Selim Özdogan

Nicht besser oder schlechter, anders

Die Kolumne von Selim Özdogan

Es gibt Menschen, die glauben, Literatur hätte mit Preisen zu tun, Bachmann, Büchner, Booker, Nobel und wie sie alle heißen. Es gibt Menschen, die glauben, Literatur hätte mit Bildung zu tun, damit, daß man die Klassiker gelesen hat und sich auf sie beziehen kann, daß ein Teil dessen, was da ensteht auf Gedächtnisleistung beruht. Es gibt Menschen, die glauben, man müsste die Sprache beherrschen, Herr über sie sein, um sich aufspielen zu können wie ein Dompteur. Sprachgewaltig seien sie heißt es über manche Autoren, als ginge es um Macht und Befugnisse. Es gibt Menschen, die glauben, der Schriftsteller hätte die Aufgabe die Welt, die Verhältnisse, die Gesellschaft und deren Krisen zu erklären. Die glauben, er könne Entscheidendes zu den Problemen unserer Zeit sagen. Die der Meinung eines anerkannten Wortklaubers mehr Gewicht beimessen, als der Meinung eines anderen, der zufällig einen anderen Beruf hat. Es gibt Menschen, die glauben, Literatur hätte damit zu tun, irgendwo irgend etwas zu gelten, eine Größe zu entwickeln oder zu sein, sich von den anderen abzugrenzen. Es gibt Menschen, die glauben, Literatur müsse dazu dienen die Welt zu verändern.

Sie werden alle Recht haben auf ihre Weise. Aber diese Menschen scheinen mir in der Mehrheit zu sein und die Definitionshoheit darüber zu haben, was Literatur ist. Wenn du nicht mehr weiter weißt, wenn du keine Ahnung hast, was du hier sollst, wieso du hier gelandet bist, wenn es so aussieht, als würdest du noch weniger als alle anderen verstehen, wenn jeder Tag neue Rätsel aufwirft, wenn es keinen Ausweg mehr zu geben scheint, wenn alle Pfade bergauf sind und in Sackgassen enden, wenn Verzweiflung und Einsamkeit sich so mischen, daß du sie nicht mehr auseinanderhalten kannst, wenn du das Gefühl hast, du wärst von allen getrennt, durch eine Wand, die nicht dicker als Rizzlas zu sein scheint, die du aber nicht durchbrechen kannst, wenn du es nicht hinkriegst, dich in deinem Alltag irgend jemandem wirklich mitzuteilen und wenn das einzige, was du findest, das hilft, Worte sind, dann kann auch Literatur entstehen. Wenn du sagst, scheiß drauf, zu verlieren hab ich eh nichts, ich holz jetzt einfach drauf. Wenn du sagst, alles andere ist egal, ich lebe oder sterb mit dem Scheiß, wenn du sagst, das ist die einzige Art, auf die ich zungrunde gehen möchte, wenn nichts mehr bleibt, gar nichts, dann kommst du nicht auf die Idee, über die Sprache zu herrschen, dann ist sie dein Weg raus, egal, wie dornig, steil und steinig, egal wie sehr sackgasse.

Das heißt nicht, daß das, was du schreibst, gut ist, keinesfalls, aber es heißt, du hast schlechte Karten, weil du in einem Geschäft gelandet bist, wo die anderen die Regeln machen.

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99 / 2007
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