street art

Von der Wand zur Werbung

Die Werbung klaut gerne von der Straße – und muss dabei nicht mit der geringsten Strafe rechnen. Was als Gegenbewegung zur Bilderflut der Werbung begann, wird nun von ihr annektiert.

Crisse Küttler

Von so manchem Stromkasten lächeln sie einen inzwischen an: die quadratischen Smilys der Band Bon Jovi. Im Musikvideo sieht man Jugendliche, die voller Enthusiasmus ihre Städte in Streetart-Manier mit diesem schnöden Motiv zuplakatieren. Das gleiche erwartet uns jetzt auch in der Realität. Nur, dass es sich nicht um Straßenkunst handelt, sondern um plumpe Werbung, die im Graffiti-Style daher kommt. Die Werber nennen solche Kampagnen stolz Guerilla-Marketing und okkupieren damit die Straßen, in denen doch ursprünglich die Sprayer angetreten waren, um der Werbewelt mit ihren eigenen Bildern etwas entgegen zu setzen.

„Nike und Puma heuern sogar Sprayer an, die nachts illegal deren Logos sprühen“, weiß Nicholas Ganz zu erzählen. Er ist selber Graffiti-Künstler und bringt im Oktober das Buch Graffiti-World heraus, das Straßenkunst aus allen fünf Kontinenten präsentiert. Doch dies ist nur eine Seite, wie die Werbewelt versucht, diese urbane Kreativität für sich einzunehmen. Manche Agenturen klauen schlicht und einfach die Motive von der Straße: „Auch die We-Love-Kampagne von Pro7 ist geklaut“, weiß Ganz zu erzählen. Zuerst tauchte dieser Schriftzug in verschiedenen Städten als Schablonen-Graffiti auf, ehe sie Pro7 unmodifiziert für ihre Werbung übernahm. Das Foto links entstand in Kopenhagen noch vor der Pro7-Kampagne.

„Ein Sprüher hat keine Lobby. Es gibt unendlich viele Geschichten von Motiven, die in irgendwelchen Sega-Spielchen wieder aufgetaucht sind.“ Einer, der sich gegen diesen Diebstahl wehrt, ist D*Face. Er arbeitet vornämlich mit Postern und Schablonen, für die er verschieden Figuren entwickelt hat. Eine davon hat ein Londoner Unternehmen für seine Werbung benutzt, nachdem es sie leicht verändert hatte. D*Face will dagegen klagen; sein Problem ist nur, dass er dadurch zugeben muss, selber illegal gesprüht zu haben. Damit er straffrei bleibt, müsste der Richter seine Werke schon als Kunst akzeptieren.

Und hier ist das Dilemma: Weil das Sprühen als Substanzverletzung an Gebäuden verboten ist, können sich die illegalen Grafiker kaum gegen den Ideendiebstahl wehren. Wer mit Papier und Kleister arbeitet, hat da schon größere Chancen. Doch eigentlich geht es darum, dass niemand Rechte an solchen Bildern besitzen soll, die für den öffentlichen Raum geschaffen wurden. Ärgerlich ist es deshalb für die Straßenkünstler, wenn andere mit ihren Arbeiten kommerzielle Ziele verfolgen.

Auch der Prestel-Verlag aus München hat ein neues Streetart-Buch herausgebracht. Es ist eine unkommentierte Sammlung von Schwarz-Weiß-Fotografien, die die Wände Berlins zeigen. Schöne Fotografien beispielsweise von den Schneidearbeiten von Swoon. Oder doch besser: Fotografien von den schönen Schneidearbeiten von Swoon. Auch hier verfolgt der Verlag nur finanzielle Eigeninteressen, weil er erkannt hat, dass die Graffiti-Kunst sich immer größerer Beliebtheit erfreut und man mit ihr Geld machen kann. Unter den Sprayern gilt auch der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf als Firma, die gerne mit auf ihre S-Bahn springt und mit Büchern über Sprüher verdienen will

Graffiti-World von Nicholas Ganz ist dort erschienen. Der Vorwurf ist auch dem Autoren bekannt, allerdings ist er selbst in der Szene aktiv und stand in Kontakt mit den Grafikern, die er in seinem Buch präsentiert. „Ich habe mir ihre Sachen kommen lassen und sie interviewt, um sie und ihre Arbeiten vorzustellen“, sagt Ganz. Und das war für die meisten Anreiz genug, denn wer von ihnen lässt sich nicht gerne als Graffiti-Künstler dokumentieren. Wenn die Streetart es über die Straße in den Buchladen geschafft hat, ist sie für viele nicht den verkehrten Weg gegangen.

37 / 2005
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