Attac

Kapitalismus offensiv... anzweifeln!

Die Globalisierung sehen inzwischen ja alle kritisch. Attac muss darum einen Schritt weiter gehen. Wenigstens einen klitzekleinen.

Fragen an den Mitgründer Sven Giegold

Zuender: Herr Giegold, können Sie in einem Satz sagen, was Attac eigentlich ist und was Sie wollen?

Sven Giegold: Attac ist ein Netzwerk von globalisierungskritischen Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die sich für soziale, ökologische und demokratische Rechte im Prozess der Globalisierung einsetzen.

Zuender: Was genau verbirgt sich hinter dem Wort "Globalisierungskritik"?

Sven Giegold: Das heißt, dass wir die negativen Auswirkungen der Globalisierung kritisieren und den Prozess sozial, ökologisch und demokratisch unter Kontrolle bringen wollen.

Zuender: Etwas konkreter bitte.

Sven Giegold: Ein positiver Effekt der Globalisierung ist zum Beispiel, dass Menschen sich über Staatengrenzen hinweg begegnen. Negativ daran ist aber, dass auf Grund der Freiheit des Kapitals die soziale und demokratische Kontrolle des Kapitalismus kaum noch möglich ist.

Zuender: Was heißt "Freiheit des Kapitals"?

Sven Giegold: Dass die Bürger frei entscheiden können, wo sie ihre Ersparnisse anlegen können. Aber auch, dass Unternehmen entscheiden können, wo sie investieren. Oft tun sie das in Ländern, in denen üble Produktionsbedingungen herrschen, weil das am profitabelsten ist.

Zuender: Diese Kritik kommt inzwischen von vielen Seiten. Auch die CDU will Hedge-Fonds stärker kontrollieren.

Sven Giegold: Das bedeutet, dass die ursprünglichen Ziele von Attac im Mainstream angekommen sind. Das freut uns. Was uns nicht freut ist, dass daraus kein Handeln folgt.

Alle reden vom Klimaschutz, die Bundeskanzlerin hält sich für eine Klimakanzlerin. Aber diese lässt in Deutschland zwanzig neue Kohlekraftwerke bauen. Die Beispiele für den Widerspruch zwischen ethischem Reden und neoliberalem Handeln sind leider endlos.

Die Politiker haben unsere Rethorik übernommen, machen ansonsten aber weiter wie immer.

Attac-Sommeruniversität: Das sagen die Teilnehmer

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Zuender: Auch auf der Linken haben Sie Konkurrenz bekommen. Während des G8-Gipfels im vorigen Jahr haben andere Attac die Show gestohlen.

Sven Giegold: Wirklich? Unsere Auswertung hat ergeben, dass Attac noch nie so viel mediale Aufmerksamkeit hatte, wie rund um den G8-Gipfel. Es stimmt, dass die Minderheit der Blockierer um Heiligendamm Attac-Mitglieder waren. Kann sein, dass wir einigen jungen Aktivisten zu gemäßigt sind. Attac ist aber deshalb so groß geworden, weil wir gewaltfrei handeln und Lösungsvorschläge machen, die heute umsetzbar wären.

Zuender: Was ist mit der Linkspartei? Die hat das Thema soziale Gerechtigkeit inzwischen abonniert.

Sven Giegold: Unsere Funktion als einzige organisierte Kraft gegen Hartz IV haben wir verloren. Das finde ich aber gar nicht so schlimm – dass Attac sich mit der sozialen Frage aus innenpolitischer Sicht befasste, empfand ich sowieso als Notlösung. Unser Kernthema war schon immer der internationale Einsatz für soziale, ökologische und demokratische Rechte.

Zuender: Die Attac-Mitglieder haben nun fünf Tage lang über neue Strategien beraten. Und?

Sven Giegold: Wir haben gelernt, dass wir das Kapital nicht auf nationaler Ebene bändigen können. Deshalb müssen wir uns selbst weltweit und in Europa organisieren.

Ein Beispiel: In vielen Orten Europas wird die Wasserversorgung privatisiert. Oft profitiert davon ein großes Unternehmen names Veolia. Gegen die Wasserprivatisierung haben wir auf der Sommeruniversität das Netzwerk Aquattac gegründet. Wir organisieren uns also über Ländergrenzen hinweg, um gemeinsam für Alternativen zu kämpfen.

Zweites Beispiel: Wir fordern, dass die Bürger der Europäischen Union selbst über die Verfassung der EU abstimmen können. Wir werden uns in den Wahlkampf für die Europawahl im kommenden Jahr einmischen.  Und wir werden am 11. Oktober einen europaweiten Aktionstag für veranstalten, auf dem wir dafür werben, die Volksentscheide in Irland, Frankreich und Holland zu respektieren.

Zuender: Geht die weit größere Gefahr für die Demokratie nicht von Unrechtsregimen aus, wie sie in China, Venezuela, Kuba, Simbabwe, Sudan und so weiter herrschen?

Sven Giegold: Zum Ersten würde ich Venezuela nicht in einem Atemzug mit China und Kuba nennen. Der Führungsstil von Hugo Chavez hat auch autoritäre Züge, doch er wurde mehrfach demokratisch gewählt.

Zweitens erleben wir gerade eine Häufung globaler Krisen, die alle eine Folge der unkontrollierten Globalisierung sind. Der Klimawandel ist eine Folge der Globalisierung des westlichen Lebensstils. Die derzeitige Wirtschaftskrise ist eine Folge der unkontrollierten Finanzmärkte. Die Explosion der Nahrungsmittelpreise ist eine Folge der ungerechten Welthandelspolitik.

Richtig ist, dass durch diese Krisen autoritäre Ideen überall auf der Welt neue Nahrung bekommen. Das betrifft gerade die Länder, die sich selbst als demokratisch bezeichnen. Es reicht ein Blick nach Italien, wo Silvio Berlusconi die Armee gerade mit Polizeiaufgaben betraut. Auch in den USA gibt es gute Gründe, an der Demokratie zu zweifeln. Dort wurde eine Wahl gefälscht...

Zuender: ... Sie meinen die vorige Präsidentschaftswahl?

Sven Giegold: Die erste Bush-Wahl und die Tatsache, dass man in den USA ohne viel Geld nicht gewählt werden kann. Die Bürgerrechte werden überall in der westlichen Welt eingeschränkt. Das alles ist eine Reaktion auf die Globalisierung, der verzweifelte Versuch, die daraus resultierende Probleme zu beherrschen.

Zuender: Haben Sie die Lösung für diese Probleme?

Sven Giegold: Es gibt nicht die Lösung. Aber wir haben Vorschläge, um mit den schlimmsten Auswirkungen der Globalisierung fertig zu werden. Wir fordern, dass alle Finanztransaktionen besteuert und kontrolliert werden. Wir fordern die Schließung von Steuer-Oasen. Wir wollen soziale und ökologische Regeln im Welthandel.

Wir spüren aber auch, dass die Bereitschaft wächst, nicht nur über den Neoliberalismus zu reden, sondern auch über den Kapitalismus selbst.

Zuender: Das müssen Sie kurz präzisieren.

Sven Giegold: Die Leuten fragen sich immer öfter, ob mit dem System alles stimmt, wenn es trotz guter Argumente und haarsträubender Krisen nicht in der Lage ist, Alternativen zuzulassen.

Diese Diskussion hat Attac anfangs regelrecht vermieden. Doch die Fragen an den Kapitalismus werden härter: Warum wird die Gesellschaft reicher, meine Lebensumstände aber prekärer? Warum ist die Wirtschaft auf Wachstum ausgelegt, obwohl die Ressourcen unseres Planeten endlich sind?

Wir müssen uns diesen Fragen stellen. Was aber nicht heißt, dass Attac nun eine antikapitalistische Organisation wird – aber eine kapitalismuskritische.

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32 / 2008
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