Kokain

Bitte ziehen sie durch

Touristen, die nach Bolivien kommen, bringen ihre Ideen und Vorstellungen mit. Auch die vom Drogenkonsum. In der Nase tut das sicher weh.

Die Kolumne von Selim Özdogan

Die Wendung Koka kauen entstellt den Sachverhalt. Die getrockneten Blätter des Kokastrauches werden nicht gekaut, sondern einfach im Mund zu einer Kugel geformt und verweilen im Mund, vorzugweise in der Wange. Die Zähne sind nicht beteiligt.

Um die aktiven Wirkstofffe aus den Blättern herauszulösen, braucht es eine alkalische Substanz, traditonell wird in vielen Gebieten Südamerikas Pflanzenasche hierzu verwendet, die man den Blättern beigibt.

Nach kurzer Zeit stellt sich ein Taubheitsgefühl im Mund ein und schon bald kann man die stimulierende Wirkung wahrnehmen.

Mit dem Schnupfen von Kokain oder gar mit dem Rauchen von Crack ist die Wirkung nicht vergleichbar. Um 1 Gramm Kokain herzustellen braucht es ca. 200 Gramm Blätter. Ein gewohnheitsmäßiger starker Konsument lutscht schätzungweise 100 Gramm an einem Tag, der Wirkstoff wird schnell von Körper abgebaut, außerdem wird das Kokain vom Magensaft zu dem weniger potenten Stoff Ecgonin umgewandelt. Ecgonin wirkt auch anregend und leistungssteigernd, ist aber milder und weniger suchterzeugend, wenn man den Pharmakologen glauben mag.

Zudem enthält das Kokablatt außer Kokain weitere Alkaloide, die noch wenig erforscht sind und zahlreiche Vitamine und Spurenelemente, die alle in dem weißen Pulver nicht mehr enthalten sind.

Damit die Blätter ihre Wirkung entfalten, wird in Bolivien statt Pflanzenasche Natriumbicarbonat, der Hauptbestandteil von Backpulver, verwendet. Zunächst speichelt man das Koka im Mund ein, dann gibt man eine Prise Pulver hinterher, auf daß die Stimmung heller und der Atem tiefer werde, die Konzentration besser und der Hunger weniger.

Unwissen führt zu skurillen Mißverständnissen. Es kursiert die Geschichte darüber, wie zwei Touristen sich an einem Taxistand mit Bolivianern anfreunden. Man redet ein wenig das übliche, woher kommst du, wie lange bist du hier, ist es nicht viehisch heiß, wo willst du noch hin? Die Taxifahrer bieten aus Gastfreundschaft den beiden Backpackern Koka an.

Diese gehen gerne auf die Einladung ein, schauen zu, wie die Blätter aus der Tüte genommen und in den Mund geschoben werden und machen es einfach nach.

Als ihnen kurz darauf das Tütchen Bicarbonat gegeben wird, leuchten ihre Augen auf. Ein wahrhaft gastfreundliches Land, die Menschen teilen das Wenige, was sie haben. Wenn wir das zu Hause erzählen, das glaubt uns niemand.

Sie schütten sich ein gutes Gramm Backpulver auf den Handrücken. Weil sie nicht verstehen, was diese sonderlichen Weißen denn nun wieder vorhaben, sind die Bolivianer zunächst irritiert. Und dann völlig befremdet, als die beiden sich das Pulver in die Nase ziehen.

Auch wichtig:

Unter uns - Was essen junge Israelis im Ausland?

Passen die Schuhe, vergisst man die Füße - Alle Texte der Kolumne

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

23 / 2008
ZEIT online