Rechtsextremismus in Ungarn

Gegen die Juden

Jährlich findet in Budapest eine rechtsextreme Gegenveranstaltung zum Sziget-Festival statt. Sie erfreut sich wachsenden Zulaufs.

Von Magdalena Marsovszky

Das Budapester Sziget-Festival ist mittlerweile eines der größten in Europa. Hunderttausende kommen jährlich zusammen, um so unterschiedliche Acts wie Tool , die Skatalites, Leningrad und Manu Chao zu sehen. Hier kann jeder spüren, was es heißt, dass es in Europa fast keine Grenzzäune mehr gibt. Doch das Mega-Event hat Gegner. Nicht etwa solche, die sich am Lärm oder dem Müll stören. Einigen Anwohnern ist das Festival zu jüdisch. Wenige Kilometer von der Obudai-Insel entfernt, organisierte eine rechtsnationale ungarische Intitiative vor einigen Jahren erstmals eine Gegenveranstaltung zum Sziget-Festival, das von ihnen "Judenfestival" genannt wird. Auf das Magyar Sziget (Magyarische Insel) wurden rechtsextreme Bands eingeladen, um für eine "homogene Volkskultur" aufzuspielen.

Beim ersten Mal kamen 150 Besucher. In diesem Jahr waren es 12.000.

Die meisten ungarischen Rechtsnationalen finden nicht, dass es Juden in ihrem Land schwer haben. "Bei uns gibt es keinen Antisemitismus, nur Hungarophobie", entgegnen sie. Dahinter, so eine gängige Denkfigur der selbsternannten "revolutionären Patrioten", stecke die gegenwärtige Regierungskoalition, bestehend aus Sozialisten und Liberalen. Sie und nicht die Rechtsnationalen schürten schließlich den Rassismus gegen die Magyaren, wie sich die ethnischen Ungarn bezeichnen. Die rechtsradikale Jugendgruppe " Jobbik " startete deshalb vor einigen Wochen den Aufruf "Zero Tolerance", mit der sie Unterstützer für den Erhalt des weißhäutigen, bedingungslos patriotisch und völkisch denkenden Magyarentums sammelte. Als ersten Schritt gründete sie die paramilitärische " Magyar Garde ", die den heiligen Schwur ablegte, als Wehrgarde das "seelisch und geistig wehrlose Magyarentum" notfalls auch mit der Waffe zu verteidigen.

Das Magyar Sziget hat im Lauf der Zeit nicht nur an Zulauf, sondern auch an personeller Breite gewonnen. Das Line-Up dieses Jahres bot ein ansehnliches Aufgebot ungarischen Rechtsrocks: Neben bekannten Skin-, Oi- und NS-Bands wie Titkolt Ellenállás (Geheimer Widerstand), Egészséges Fejbör (Gesunde Kopfhaut), Romantikus Eröszak (Romantische Gewalt) oder der Oi-kor fehlte auch die Kárpátia nicht, die die Musik für das Internetportal von Blood & Honour Hungary komponierte.

Doch auch prominente rechtsnationale Universitätsprofessoren, Juristen und Politiker gaben sich die Ehre. Zu den Stammgästen zählt der Experte für europäisches Recht, Dr. Tamás Gaudi-Nagy , ein Mitglied einer Juristenkommission, die sich für Rechtsradikale engagiert und deren Präsidentin die ungarische Gesellschaft in "unsere Rasse" und "deren Rasse" einteilt. Der Jurist sprach über die rechtlichen Mittel zum Schutz der nationalen Interessen, wobei "national" in diesem Fall etwa die Hälfte des Landes meint. Er rief dazu auf, die Nation von denen zurückzuerobern, die sie als Geisel genommen hätten. Jeder wusste, dass er die Kosmopoliten und Internationalen, also die gegenwärtige Regierung meinte.

Neben Vorträgen über die genetisch veranlagte kulturelle Überlegenheit der Magyaren, deren "Urheimat" sowie die magyarische "Urreligion", die noch vor dem Christentum entstanden sei, waren auch die üblichen Verschwörungstheorien zu hören. So sei die jüngste Gesundheitsreform nichts anderes als der Versuch eines Genozids am eigenen Volk, hinter der Schulreform stehe die administrative Absicht, das Volk seelisch und geistig wehrlos zu machen. Einige erregten sich über einen jüngst aufgedeckten "jüdischen Ritualmord".

Stargast des Festivals war wie in den Jahren zuvor Maria Wittner , eine Parlamentsabgeordnete der größten Partei Ungarns, der oppositionellen, bürgerlichen Fidesz, die auf kommunaler Ebene vielfach mit der Jobbik-Partei koaliert. Die Veteranin des Aufstands von 1956 trug ein Lied vor, das sie letztes Jahr mit Kárpátia zusammen produziert hatte. Ausführlich lobte sie ihre "gradlinigen Jungs", "lebendige Geschichtsbücher" gegenüber den Lügen, die den Magyaren seit Jahrtausenden vorgegaukelt würden. Oft bete sie zur Heiligen Krone, auf dass sie vom Bösen nicht eingenommen werde. "Noch arbeitet der Satan am Untergang der Nation!" rief sie der Menge zu, "und der Hauptsatan lässt sich ein Denkmal errichten". Auch hier wusste man, von wem sie sprach: Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány .

Der Kommunismus, fuhr sie fort, habe mehr als 100 Millionen Opfer gefordert, und dennoch sei es ein Tabu, über ihn zu sprechen. Stattdessen werde den Ungarn das Gedenken an die Opfer des Holocaust aufgezwungen. Eine "Kollektivschuld" wolle man ihnen einhämmern, obwohl eine solche bei jenen zu suchen sei, die die Magyaren im Namen der Globalisierung ihrer Identität beraubten und wirtschaftlich erpressten. Der Begriff "Globalisierung" ist bei Rechtsnationalen ein Synomnym für den Zionismus.

Die vom Blut der Magyaren getränkte Fahne der 56er Revolution sei die blutende Wunde Christi, die Nation sei aber Christus selbst. "Erwacht! Die Schlacht wird nie von den Offizieren gewonnen, sondern vom einfachen Soldat, denn er hält die Waffe in der Hand! Die richtige Revolution kommt erst jetzt! Euch gebe ich die Fahne weiter!"

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