Datenschutz

Datenkrake Berlin

Name, Muttersprache, Lernschwächen: diese Daten von Berliner Schülern sollen zentral gespeichert werden. In Hamburg hat eine ähnliche Datei bereits Nebenwirkungen gezeigt

Von Michael Metzger

Juliane Stork heißt bei ihren Freunden Julie. Sie ist Schulsprecherin an der Herder-Schule, ist am 3. Mai 1991 geboren und mag gerne Englisch, das Meer und das Gefühl von Leben und Freiheit. Was sie nicht mag ist Physik, ihr "Hass-Fach", außerdem verspürt sie eine Abneigung gegen Chilli-Bier. Das alles sind keine großen Geheimnisse. Wie 4,5 Millionen anderer Schüler aus ganz Deutschland, ist auch die 17 Jahre alte Berlinerin registriert im schuelerVZ, dem bundesweit größten Social Network für Jugendliche. Ihre persönlichen Informationen hat sie hier in ihrem Profil veröffentlicht, gut sichtbar für ihre Freunde.

SchuelerVZ ist nur eines von vielen sozialen Netzwerken im Internet: studiVZ, MySpace, Facebook, XING, LinkedIn, Lokalisten, die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen. Unter Jugendlichen ist es selbstverständlich, mehrere dieser Netzwerke gleichzeitig zu nutzen. Auch Julie wird wohl bald in einem weiteren virtuellen Verzeichnis gelistet sein: Der Schülerdatei. Betreiber ist hier allerdings kein junges, hippes Internet-StartUp und auch kein alteingesessener Medienkonzern, sondern der Berliner Senat. Bei der Schülerdatei handelt es sich um ein Verzeichnis aller Jugendlichen, die eine Schule in Berlin besuchen. Jeder Schüler erhält eine Nummer, registriert werden sollen so genannte "Kerndaten" wie Anschrift, Geburtsdatum und die Namen der Eltern. Zusätzlich werden auch Informationen über "Art und Umfang der außerschulischen Förderung und Betreuung", eine mögliche "nichtdeutsche Herkunftssprache" oder die "Befreiung von der Zahlung eines Eigenanteils für Lernmittel" gespeichert. So jedenfalls sieht es ein Gesetzesentwurf vor, der in den kommenden Wochen verabschiedet werden soll.

Der Berliner Senat verspricht sich von der Schülerdatei eine Erleichterung in der Verwaltung. "Bislang mussten wir zu Beginn eines jeden Schuljahres die Klassenstärken schätzen", sagt Jens Stiller, Sprecher der Schulverwaltung. Bei bevorstehenden Schulwechseln melden Eltern ihre Kinder gern an mehreren Schulen gleichzeitig an – so steigt die Wahrscheinlichkeit, an einer der Wunsch-Schulen genommen zu werden. Das erschwert die Schätzungen der Schülerzahlen. Mit der Schülerdatei soll bald jedem Schüler eine Schule eindeutig zugeordnet werden, zudem erleichtert es die Planung von Sprach- und sonstigen Förderkursen. "Wo ein höherer Anteil von Migrantenkindern zu erwarten ist, können wir zusätzliche Pädagogen einplanen", so Stiller.

Zusätzlich will der Senat Schulschwänzern leichter auf die Schliche kommen. Auf Anfrage von Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Jugend- oder Gesundheitsämtern gibt dann die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung den Kerndatensatz eines Schülers heraus. Das Kalkül dahinter: Wer beim Schwänzen erwischt wird, kann direkt und ohne Umwege bei der eigenen Schule abgeliefert werden.

Soviel Transparenz geht Julie zu weit. "Im schuelerVZ bin ich freiwillig Mitglied", empört sich die 17 Jahre alte Berlinerin. "Der Senat hingegen fragt mich nicht einmal, ob ich ihm meine Daten übermitteln will!" Das Thema Schülerdatei, fürchtet Julie, hat sich unter ihren Mitschülern noch kaum herumgesprochen. Die wenigsten wissen, was bald mit ihren Daten geschehen soll. Das befürchtet auch Ricardo Cristof Remmert-Fontes. Der Experte in Sachen Datenschutz ist Sprecher des Aktionsbündnis "Freiheit statt Angst", und koordiniert Aktionen gegen die geplante Schülerdatei. Einige Verbände, wie Schülervertretungen und parteipolitische Jugendorganisationen, haben sich der Protestgruppe mittlerweile angeschlossen. In den kommenden Wochen ist eine Aufklärungskampagne an Schulen geplant, am 25. Februar soll eine Großdemonstration stattfinden.

"Netzwerke wie das schuelerVZ sind privat, die können persönliche Informationen an Wirtschaftsunternehmen verkaufen", erklärt er. "Unerwünschte Werbung bei im Internet ist lästig genug. Aber was passiert, wenn der Staat sensible Daten unachtsam weitergibt? Das kann Existenzen bedrohen." Der Datenschützer erinnert sich noch gut an einen Fall aus Hamburg. Als vor damals die siebenjährige Jessica verhungert in ihrem Elternhaus aufgefunden wurde, fasste der Senat einen Entschluss: Nie wieder sollte ein Kind der fürsorglichen Hand des Staates entgleiten. So wurde die Meldepflicht im so genannten "Schülerregister" eingeführt. Ende 2008 flog jedoch mit Hilfe eben dieser Zwangsmeldung eine Schülerin auf, die illegal in Hamburg lebte. Dem 15jährigen Mädchen droht jetzt die Abschiebung, zusammen mit der ganzen Familie.

Remmert-Fontes befürchtet jetzt Hamburger Verhältnisse in Berlin. Seiner Meinung nach ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Umfang der Schülerdatei ausgeweitet werde. "Aus Angst vor der Schülerdatei werden Eltern ohne Aufenthaltserlaubnis ihre Kinder künftig vom Unterricht fernhalten", sagt er. "Für die Integration hätte das verheerende Folgen." Im Berliner Senat wiegelt man ab: "Die Schülerdatei wird das solidarische Verhalten in der Hauptstadt nicht beeinflussen", sagt Jens Stiller. Eine direkte Verlinkung zwischen Schülerdatei und Melderegister ist zudem in Berlin nicht vorgesehen.

In Bayern wurden die Pläne zur Einführung einer Schülerdatei vergangenen Herbst auf Eis gelegt, die neu an der Regierung beteiligte FDP-Fraktion hat das Vorhaben aus datenschutzrechtlichen Bedenken gekippt. Und die Bundeskonferenz der Datenschutzbeauftragten rät energisch von einer bundesweit einheitlichen Schülerdatei ab. So bewegt sich auch der Berliner Senat auf dünnem Eis. Im ersten Entwurf des Gesetzes sollten die Schülerdaten noch zentral in der Schulverwaltung gespeichert werden, nach einigen Gesprächen mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten und anderen Experten ruderte der Senat zurück: Jede Schule darf den Datensatz der eigenen Schüler nun behalten, über ein Netzwerk werden die Datenbanken allerdings zur zentralen Schülerdatei verbunden. Ist das Gesetz verabschiedet, sind die Schulen verpflichtet, die Daten ihrer Bildungs-Zöglinge regelmäßig auf dem aktuellen Stand zu halten. Die bezirklichen Schulämter sowie die Schulverwaltung können ebenfalls auf den "Kerndatensatz" zugreifen, alle weiteren Informationen erhalten sie nur in anonymisierter Form.

Passwortschutz, Datenverschlüsselung und Anonymisierung gehen Remmert-Fontes noch nicht weit genug. Der Datenschützer weiß: Wo auch immer Informationen digital einsehbar sind, finden sie früher oder später ihren Weg in die Öffentlichkeit. "Der beste Passwortschutz bringt nichts, wenn irgendein Beamter sich das Passwort auf einen Zettel notiert und diesen verliert", wirft er ein. Und auch Julie ist fürchtet, dass der Berliner Senat ihr in Sachen Datenschutz nicht so viel Mitsprache bietet wie das private schuelerVZ. Dort jedenfalls ist ihr Profil nur eingeschränkt sichtbar: Gleich nach ihrer Registrierung hat sie veranlasst, dass ausschließlich Freunde ihren Steckbrief sehen können. Und eine weitere Funktion aus dem schuelerVZ wird sie in der staatlichen Schülerdatei nicht vorfinden: Den kleinen pinken Button mit der Aufschrift "Account löschen".

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5 / 2009
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