Biker-Treffen

Born To Be Wild

Wie ist's um den deutschen Rocker-Nachwuchs bestellt? Und: sind die gefährlich? Wir haben gefragt, beim Jahrestreffen der Harley-Fahrer.

Von Oskar Piegsa (Text) und Anne Ackermann (Fotos)

Motorradfahrer. Bis Freitag hatte ich Angst vor denen. Da dachte ich, was viele denken: Dass die Leute, die das machen, genauso gefährlich sind, wie das Motorradfahren selbst. Dass sie jung sind und wild und gesetzlos und überall wo sie hinkommen eine Spur aus Urin, Asche und Knochensplittern hinterlassen. Stimmt das? 

Die Hamburg Harley Days sind eines der größten Biker-Treffen Europas. Ein ganzes Wochenende dauert das Spektakel, von mehr als einer halben Millionen Besuchern und 75.000 anwesenden Motorrädern werden die Veranstalter anschließend sprechen.

Galerie: Fotos von den Hamburg Harley Days.

Galerie: Fotos von den Hamburg Harley Days.

Der erste Motorradfahrer, den ich dort treffe, ist Karl-Heinz Meister. Seit 17 Jahren fährt der Pinneberger Harley. „Wir sind Rentner und fahren wenn wir Zeit haben. Und wir haben viel Zeit“, sagt er. Wir – sind das er und seine Rockerbande? „Nee, sowas gibt’s ja gar nicht. Ich fahre immer mit meiner Frau.“

Andere Rentner sammeln Münzen, Militaria, oder kümmern sich um den Hibiskus. Karl-Heinz Meister fährt Harley mit seiner Gattin. „Ich kauf' mir ein Motorrad und einen Lederdress und fege durch die Gegend mit 110 PS, oho, oho, oho“, sang schon Udo Jürgens in dem Lied Mit 66 Jahren über seine Lebensabendsplanung.

Aber Harley-Fahrer – das waren doch mal die jungen Wilden. Gibt’s die etwa nicht mehr?

Günther Hahn und Wolfgang Marquardt müssten das wissen. Beide sind vom Checkpoint Chapter Hamburg , einem Ortsverband der Harley Owners Group , dem offiziellen Netzwerk organisierter Harley-Fahrer. Während der Hamburg Harley Days organisieren die Herren Schnupperfahrten. Wer mit einem Motorradfahrschein vorbei kommt, darf einen kostenlosen Ausritt durch St. Pauli wagen.

„Von 25 bis open end“ sei hier das Einstiegsalter, sagt Günther Hahn und erklärt am eigenen Beispiel, was „open end“ bedeutet. „Rate mal, wie alt ich bin“, sagt er. Es stellt sich heraus: er ist 70. Fährt Motorrad seit 50 Jahren. Harley seit zehn. „Angefangen habe ich mit einem Motorroller, das war 1958, da hatte ich gerade meinen Führerschein“, sagt er. „Es macht Spaß. Es ist ein Stück Freiheit. Und du siehst ja: es hält jung.“ Ich hatte Hahn zuvor 20 Jahre jünger geschätzt. Und gesiezt. Beides falsch.

„Harley, das war damals oh-Gott-oh-Gott-oh-Gott“, sagt Wolfgang Manhardt. „In unserem Dorf gab’s das ja nicht.“ Der 57-Jährige ist Präsident des Checkpoint Chapters , das unter anderem gemeinsame Ausflüge organisiert und einmal im Monat einen Stammtisch am Hamburger Stadtrand. „Wir machen auch Charity“, sagt Hahn, „das kann man ruhig noch dazu schreiben.“ Und Marquard erläutert: „Wir haben im letzten Jahr eine Kindertagesstätte in St. Pauli renoviert und da 1000 Arbeitsstunden reingesteckt.“

Sind Motorradrocker nicht eher dafür bekannt, Häuser abzureißen anstatt sie zu renovieren, frage ich. Präsident Marquardt reagiert irritiert. Dass hier ein Jungreporter vorbei kommt und versucht auf die Fresse zu kriegen, hat er offenbar nicht erwartet. „Diese Frage haben wir jetzt nicht gehört“, sagt er dann höflich.

An einem Stand ein paar hundert Meter wird zumindest noch ein bisschen gepöbelt. „Warum soll die Polizei den Spass alleine haben? Bewaffnet die Bevölkerung!“, steht auf einem der Aufnäher, die hier verkauft werden. Dass klingt schon wegen des Rechtscheibfehlers gesetzlos. „Jeden Tag ’ne gute Tat: Heute scheiß ich auf den Staat“, steht auf einem anderen.

Ansonsten fühlt sich auf den Hamburg Harley Days alles sehr ungefährlich an. Aus einem Cocktailstand dröhnt Bob Marley. Ob sie nicht lieber Motörhead spielen sollte, frage ich eine der Barfrauen, die freundlich erwidert, dass Hardrock nicht zum Standkonzept passe. Es gibt Poffertjes und Husumer Fischbrötchen und Bratwurst vom Schwenkgrill. Am Samstag werden sich die Harley Days in ein Volksfest verwandeln, dann kommt sogar Tim Mälzer zum Showkochen vorbei.

Die Anwesenden sind nicht nur freundlicher als erwartet, sondern auch älter. Wer jünger ist als 40 steht hinter Thresen, verteilt Flyer oder tanzt halbnackt vor den Objektiven der versammelten Amateurfotografen.

Kurz: Die Jungen sind nicht hier, um die Harley-Szene vor ihrem demographischen Schicksal zu bewahren. Die Harley-Tage sind eine riesige Ü40-Party.

Eigentlich hätte man sich das ja denken können. Easy Rider , der Motorradfilm, der einst gegen die herrschenden Auffassungen zu Moral und Filmkunst rebellierte, wurde vor 39 Jahren gedreht. Hunter S. Thompson, der Chronist der berüchtigten Hells Angels , hat sich vor einigen Jahren das Leben genommen (er fühle sich mit 67 einfach zu alt, schrieb er in seinem Abschiedsbrief). Als sich Hollywood das letzte Mal der Motorradfahrer annahm, kam dabei Wild Hogs heraus, eine Komödie über alternde Ex-Rocker. Einer von ihnen wurde gespielt von Disco-Tänzer und Scientologe John Travolta – da waren nicht mal die fiktiven Kino-Rocker angsteinflößend.

Früher mögen Motorradfahrer mal eine Bedrohung gewesen sein, seit vergangenem Jahr wissen wir: Junge U-Bahn-Fahrer sind wahrscheinlich viel gefährlicher. Staatsfeinde sind die Biker nicht, im Gegenteil. Die Harley-Szene, so vermittelt die Veranstaltung, ist genau wie Deutschland: alt und ganz nett. Das ist beruhigend. Aber auch ein bisschen enttäuschend.

Kurz bevor ich gehe, fällt mir Pia Salchert auf. Die 20-Jährige trägt ihr Haar grellblond, eine schwarze Lederjacke und Leopardenfell-Slipper. Sie sieht so aus, als wäre sie eine ziemlich verwegene Harley-Fahrerin. „Ich dachte ich gucke mir das hier mal an, weil es kostenlos ist und hier Bands spielen“, sagt sie.

„Aber Motorrad fahre ich nicht. Ich habe von meinen Eltern eingebläut bekommen, dass das gefährlich ist.“ Sie hält inne. „Ich stelle mir das schon cool vor, Route 66 und so. Vielleicht später mal.“

Auch gut:

24 Stunden Hamburg - Ein Filmfestival über Reeperbahn und Rocker

Johnny Cash - Musik gegen den Status Quo

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

26 / 2008
ZEIT online