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Generationen

Wenn Opa in die Disko geht

Rockstars im Rentenalter führen sich auf wie Achtzehnjährige und ich moderiere mit vierzig immer noch bei MTV. Brauchen wir eine Alterspolizei für Berufsjugendliche?

"Mehr Zeit zu leben – Chancen einer alternden Gesellschaft". So lautet das Motto der aktuellen ARD-Themenwoche. Und weil ich in Berlin bei Radio Eins , einem ARD-Sender, eine Popkultur-Radiokolumne mache, sollte auch ich mich darin zur Sache äußern, und zwar im Hinblick auf nicht altern wollende Rockstars.

Als erste fallen einem da die Rolling Stones ein. Mick Jagger wird zwar dieses Jahr 65 und muss bei Konzerten die Texte und den jeweiligen Auftrittsort vom Teleprompter ablesen, dennoch springt er auf der Bühne nach wie vor herum wie ein Achtzehnjähriger. Auch die Herren von Kiss , Led Zeppelin , The Police oder Genesis beweisen in diesen Tagen, dass sie nur auf dem Papier am Rentneralter kratzen. Ob man das noch braucht, ist eine andere Frage. Meinetwegen dürfen die Rockopas gerne von ihren Zivis rausgeschoben werden und Platz für junge Bands machen.

Andererseits sollte ich, der ich im Glashaus sitze, nicht mit Steinen werfen, denn auch mit 40 noch bei MTV zu moderieren, in Clubs aufzulegen und rumzuhängen, zeugt von einer gewissen Weigerung, endlich erwachsen zu werden.

Aber damit stehe ich nicht alleine da. Am vergangenen Wochenende habe ich mit Westbam , 43, aufgelegt, letzte Woche spielte Sven Väth , ebenfalls 43, in Berlin. Als ich um 9.30 Uhr auf dem Weg zur Arbeit (na immerhin!) am betreffenden Club vorbei fuhr, war dort immer noch Betrieb.

Irgendwie ist er an mir vorbei gerauscht, dieser bürgerliche Lebensbauplan, der vorsieht, mit Mitte 20 zu heiraten und kurze Zeit später Kinder zu bekommen und ein Haus zu errichten, das Ganze selbstverständlich gestützt von einer festen Anstellung mit vernünftigem Einkommen. Stattdessen habe ich in den letzten 20 Jahren die Unrast und latente Verwirrtheit der Jugend zur Tugend gemacht und finde es vollkommen in Ordnung, kaum Sicherheiten und feste Größen in meinem Leben zu haben und nicht zu wissen, was übermorgen sein wird. Egal, so lange es zumindest morgen so lustig ist wie gestern.

Pappenheimer wie ich sind längst zum Forschungsgegenstand von Sozialwissenschaftlern geworden. In England ist beispielsweise der Terminus "middle youth" etabliert. Er wird Menschen zwischen Ende 20 und Anfang 40 zugeschrieben, die einerseits zu alt sind, um noch als Jugendlicher durchgewunken zu werden, sich andererseits aber auch noch zu jung geben, um als Person mittleren Alters zu gelten. Für mich wäre zusätzlich noch der Ausdruck "kidult" zutreffend, weil ich mir als Mensch im fortgeschrittenen Alter noch typische Jugendvergnügungen und -verhaltensweisen gönne.

Habe ich eigentlich irgendetwas gelernt, seit ich volljährig und damit auf dem Papier erwachsen bin? Die beiden traditionellen Großbaustellen des Lebens - Arbeit und Beziehung - sind immer für eine Überraschung gut. Ich kann nicht sagen, wie genau ich nächstes Jahr meinen Lebensunterhalt verdiene. Vielleicht genau so wie jetzt, vielleicht ganz anders, vielleicht aber auch gar nicht. In den Medien geht doch immer alles so schnell. Heute hü, morgen hott.

Und vielleicht habe ich nächstes Jahr ein Haus und ein Kind, vielleicht aber auch nicht. Da will ich weder meine Freundin noch mich unter Druck setzen. Eilt ja nicht, bin ja noch kidult. Außerdem heiraten deutsche Männer im Schnitt erst mit 37, da bin ich also gar nicht so spät dran.

Aber wann kommt er denn nun, der Punkt, an dem ich so alt aussehe und mich so alt fühle, wie mein Geburtsjahr es nahelegen würde? Laufe ich am Ende Gefahr, meine "middle youth" bis ins Greisenalter auszudehnen? Irgendwann werde ich unweigerlich zu betagt sein, als dass Leute, die 30 Jahre jünger sind als ich, noch mit mir spielen wollen. Womöglich ende ich in einer Jugendlichkeits-Gang, in der man sich mit 55 gegenseitig noch die heißesten Electroscheiben vorspielt, und sitze nebenbei noch in der Jury von DSDS. Mutiere ich irgendwann zum einem chronisch jung gebliebenen, operierten und Viagra fressenden Zombie, quasi einem Bastard aus Thomas Gottschalk, Mickey Rourke und Ozzy Osbourne, einem Dorian Gray 2.0?

Soweit muss es dann doch nicht kommen. Könnte ich mir finanziell eh nicht leisten, den ganzen kostspieligen Verjüngungsscheiß, weil ich selbstredend noch keinen Gedanken an irgendeine Altersvorsorge verschwendet habe.

Irgendwann wird das, was ist, und das, was unweigerlich kommt, sich vermischen. Womöglich wanke ich eines Tages um 8 Uhr morgens aus der Disco direkt zur Prostatauntersuchung. Aber noch scheint letzteres so weit weg, noch schlucke ich eher Aspirin gegen Kater als Granufink gegen Blasenschwäche, noch will ich meine Sneakers nicht gegen Herrenslipper tauschen.

Ich darf das, den 68ern sei Dank. Denn waren nicht sie es, die die tradierten Rollenmuster aufgebrochen und das Erwachsenwerden von bürgerlichen Normen befreit haben? Reife und Selbstfindung sind längst relativ. Finde ich mich heute nicht, finde ich mich gewiss morgen. Wenn nicht, auch nicht so schlimm.

Anfang 20 hatte ich wesentlich konkretere Vorstellungen, wie mein Leben aussehen könnte, als dies heute der Fall ist. Damals war für mich klar, dass dem zügig beendeten Studium rasch ein guter Job, eine Familie und eine feste, am besten eigene Bleibe folgen sollten. Jetzt gibt es ihn nicht mehr, diesen Masterplan. Und darüber bin ich noch nicht mal unglücklich, denn von all dem, was an seine Stelle getreten ist, möchte ich nichts missen. Nur: Wie lange trifft diese Aussage noch zu?

Ein Kumpel, etwa in meinem Alter, wurde kürzlich Vater. Ich kannte ihn als einen sehr aktiven Teilnehmer am Berliner Nachtleben, und als ich ihn fragte, wie er denn seinen neuen Lebensabschnitt mit den alten Gewohnheiten zu vereinen gedenke, antwortete er: "Weißte, Markus, mittlerweile kenne ich wirklich jedes Arschloch in jedem Scheißclub dieser Stadt. Irgendwann reicht´s dann auch mal."

An meiner Erziehung und meinem familiären Umfeld kann es nicht liegen. Meine Eltern haben mir prima vorgemacht, wie es funktioniert. Klar, andere Generation, könnte man jetzt anführen, aber selbst mein Bruder, drei Jahre jünger als ich, und meine Cousinen, auch allesamt jünger als ich, haben den oben erwähnten Masterplan straff in die Tat umgesetzt. Manchmal überkommt mich ein gewisses Bedauern, dass es bei mir nicht so ist. Allerdings kann ich nicht sagen, ob sich dieses Bedauern eher darauf gründet, das alles nicht zu haben. Oder ob es eher mit ungestillter Neugierde zu tun hat, weil es sich dabei um Dinge handelt, die ich im Gegensatz zu vielen anderen noch nicht ausprobieren konnte. Somit wäre der Wunsch, als Zeichen des Erwachsenseins eine Familie zu haben, nicht so wahnsinnig weit entfernt von dem, was mich immer noch dazu treibt, ständig neue Arschlöcher in neuen Scheißclubs kennenzulernen. Wahrscheinlich besteht aber auch ein signifikanter Unterschied zwischen Großstadt- und Landleben. Meine Freunde von damals, die nicht wie ich weggezogen sind, verstehen mit ihrem Haus, ihren Kindern und ihrem Hund vermutlich gar nicht, was eigentlich mein Problem ist.

Wegziehen, weggehen – ein wichtiger Punkt. Bis zum heutigen Tag konnte ich immer abhauen, wenn es mir irgendwo irgendwie nicht gefiel. Einfach weiter, nächste Stadt, nächste Beziehung, nächster Job, und bis jetzt hatte ich das große Glück, dass dies ohne größere Flurschäden für mich und andere über die Bühne ging. Und so ist mein Leben kein Lernprozess mit einem greifbaren Ergebnis, sondern eine Aneinanderreihung von gemachten Erfahrungen, die ich in mir horte und auf die ich kleinteilig zurückgreife, wenn guter Rat mal wieder teuer ist.

Doch was genau ist es denn, dass ich da so pflege? Wenn man bei Wikipedia auf blöd einfach mal "Jugend" eingibt, erscheint dort folgendes: "In die Jugendzeit fällt die Pubertät , das Ende der Schulzeit , der Beginn der Berufsausbildung , die Abnabelung vom Elternhaus und die Identitätsfindung . Deswegen wird die Jugendzeit sowohl vom Jugendlichen, der sie durchlebt, als auch von den Eltern als nicht ganz einfach angesehen." Fürwahr, es gibt Erstrebenswerteres. Allerdings, die Pubertät habe ich hinter mir, die Schulzeit ebenso, arbeiten tu ich auch schon eine ganze Weile, vom Elternhaus bin ich längst abgenabelt und sogar die Identitätsfindung verlief abgesehen von kleineren Irritationen zufriedenstellend. Wenn also all das abgehakt ist, stellt sich natürlich die Frage, was das denn für eine Jugend ist, die ich da lebe. Oder, um den Gedanken mal weiterzuspinnen: Klaue ich der eigentlichen Jugend ihre Exklusivität, indem ich noch immer Bereiche besetze, die mir aufgrund meines Alters längst nicht mehr zustehen? Wo ist die Alterspolizei, wenn man sie braucht? Vielleicht sollte man auf CDs, DVDs, Bücher und an Clubeingängen (am besten zusätzlich noch bei Klamottenläden und beim Friseur) nicht mehr ´Ab 18´, sondern eher ´Bis 29´ schreiben, dann wäre der Jugend ganz schnell wieder das Gefühl gegeben, eine eigene Generation zu sein, und auch mir wäre damit endlich in die Herrenslipper geholfen.

Sollte ich in 25 Jahren immer noch bei MTV moderieren, dürft ihr meinem Zivi gerne sagen, dass er mich rausschieben soll.

Auch schön
Jugend von heute: Alles super
Den ganzen Tag im Internet, Flatrate-Saufen, Drogen nehmen - Bei den jungen Menschen läuft was schief, sagen viele Erwachsene. Welch ein Unsinn
Nicos Antwort: Doch, wir sind eine Katastrophe
"Die Jugend von heute" sei nicht so schlimm wie alle sagen, schreibt Markus. Das stimmt, ist aber trotzdem falsch
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