Kolumne

Tanken

Passen die Schuhe, vergisst man die Füße: Jeder Fehler findet jemanden, der ihn macht

Von Selim Özdogan

Sie hat den Wagen vor gut einem Jahr gekauft, sie braucht ihn beruflich. Es ist das erste Mal, dass ich dabei bin, als sie tanken muss. Zielstrebig fährt sie an eine Dieselzapfsäule, die etwas abseits steht. Mittig gibt es Zapfsäulen mit mehren Zapfhähnen, aber bei der, an der wir nun stehen, hat man nicht die Wahl.

Ich wundere mich, weil ich gar nicht bemerkt habe, dass sie einen Diesel fährt. Aber dann wiederum achte ich nicht sonderlich auf diese Sachen. Sie steigt aus, steigt kurz darauf wieder ein, lässt den Motor an, setzt den Rückwärtsgang rein. „Schon wieder die falsche Seite“, sagt sie.

Kurz darauf stehen wir nicht mehr links, sondern rechts neben der Zapfsäule. Wieder nimmt sie den Zündschlüssel heraus und steigt aus. Und kurz darauf wieder ein. „Das ist ja nur Diesel“, sagt sie und lässt den Wagen wieder an. Ich bin beeindruckt, weil es ihr überhaupt nicht peinlich ist.

Es gibt verschiedene Arten zu leben und jeder Fehler findet jemanden, der ihn macht. Und manche Fehler suchen sich Menschen aus, von denen sie immer wieder gemacht werden. Und ganz gewitzte Fehler, wie immer wieder an der falschen Seite der Zapfsäule zu stehen, suchen sich Menschen, denen sie einfach nur egal sind. In der Hälfte der Fälle steht man auf der richtigen Seite und bei der anderen Hälfte kostet einen die Korrektur des Fehlers keine Minute. Also, was soll’s.

Ich könnte es auf Dauer nicht ertragen, aber ich beneide so ein Verhalten, auch weil es mir nicht gegeben ist. Ständig achte ich darauf, ob ich auch alles richtig mache. Selbst wenn ich schon am Urinal stehe, stelle ich mir manchmal die Frage, ob ich mich nicht verguckt habe und auf der Damentoilette gelandet bin.

04 / 2006
ZEIT ONLINE