Journalismus

Hurra, wir umarmen sie!

Linke sind komisch und grausam, Deutsche sind nicht lustig und Hitler war ein Würstchen. Der Journalist und Publizist Henryk M. Broder im Zuender-Interview

Fragen von Sophie Krempl-Klieeisen

Henryk M. Broder ist Journalist und Publizist, schreibt unter anderem für den Spiegel und den Berliner Tagesspiegel . Er wurde zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Kattowitz geboren, seine Eltern waren Juden. In seinen Artikeln und Büchern beschäftigt er sich vor allem mit dem Nationalsozialismus, dem Judentum, der Entwicklung der poltischen Linken in Deutschland.

Seine Ansichten sind umstritten. Für manche ist er einer, der die richtigen Fragen stellt, für die anderen ein Populist. Provoziert hat Henryk M. Broder vor allem mit seinen Thesen über die Ausbreitung des Islamismus und die Reaktion des Westens, die seiner Ansicht nach einer Kapitulation gleichkommen: Wer Selbstmordattentate und wütende Menschenmengen nicht als Provokation auffasst, sondern mit Verständnis versucht, eine Eskalation zu verhindern, würde den Radikalen nur in die Hände spielen.

Im Juni soll er den Ludwig-Börne-Preis für besondere Leistungen im Bereich Essay, Kritik und Reportage erhalten. Der diesjährige Juror Helmut Markwort (Chefredaktuer des Focus ) nannte ihn einen "freien Geist, der leidenschaftlich und feurig schreibt".

Sophie Krempl-Klieeisen hat mit Henryk M. Broder über sein neues Buch, modernen Antisemitismus und Anarchisten gesprochen.

Sind Sie überrascht, dass Hurra, wir kapitulieren! ein Bestseller geworden ist?

Ja. Ich habe noch nie einen Bestseller geschrieben. Ich habe nun bei Lesungen immer volle Säle. I am preaching to the convinced: Früher waren 90 Prozent der Leute gegen mich, heute sind 90 Prozent der Leute für mich.

Sind Sie mit Ihrem Buch jetzt in der deutschen Mehrheitsgesellschaft angekommen?

Nein. Meine Meinung hat sich nicht durchgesetzt. Aber mein Schreibstil dient dem Publikum. Leute wollen unterhalten werden, weil sie es leid sind, belehrt zu werden.

Offenbar haben Sie aber ein sehr heterogenes Publikum.

Mein Publikum kommt aus allen gesellschaftlichen Schichten. Ich bekomme per Post viel Zustimmung von jungen Leuten zwischen 20 und 25 Jahren, auch von arabischen, türkischen jungen Leuten. Da zeichnet sich aber kein Links-Rechts-Muster ab.

Es ist ohnehin sehr schwierig, die beiden Lager noch auseinander zu halten – außer über ihr eigenes Selbstverständnis, und das ist unfruchtbar. Zwar gibt es noch ein Links-Rechts-Muster, jedoch bestehen nicht mehr solche Unterschiede wie vor 20 oder 30 Jahren. Neulich habe ich eine sehr gute Rede eines CDU-Mannes gehört, zugleich sind Teile der SPD stockreaktionär. Nicht konservativ, das wäre ja okay, sondern reaktionär. Aber dass es trotzdem noch erstaunlich viele undogmatische Linke gibt, habe ich nicht für möglich gehalten. Also gibt es linksreaktionär und linksprogressiv.

Was ist denn dann Ihre politische Haltung? Anarchismus?

Das empfinde ich als ein Kompliment, Anarchisten waren mir schon immer sehr sympathisch. Anarchisten sind nicht autoritär, sie sind gegen staatliche Gewalt und sie sind Individualisten. Gott behüte aber, dass Anarchisten jemals zu Macht kämen, das würden sie wahrscheinlich auch gar nicht wollen. Als gesellschaftliches Ferment finde ich Anarchismus sehr gut, aber es ist eigentlich keine politische Haltung.

Und was machen Sie mit progressiven Konservativen?

Wir umarmen sie!

Was halten Sie davon, wenn ein Linker wie der französische Philosoph André Glucksmann plötzlich konservativ wählt?

Das ist doch in Ordnung. Ich habe in den letzten Wahlen auch Merkel gewählt. Noch schlimmer; da ich offiziell in Bayern wohne, habe ich Stoiber gewählt, weil es nur so ging. Die Linke ist seit dem Fall der Mauer noch ratloser als vorher. Seit dem Ende des Ostblocks muss sie ihre eigene obsolete Existenz erklären. Alles, was heute an linken Resten existiert, ist entweder komisch oder grausam. Entweder die Linke ist so komisch wie Fidel Castro oder so grausam wie die Jungs in Nordkorea. Es gibt heute keine vernünftige, verantwortliche Linke mehr.

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ergab kürzlich, dass antisemitische Tendenzen besonders unter den Wählern der Grünen verbreitet sind. Woran liegt das?

Eine gute Frage. Wenn ich die Antwort wüsste, hätte ich schon darüber geschrieben. Im Hass gegen Israel kommt eine große Schnittmenge zwischen Links und Rechts zusammen. Der rechte Antisemitismus ist verschämt, der linke Antisemitismus ist unverschämt. Der Antisemitismus ist eine Krankheit, die nachwächst und sich verwandelt. Der Antisemitismus von heute ist der Antizionismus. Und am Wachsen des linken Antisemitismus zeigt sich natürlich auch eine Homogenisierung der deutschen Gesellschaft. Eigentlich sind alle wissenschaftlichen Erklärungen sekundär. Man hasst die Juden, wenn sie Revolutionäre sind, und genauso sehr, wenn sie Reaktionäre sind. Man hasst sie dafür, dass sie die Gesellschaft verändern wollen, und man hasst sie dafür, dass sie die Gesellschaft erhalten wollen. Man hasst sie, wenn sie Schnorrer sind, man hasst sie, wenn sie Reiche sind. Und kluge Juden werden genauso gehasst wie dumme Juden.

Deutschland hält sich im Umgang mit Holocaust und Antisemitismus doch spätestens seit der Fussball-WM für ziemlich normal.

Das deutsche Gerede, dass die Deutschen normal werden müssen, ist vollkommen gaga. Die Deutschen waren schon immer und noch nie normal. Die Betonung der Normalität ist der Beweis des Gegenteils.

Ist Deutschland jetzt, da es Komödien über Hitler machen kann, wenigstens witzig?

Die Deutschen sind nicht witzig. "Mein Führer" war kein guter Film. Es ist zwar gut, dass die Leute über Hitler lachen, nur lachen sie leider über einen Film, der schlecht ist. Die deutsche Öffentlichkeit war immer damit beschäftigt, Hitler zu dämonisieren. Hitler war ein blöder, impotenter Lachsack. Die Deutschen sind auf einen Clown hereingefallen.

Ist Hitler den Deutschen peinlich?

Den Jungen nicht. Den Älteren ist er peinlich. Weil er ein Würstchen ist. Wenn sie wenigstens von Stalin verführt worden wären, wäre das noch okay gewesen, aber dass sie von solch einem erbärmlichen Würstchen verführt worden sind, ist ihnen peinlich. Die Reaktion, aus Hitler einen großartigen Redner zu machen und am Dritten Reich nicht alles schlecht zu finden, ist verständlich: Wenn Sie für 100 Euro schlecht Essen gehen, werden Sie kaum die Kraft haben zu sagen, dass das Essen schlecht war, weil es einfach zu teuer war. Bei dem Preis, den die Deutschen bezahlt haben, können sie nicht mehr sagen, dass alles Scheiße war. Außerdem sind Würstchen auch immer von Würstchen begeistert.

Warum gibt es dann in Deutschland nicht Filme wie die von Sasha Baron Cohen, der sich mit aktuellen Phänomenen von Nationalismus, Antisemitismus, Sexismus und Chauvinismus komödiantisch auseinandersetzt?

Das ist nicht das deutsche Fach. Ich fand den "Untergang" sehr gut. Man hat dem Regisseur und dem Produzenten vorgeworfen, sie hätten den Holocaust noch nicht einmal erwähnt. Für mich war das gerade die Stärke des Films. Er hat gezeigt, dass das Dritte Reich auch ohne den Holocaust ein kriminelles Projekt gewesen wäre, dass die Nazielite eine durchgeknallte, todesgeile Bande war, die keine Beziehung zur Realität hatte. Warum wird die Grausamkeit des Dritten Reiches immer am Holocaust exemplifiziert? Man greift sich das Allerschlimmste, um alles Andere darunter passieren zu lassen und damit zu rechtfertigen. Die Zigeuner, die Zeugen Jehovas, die Schwulen, das waren nur Grausamkeiten ‚within limits’, nur das mit den Juden, damit wurde die Grenze überschritten? Weil "Der Untergang" das gezeigt hat, war es ein guter Film.

Sagen Sie das als Deutscher oder deutscher Jude?

Der deutsche Pass ist kein schlechter Pass, er ist zwar auch keine besondere Ehre, aber natürlich auch keine Schande. Das hat mit Juden nichts zu tun. – Was sie betrifft: Was mir Sorge macht, ist, dass der jüdische Selbsthass zunimmt. Juden haben, genauso wie andere Minderheiten, besondere Antennen, was ihre Lage und ihre Rolle betrifft. Die Juden scheinen zu ahnen, dass ein Verhängnis auf sie zukommt. Und nun wollen sie jetzt schon den Anderen signalisieren, dass sie die guten Juden sind. Es hat noch nie so viele gute Juden gegeben. Das reicht von Noam Chomsky, der sich neulich vom Hamas-Fernsehen im Libanon hat interviewen lassen, über Norman Finkelstein bis hin zu Tony Judt und Gerard Menuhin. Sie wollen der Gegenseite jetzt schon klar machen: Verschont uns.

Ist das ein Widerspruch oder eine Entwicklung?

Wahrscheinlich beides. Aber ich verstehe das nicht. Sie können heute als Jude ganz normal leben, ohne belästigt zu werden. Früher gab es bei den Juden eine einzige Möglichkeit, sich zu assimilieren; sie konvertierten, um sich vom Judentum als Religion zu distanzieren. Heute besteht die einzige Möglichkeit, sich vom Judentum zu distanzieren, darin, sich vom israelischen Staat und somit vom Zionismus als der säkularen jüdischen Religion zu distanzieren. Also wird man als Jude Antisemit oder Antizionist, um von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden. Aber die Mehrheitsgesellschaft erwartet das gar nicht. Nur die Juden meinen, dass das von ihnen erwartet wird und die Distanzierung vom Zionismus ihr Ticket in die Mehrheitsgesellschaft und in die Assimilation ist. Das hat es vor 20 Jahren nicht gegeben. Ich halte das für ein Alarmzeichen.

Mitarbeit: Benjamin Weinthal

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08 / 2007
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