Wladimir Kaminer

Mehr Faulheit wagen!

Vor zwei Jahren wollte der Schriftsteller Wladimir Kaminer Berliner Bürgermeister werden. Inzwischen hat er seine Meinung geändert: Wir brauchen keine Politik mehr. Ein Gespräch.

Wladimir, hast Du die Finanzkrise mitverfolgt?

Ja, in Russland ist das viel spannender als hier. Hier ist die Finanzkrise nur eine Nachricht, die den Menschen aufgedrückt wird. Dort wird sie vom Staat genutzt, um die Wirtschaft neu zu ordnen.

Was passiert dort genau?

Es werden dort auch große staatliche Finanzpakete wie in den USA oder Deutschland geschnürt. Der Unterschied ist: In den USA hat George W. Bush persönlich nichts von diesen Programmen. In Russland entscheidet der Staatslenker gerade, mit wem er zusammenarbeiten will. Nur diese Unternehmen bekommen Geld.

Wie im Film...

Nein, es geht um Solidarität. Wirtschaft ist eine kollektive Leistung. In einem Unternehmen kann ein Chef auch nicht mit Arschlöchern zusammenarbeiten.

Aber so gewinnt nicht der Beste, sondern der, der sich am besten mit dem Chef versteht.

Für uns Russen sind die meisten Regeln eher Handlungsanleitungen. Die einzig wahre Sünde ist die Maßlosigkeit. Der Kapitalismus hat sich selbst zugrunde gerichtet. Mit Leuten, die maßlos sind, kannst Du nicht zusammenarbeiten. So etwas führt nie zu einer positiven Entwicklung. Im Sozialismus gibt es die Möglichkeit nicht, Geld zu akkumulieren.

Plädierst Du dafür, den Sozialismus einzuführen?

Kapitalismus und Sozialismus setzen auf zutiefst menschliche Eigenschaften. Der Kapitalismus setzt auf Gier, der Sozialismus auf Faulheit. Im real existierenden Sozialismus haben zehn Menschen die Arbeit von vieren gemacht. Und sie waren glücklich dabei. Es gab weniger Güter, aber auch weniger Arbeit. Ich lebe in Prenzlauer Berg, einem Bezirk, in dem die meisten nicht besonders früh aufstehen. Das ist ein hervorragendes Lebensgefühl. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, unter Strebern zu leben. Das ist grausam.
Schau dir Lyssenko an, den wunderbaren Wissenschaftler Lyssenko. Er sagte, dass es keine genetisch vorgeprägten Verhaltensweisen und Merkmale gibt. Seine These war, dass Kuckuckseier nicht von Kuckucken in fremde Nester gelegt werden, sondern die Kuckucke die Eier fremder Vögel durch ihren Ruf zu Kuckuckseiern machten.

Blödsinn, oder?


Ja, Blödsinn. Aber wir müssen trotzdem es schaffen, Kuckuckseier zu machen.

Und was soll passieren?

Dieses Land mit seiner Demokratie und diesem schönen Wetter bietet uns die Gelegenheit, etwas Neues zu versuchen. Ich habe neulich eine Horst-Köhler-Rede zu sehen. Er sagte, dass Demokratie davon lebt, dass alle ihre Regeln verinnerlichen. Das aber beschreibt einen totalitären Staat. Eine Demokratie dagegen ist darauf angewiesen, dass ihre Regeln ständig in Frage gestellt werden.
Wir müssen die besten Seiten beider Systeme zusammenbringen. Das Gute am Sozialismus hervorbringen, das bisher nicht sichtbar wurde, weil wir ständig in blöden ideologischen Kämpfen verstrickt waren. Und das Gute am Kapitalismus, das Amoralische, das Pragmatische. Die Frage, ob etwas funktioniert. Wir entideologisieren die Systemfrage. Wir nehmen den Linken ihre rote Fahne weg und den Grünen ihren Bio-Lifestyle. Und machen daraus das Beste. Nicht der Kampf der Ideen, sondern der Kampf der Taten.

Wie willst Du es schaffen, dass die Menschen sich morgen über die alten ideologischen Kämpfe hinwegsetzen?

Akustische Signale. Die Menschen wissen zu wenig, ihnen wird Angst gemacht. Sie fürchten Armut, Krieg, Bedeutungslosigkeit. Der einzige Ausweg ist, mit ihnen zu reden. Sie müssen erfahren; dass sie optimistisch und solidarisch sein dürfen. Wir müssen Kuckucke aus ihnen machen.

Zurzeit sieht es eher so aus, als würden autoritäre Menschen mehr Zulauf finden als die, die für freieres Denken plädieren. Neonazis zum Beispiel.

Die sind doch total uncool. Was wollen die? Wer wird denen ihre Klos putzen?

In einer Volksgemeinschaft hat jeder seinen Platz...

Die meisten Menschen sind zu schlau für so was. Der Normalzustand ist doch, dass man sein Land nicht mag. Man hasst es nicht, aber man liebt es auch nicht. Es gibt keine Eigenschaft des deutschen Volkes, die man sich gern zuschreiben würde. Mit den Russen ist es dasselbe. Da sind 200 Millionen Arschlöcher dabei, was soll ich mit denen? Nationalismus ist vorbei.

Du beteiligst Dich am Bundestagswahlkampf, indem Du für die Linkspartei Lesungen durchführst. Warum?

Wir unterstützen sie nicht und wir fordern auch niemanden auf, sie zu wählen. Die Linkspartei ist eine Partei ohne Inhalte. Das ist eine gute Plattform, um sich an die Leute zu wenden.
Die Politik hat nach dem Fall des Kommunismus die Aufgabe verloren, zwischen der Wirtschaft und dem Volk zu vermitteln, denn die Wirtschaft regiert jetzt direkt. Also muss die Politik neue Aufgaben finden. Wozu braucht man heute Politik?

Geld verteilen, Außenpolitik...

Das Geld können wir auch ohne die Politik verteilen. Ich brauche dafür niemanden.

Soll man also die Politik abschaffen?

Man muss die Leute einfach dazu bringen, ihr Leben in die Hand zu nehmen.
Die Politik ist tot, sie kann die Zustände nicht mehr verändern. Gleichzeitig stellt sie noch Regeln auf und verhindert Freiheit. Der Bürger zieht den Kürzeren.

Willst du noch immer Bürgermeister werden?

Nein, den braucht man nicht mehr! (Denkt nach) Wir müssten eigentlich nicht nur bei der Linkspartei antreten, sondern auch bei den Grünen. Nein, eigentlich müssen wir das auch bei CDU, FDP und SPD machen. Das wäre der beste Weg, den neuen Umgang mit Politik zu unterstreichen. (Denkt nach) Das ist ein tolle Idee! Wir unterstützen die Vielfalt der politischen Kräfte und treiben das Zusammengehen von Sozialismus und Kapitalismus voran! Großartig! Kannst Du das weiterreichen?


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44 / 2008
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