Gefrickel

Menschen, Irre, Mutationen

Es ist der alte Alptraum der Menschheit, der davon handelt, dass man Architektur nicht tanzen könne. TV On The Radio aber können und müssen sich dafür noch nicht einmal übermäßig verbiegen. Aber die sehen ja auch Bilder, wo andere nur hören

Von Boris Fust

Die Bläser müssen betrunken sein, und die Rhythmusgötter besoffen. "I was a Lover" eröffnet das Debütnachfolgealbum "Return to Cookie Mountain" mit einem furiosen bric à brac, wie es eigentlich nur entstehen kann, wenn ein Sampler-Programmierer die lästigen Hausmeisterarbeiten vernachlässigt hat und durch seine Dateien nicht mehr durchsteigt: Triolen, wo sie nicht hingehören, Sounds, die klingen, als spränge die CD. Dazu rauscht es, als durchfahre ein Autoradio einen langen Tunnel, in den keine Sendestation je hineinreicht. Die nachfolgenden Stücke "Hours" und "Province" finden dann ihren Weg in halbwegs handelsübliche Strukturen zurück: Strophe und Refrain sind erkennbar, es gibt Hooks, und wer sich Kopfstimme zutraut, mag sogar ein wenig mitsingen. Mit der übersichtlichen Formgebung von Pop und Bauhaus hat all das weiterhin wenig zu tun. "Return to Cookie Mountain" ist ein musikarchitektonischer Irrgarten aus Referenzirrsinn, wall of sound und undurchdringlichen Rhythmen. All das wirkt allerdings zu keiner Sekunde kunstsinnig bemüht oder am Reißbrett konstruiert und wäre tatsächlich problemlos tanzbar. Wenn es nicht bedeutend aufregender wäre, die verwinkelten Klanggebilde in ihren steten Permutationen und Mutationen zu beobachten.

TV On The Radio, "Return to Cookie Mountain (4AD / Inidgo)

TV On The Radio, "Return to Cookie Mountain (4AD / Inidgo)

27 / 2006
ZEIT online