Kinder

Alt aussehen

Dass mein Neffe erst anderthalb ist, bedeutet nicht, dass er mich nicht tunneln kann.

Die Kolumne von Selim Özdogan

Mein Neffe muß nicht mehr gefüttert werden. Es reicht wenn man dabei sitzt und aufpasst, daß er keinen Unsinn macht.

An einem dieser Tage sitzt er auf seinem Hochstuhl, vor ihm ein Teller und ich gebe acht, während mein Bruder gerade irgendwas am Rechner frickelt. Zuerst tut der Kleine so, als hätte er keinen Hunger, erst als ich einen zweiten Löffel nehme und ihn in meinen Mund führe, taucht er seinen Löffel in rötliche Pampe mit weichen Nudeln darin, die als Kindernahrung verkauft wird. Die ersten zwei Löffel ißt er ganz normal, ohne zu kleckern. Den dritten vollen Löffel leert er neben seinen Teller.

- Essen sollst du das, sage ich, nicht danebenhauen.

Er schaut mich an und dann dreht er seinen Kopf, sein sein Blick geht zur Küchenrolle. Ich stehe auf, reiße ein Blatt ab und wische den Fleck weg. Mein Neffe lässt keine Reaktion erkennen. Ißt zwei, drei Löffel, kleckert dann wieder. Ich wische. Er ißt, und als ich kurz nicht hinsehe, bekleckert er seine Hand, keine Ahnung, wie er das gemacht hat. Er hält mir die Hand hin und sieht wieder zur Küchenrolle. Ich reiße noch ein Blatt ab und reibe die Finger sauber. Einige Löffel später kleckert er wieder neben den Teller.

Mein Bruder kommt rein, guckt und schüttelt lächelnd den Kopf.

- Was? frage ich.

- Du darfst nicht die Küchenrolle benutzen. Der steht da irgendwie drauf, frage mich nicht wieso. Wenn du keine Küchenrolle nimmst, dann kleckert er auch nicht.

Mein Neffe ist anderthalb und ich fühle mich an Situationen auf dem Basketballplatz erinnert. Ein Gegenspieler zieht mit einer unglaublichen Leichtigkeit an dir vorbei und du versuchst dir nicht anmerken zu lassen, daß nicht mal wußtest, wo der Ball war, bevor er im Korb landete.

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Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

08 / 2007
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