Vorurteile

Der Rumäne an sich

All das, was Reiseführer über die bewundernswerte rumänische Gastfreundschaft schreiben, ist falsch – ich habe es anders erlebt. Und was über die Knorrigkeit der rumänischen Zeitgenossen geschrieben wird, stimmt auch nicht – ich kenne Gegenbeispiele.

Von Arne Semsrott

Wie also beschreibt man die Menschen eines Landes? Am besten in einer Liste. Elf Begegnungen.

1. Die Geschichtslehrerin „Unter Ceaucescu war auch nicht alles schlecht.“ Ausgerechnet eine pensionierte Geschichtslehrerin erzählte mir von der glorreichen Zeit des Kommunismus und den Vorteilen der Planwirtschaft. Über Hitler wusste sie ebenfalls interessantes zu berichten: Verhältnisse mit Kindern meinte sie ihm nachweisen zu können und eine mehr als platonische Liebe zu Tieren. Vom Holocaust erwähnte sie nichts.

2. Der Kriegsveteran

Der Vater meiner Vermieterin, ein 98-jähriger Haudegen, der nach Weltkriegen, Kriegsgefangenschaft und Kommunismus nun auch noch die nervenaufreibende Bemutterung seiner Tochter durchsteht. Der eigentlich sympathische Mann vertraute mir an, er sei „kein Hitlerist“, aber gut wäre es trotzdem gewesen, hätten die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen. „Mit den Deutschen würde hier richtig Ordnung herrschen“, meinte er. Ich überlegte, ob ich ihm mal mein Zimmer zeigen sollte.

3. Die faulen Kolleginnen

Meine Kolleginnen in dem Behindertenheim in dem ich arbeitete , unterschieden sich von vielen Menschen, die ich in anderen sozialen Einrichtungen kennengelernt habe, vor allem durch ihre Unmotiviertheit.

4. Das Mädchen

Beeindruckt hat mich ein 17-jähriges Mädchen, das nach der Schule viele Male in der Woche in einem Hospiz aushilft. „Die Entscheidung, mich hier zu engagieren, war die beste meines Lebens“, sagte sie.

5. Die Beamten

Zur Verweiflung brachten mich ein ums andere Mal die Bediensteten der rumänischen Post und der Bahn. Sie schnauzten mich an, verweigerten mir Auskünfte und gaben mir, vermutlich gezielt, falsche Informationen. Unnötig zu erwähnen, dass im Bukarester Hauptbahnhof niemand Englisch spricht.

6. Die Verkäuferinnen

Freundlicher als die Schalterdamen waren aber die Verkäuferinnen in den 24 Stunden-Läden, die überall in Rumänien wuchern. Nur seltsam, dass sie statt Münzen das Wechselgeld in Kaugummis und Bonbons herausgeben. Meine Versuche, Einkäufe mit Süßigkeiten zu bezahlen, schlugen aber stets fehl.

7. Der Fahrer

Wenn Rumänen Englisch sprechen, dann oft sehr deftig. Als ich an meinem ersten Arbeitstag Livio, einen Chauffeur, fragte, ob er sich für Fußball interessiere, antwortete er: „I don’t give a flying fuck.“ Meinen Schock über die barsche Antwort überwand ich erst mit der Erkenntnis, dass Livios Lieblingsfilme reichlich actionhaltig sind. Und da das amerikanische Fernsehen in Rumänien nicht synchronisiert sondern nur untertitelt wird, lernte Livio sein Englisch von Arnold Schwarzenegger. Als er mich dann auf eine Pizza einlud, war wieder alles in Ordnung.

8. Safttrinkende Omis

Neben einem Faible für Pizzas hegen übrigens viele Rumänen auch positive Gefühle für Saft. Der wird immer dann herausgeholt, wenn es etwas zu feiern gibt. Als „suc“ werden allerdings meistens Cola, Fanta und Co bezeichnet. Einige ältere Damen luden mich zu sich ein, um mich dann nach allen Regeln der Kunst mit Saft und Süßigkeiten vollzustopfen.

9. Die Säufer

Da die Moldova-Region, in der ich lebe, für ihren Schnaps bekannt ist, musste ich im Sinne der Kulturerfahrung viel Selbstgebranntes trinken. Die Ergebnisse waren im wahrsten Sinne des Wortes niederschmetternd. Während ich schon unter dem Tisch lag, becherten die rumänischen Kollegen fröhlich weiter. Meine Rumänischlehrerin beruhigte mich dann aber: „Das sind alles alte Säufer. Da kannst du nur verlieren!“

10. Die Religiöse

Anders als in Deutschland ist auch das Verhältnis vieler Rumänen zur Religion – meine Antwort auf die Frage, ob ich denn katholisch oder evangelisch sei, löste teilweise Verwirrungen aus. „Wie, Atheist? Also evangelisch?“

11. Die Mechaniker

Auf einer winterlichen Tour mit meiner Mitbewohnerin war das rechte Hinterrad des Mietwagens festgefroren. Für die Männer des nahen Dorfes kein Problem: Als ein Feuerzeug das Eis nicht schmelzen wollte, holte man ein Tuch und zündete es an – unterhalb des Benzintanks, wohlgemerkt. Unsere Freude über das geglückte Experiment nahmen die Helfer eher gelassen entgegen. Anscheinend hatten sie schon vorher Erfahrungen mit Deutschen gemacht.

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10 / 2008
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