeben 1996 von dem Hamburger Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Schmidt, besagt, dass acht Prozent der Männer zwischen 26 und 30 Jahren noch nie Sex hatten seinerzeit. Unter den gleichaltrigen Frauen waren es vier Prozent. Prof. Dr. Konrad Weller vom Sexualpädagogischen Zentrum Merseburg, der an der Studie beteiligt war, glaubt nicht, dass sich speziell für diese Altersklasse viel geändert hat bis heute. Überdies: "In den Siebzigern galt es noch als gesellschaftskritisch und subversiv, so früh wie möglich sexuelle Erfahrungen zu machen", meint Prof. Weller. Heute sei die Gesellschaft so "sexualisiert", dass "eine Art der Verweigerung vielleicht jetzt jugendtypischer ist", überlegt er: "Liebe ist nicht mehr so koitusfixiert".

"Ich zähle an einer Hand ab, wie oft sich meine Eltern küssen"

Eine These von vielen, für ein Phänomen, das äußerst schwer zu packen ist. Single-Coach Swoboda vermutet, dass "erwachsene Jungfrauen im Kindes- und Jugendalter nicht gelernt haben, Sexualität als etwas Natürliches zu betrachten. Manche haben die Eltern nie Zärtlichkeiten austauschen gesehen oder haben gar ein Bild von Sexualität vermittelt bekommen, das belastet ist." So erging es etwa Sven aus Köln. Der 26-jährige Wirtschaftsingenieur-Student kann "an einer Hand abzählen, wie oft sich meine Eltern in den letzten Jahren mal einen Kuss gegeben haben – die gehen miteinander um wie zwei Geschäftsleute". Er selbst sei als Kind kaum geknuddelt worden. Seit er sich für Frauen interessiert, hat sich in seinem Kopf ein Satz verhakt: "Die kriegst du sowieso nicht, also sprich sie gar nicht erst an." Sven sagt, die Zeit, als alle sich verknallten, "so ab 15, 16, die habe ich verschlafen". Mit 22 war er "kurz davor mit der ganzen Geschichte abzuschließen" – und erlebte parallel eine sonderbare Umkehr aus diesem Tal, angetrieben von einer blitzhellen Einsicht: Es bewegt sich nichts, wenn du nichts bewegst.

"Viele ,Absoluter Beginner’ wollen von sich aus nichts ändern, verlassen sich darauf, dass doch eines Tages ihr Traumpartner an der Tür klingelt", ist Sven überzeugt. Und glaubt, dass er eine Wahl hat: sich ausgeliefert fühlen oder Hilfe suchen – zur Not beim Therapeuten. Der junge Kölner fand sie bereits bei Freunden, denen er sich erstmals öffnete, die ihn nicht auslachten und mit ihm Übungen machten: in die Stadt gehen, Augenkontakt mit fremden Leuten aufnehmen, sie nach der Uhrzeit oder dem Briefkasten fragen, sich von ihnen Geld wechseln lassen. "Mein Tempo ist nun mal langsamer als das der anderen, also habe ich mit Babyschritten angefangen", nickt Sven. Seit anderthalb Jahren wagt der Student auch erste Flirtversuche bei Frauen – "in der Zeit habe ich rund 80 Körbe gesammelt", grinst er. "Zurückweisung fühlt sich beschissen an. Klar. Aber je öfter man es macht, desto normaler wird es." Und Sven glaubt fest: "Ich werde bald Erfolg haben." Eine Einstellung, die "Absolute Beginner" wahrlich Kraft kostet, nickt Regina Swoboda, "denn das Schlimmste ist für sie eine Abfuhr, und die gilt es lieber zu vermeiden. Ohne aber in dieses Risiko zu gehen, kann man auch keine Nähe erleben".

Warten auf Mr. Right – und auf die Antwort von Kai Pflaume

Für viele leichter gesagt, als getan. Alleine zuzugeben, ein "Absoluter Beginner" zu sein, ist den Betreffenden mehr als peinlich, zu übermächtig droht das kollektive Stirnrunzeln. Auch Marie (24) aus Karlsruhe fühlt sich erst mal unbehaglich, wenn Unbeteiligte von ihrer Lage erfahren, "du kannst dir ja vorstellen, wie die dann gucken!" Die Studentin, die gerade ihr erstes Staatsexamen für Grund- und Hauptschullehramt hinter sich hat, geht mit ihrem Dasein als "Beginnerin" aber gelassen um: "Ich habe mir ehrlich gesagt noch nie darüber Gedanken gemacht, dass das ein ernsthaftes Problem sein könnte. Wär’ natürlich schöner, ich hätte einen Freund, aber wenn ich keinen habe, ist das auch nicht weiter tragisch." Als Schwäche bewertet Marie ihre bisherige Sexlosigkeit nicht. Wenn sie am Wochenende mit ihren Leuten auf die Piste geht und "ich die ganzen Teenie-Mädels mit ihren Freunden sehe, die sich vielleicht nach zwei Wochen wieder trennen, da bin ich froh, dass es bei mir anders gelaufen ist." Denn ihr erstes Mal, das soll mit dem "Richtigen" sein. Dafür will sie sich Zeit lassen, "bis ich wirklich verliebt bin". Was noch nie der Fall war.

Marie sagt, dass einige sie schon um ihren Langmut in der Liebe beneidet hätten: "Freundinnen, die ihr erstes Mal jetzt nicht so prickelnd fanden". Aber dieses Warten auf Mr. Right kann auch in falschen Perfektionismus ausarten, wiegt Regina Swoboda den Kopf: "Sexuelle Kompatibilität kann man nur herausfinden, wenn man bereit ist, Vorstellungen loszulassen, sich einzulassen, auszuprobieren" – und nicht auf den vermeintlichen Traumtypen zu harren. "Oftmals ist es auch so, dass Mädchen und Jungs, die jeder haben will, nie lernen mussten, ,Qualität’ zu entwickeln." Für Student Sascha aus Hagen aber waren genau jene stets die Heißbegehrtesten: Frauen, die alle wollten, die ihn jedoch abwiesen, so wie einst Nina* und Janine*, von denen Sascha noch heute träumt. Zwei von insgesamt acht, die er auf seine ganz persönliche "Liste des Leidens" gesetzt hat.

Die Liste seiner "Angebote" ist übrigens fast genauso lang. Sascha gibt zu, ein "Anspruchs-Beginner" zu sein. Vor Jahren wäre er sogar ins Fernsehen gegangen. Hat drei Briefe an Kai Pflaume geschrieben. Sogar mal ein großes Paket mit Weihnachtskeksen geschickt. Um als Kandidat in die Sendung "Nur die Liebe zählt" zu kommen. Kai Pflaume hat nie geantwortet.

* Namen von der Redaktion geändert

Von Almut Steinecke

Der Trailer war ja schon ganz spaßig. Sascha überlegt aber noch, ob er sich den kompletten Film anschaut: "Jungfrau (40), männlich, sucht . . .", die neue Komödie über den 40-jährigen Dauersingle Andy Stitzer, der sein erstes Mal noch vor sich hat. So alt ist Sascha noch lange nicht. Trotzdem bezweifelt der 29-Jährige, dass er über Andy wirklich lachen kann. Denn der spiegelt Saschas Situation – und die findet der Hagener Lehramtsstudent überhaupt nicht witzig. "Die Frauen, die ich will, wollen mich nicht, und die, die mich wollen, will ich nicht", schachtelt Sascha, wenn man ihn fragt, warum er noch nie geknutscht und gekuschelt hat, noch nie eine Freundin oder Sex hatte: "An einem bestimmten Punkt kriege ich den Dreh nicht, damit daraus eine Beziehung wird – und dann bleibt es immer nur auf der Kumpelebene."

Warum man "Absoluter Beginner" ist, hängt freilich ab vom Einzelfall. Regina Swoboda, Single-Coach aus München, glaubt, dass Menschen wie beispielsweise Sascha unter anderem Probleme hätten, "einen Zugang zur eigenen Männlichkeit zu finden und Frauen als Frau anzusprechen". Wer sich einer Frau kumpelhaft nähere, obwohl ihm eher nach Flirten wäre, liefe Gefahr, von ihr auch nur als Kumpel wahrgenommen zu werden. Da passt es, dass sich Sascha bereitwillig immer wieder die Liebes-Lamenti frustrierter Frauen anhört, die einen Ex noch nicht verdaut haben. "Wer so was zu lange mitmacht, verpasst den Schwenk in eine mögliche Beziehung", warnt Regina Swoboda.

Doch das ist nur die Spitze des emotionalen Eisbergs. Die Studie "Kinder der sexuellen Revolution", herausgegeben 1996 von dem Hamburger Sexualwissenschaftler Prof. Dr. Gunter Schmidt, besagt, dass acht Prozent der Männer zwischen 26 und 30 Jahren noch nie Sex hatten seinerzeit. Unter den gleichaltrigen Frauen waren es vier Prozent. Prof. Dr. Konrad Weller vom Sexualpädagogischen Zentrum Merseburg, der an der Studie beteiligt war, glaubt nicht, dass sich speziell für diese Altersklasse viel geändert hat bis heute. Überdies: "In den Siebzigern galt es noch als gesellschaftskritisch und subversiv, so früh wie möglich sexuelle Erfahrungen zu machen", meint Prof. Weller. Heute sei die Gesellschaft so "sexualisiert", dass "eine Art der Verweigerung vielleicht jetzt jugendtypischer ist", überlegt er: "Liebe ist nicht mehr so koitusfixiert".

"Ich zähle an einer Hand ab, wie oft sich meine Eltern küssen"

Eine These von vielen, für ein Phänomen, das äußerst schwer zu packen ist. Single-Coach Swoboda vermutet, dass "erwachsene Jungfrauen im Kindes- und Jugendalter nicht gelernt haben, Sexualität als etwas Natürliches zu betrachten. Manche haben die Eltern nie Zärtlichkeiten austauschen gesehen oder haben gar ein Bild von Sexualität vermittelt bekommen, das belastet ist." So erging es etwa Sven aus Köln. Der 26-jährige Wirtschaftsingenieur-Student kann "an einer Hand abzählen, wie oft sich meine Eltern in den letzten Jahren mal einen Kuss gegeben haben – die gehen miteinander um wie zwei Geschäftsleute". Er selbst sei als Kind kaum geknuddelt worden. Seit er sich für Frauen interessiert, hat sich in seinem Kopf ein Satz verhakt: "Die kriegst du sowieso nicht, also sprich sie gar nicht erst an." Sven sagt, die Zeit, als alle sich verknallten, "so ab 15, 16, die habe ich verschlafen". Mit 22 war er "kurz davor mit der ganzen Geschichte abzuschließen" – und erlebte parallel eine sonderbare Umkehr aus diesem Tal, angetrieben von einer blitzhellen Einsicht: Es bewegt sich nichts, wenn du nichts bewegst.

"Viele ,Absoluter Beginner’ wollen von sich aus nichts ändern, verlassen sich darauf, dass doch eines Tages ihr Traumpartner an der Tür klingelt", ist Sven überzeugt. Und glaubt, dass er eine Wahl hat: sich ausgeliefert fühlen oder Hilfe suchen – zur Not beim Therapeuten. Der junge Kölner fand sie bereits bei Freunden, denen er sich erstmals öffnete, die ihn nicht auslachten und mit ihm Übungen machten: in die Stadt gehen, Augenkontakt mit fremden Leuten aufnehmen, sie nach der Uhrzeit oder dem Briefkasten fragen, sich von ihnen Geld wechseln lassen. "Mein Tempo ist nun mal langsamer als das der anderen, also habe ich mit Babyschritten angefangen", nickt Sven. Seit anderthalb Jahren wagt der Student auch erste Flirtversuche bei Frauen – "in der Zeit habe ich rund 80 Körbe gesammelt", grinst er. "Zurückweisung fühlt sich beschissen an. Klar. Aber je öfter man es macht, desto normaler wird es." Und Sven glaubt fest: "Ich werde bald Erfolg haben." Eine Einstellung, die "Absolute Beginner" wahrlich Kraft kostet, nickt Regina Swoboda, "denn das Schlimmste ist für sie eine Abfuhr, und die gilt es lieber zu vermeiden. Ohne aber in dieses Risiko zu gehen, kann man auch keine Nähe erleben".

Warten auf Mr. Right – und auf die Antwort von Kai Pflaume

Für viele leichter gesagt, als getan. Alleine zuzugeben, ein "Absoluter Beginner" zu sein, ist den Betreffenden mehr als peinlich, zu übermächtig droht das kollektive Stirnrunzeln. Auch Marie (24) aus Karlsruhe fühlt sich erst mal unbehaglich, wenn Unbeteiligte von ihrer Lage erfahren, "du kannst dir ja vorstellen, wie die dann gucken!" Die Studentin, die gerade ihr erstes Staatsexamen für Grund- und Hauptschullehramt hinter sich hat, geht mit ihrem Dasein als "Beginnerin" aber gelassen um: "Ich habe mir ehrlich gesagt noch nie darüber Gedanken gemacht, dass das ein ernsthaftes Problem sein könnte. Wär’ natürlich schöner, ich hätte einen Freund, aber wenn ich keinen habe, ist das auch nicht weiter tragisch." Als Schwäche bewertet Marie ihre bisherige Sexlosigkeit nicht. Wenn sie am Wochenende mit ihren Leuten auf die Piste geht und "ich die ganzen Teenie-Mädels mit ihren Freunden sehe, die sich vielleicht nach zwei Wochen wieder trennen, da bin ich froh, dass es bei mir anders gelaufen ist." Denn ihr erstes Mal, das soll mit dem "Richtigen" sein. Dafür will sie sich Zeit lassen, "bis ich wirklich verliebt bin". Was noch nie der Fall war.

Marie sagt, dass einige sie schon um ihren Langmut in der Liebe beneidet hätten: "Freundinnen, die ihr erstes Mal jetzt nicht so prickelnd fanden". Aber dieses Warten auf Mr. Right kann auch in falschen Perfektionismus ausarten, wiegt Regina Swoboda den Kopf: "Sexuelle Kompatibilität kann man nur herausfinden, wenn man bereit ist, Vorstellungen loszulassen, sich einzulassen, auszuprobieren" – und nicht auf den vermeintlichen Traumtypen zu harren. "Oftmals ist es auch so, dass Mädchen und Jungs, die jeder haben will, nie lernen mussten, ,Qualität’ zu entwickeln." Für Student Sascha aus Hagen aber waren genau jene stets die Heißbegehrtesten: Frauen, die alle wollten, die ihn jedoch abwiesen, so wie einst Nina* und Janine*, von denen Sascha noch heute träumt. Zwei von insgesamt acht, die er auf seine ganz persönliche "Liste des Leidens" gesetzt hat.

Die Liste seiner "Angebote" ist übrigens fast genauso lang. Sascha gibt zu, ein "Anspruchs-Beginner" zu sein. Vor Jahren wäre er sogar ins Fernsehen gegangen. Hat drei Briefe an Kai Pflaume geschrieben. Sogar mal ein großes Paket mit Weihnachtskeksen geschickt. Um als Kandidat in die Sendung "Nur die Liebe zählt" zu kommen. Kai Pflaume hat nie geantwortet.

* Namen von der Redaktion geändert

40 / 2005
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