Kavka

Kavkas elektrische Zahnbürste

Markus Kavka putzt sich und denkt nach. Heute: Über seinen DJ-Führerschein, Lautstärke-Beschränkungen in Clubs und warum er die gut findet

Um einen Termin drücke ich mich in diesen Tagen ähnlich beharrlich wie um den nächsten Zahnarztbesuch. Es geht um meinen DJ-Führerschein. Was im letzten Jahr von vielen - auch von mir - noch für einen absurden Scherz gehalten wurde, wird bis Ende 2006 einigen Leuten das Lächeln im Gesicht gefrieren lassen. Wenn DJs und Diskothekenbetreiber sich dieses Jahr nicht darauf verständigen, die Lautstärke in den Clubs freiwillig auf 100 db zu beschränken, kommt 2007 die Gesetzeskeule, und dann ist bei 95db Schluss - was zahlenmäßig erst mal nicht so dramatisch erscheint, in der Wahrnehmung aber viel leiser wirkt. Mal als Anhaltspunkte: 120 db entsprechen dem Lärm eines startenden Düsenflugzeugs, 100 db dem eines Presslufthammers aus zehn Metern Entfernung. Die Durchschnittslautstärke in deutschen Clubs pendelt sich bei 500 gleichzeitig laufenden Rasenmähern ein. Derartigem Getöse dürfen Arbeiter nicht länger als 15 Minuten ohne Gehörschutz ausgesetzt sein. Mit dem Führerschein signalisiert der DJ nun, dass er die freiwillige Selbstbeschränkung auf 100 db unterstützt. Dazu könnten Clubs von sich aus dazu übergehen, nur noch Leute mit Führerschein auflegen zu lassen. Am Mischpult befindet sich zudem ein Messgerät, auf das alle Beteiligten ein Auge haben.

Aber ich kenn´s von mir selbst. Der erste DJ steigt bei etwa 95db ein, der Laden füllt sich, die ersten wippen mit, und bis zum Beginn der Primetime ist man locker bei 100 db. Der Geräuschpegel im Club erhöht sich ständig, man dreht nacheinander den Master-Regler, die Gain-Regler, Bass/Mitten/Höhen, die Monitorbox und schließlich - ganz schlimm - die Kopfhörerlautstärke auf Rechtsanschlag, 120 db und mehr sind da keine Seltenheit. Danach fiepen drei Tage die Ohren, weil Ohrstöpsel aus Eitelkeitsgründen ausfallen.

Anders war´s, als ich neulich in Zürich aufgelegt habe, denn in der Schweiz gibt es diese Lautstärkebeschränkung bereits. Sie liegt bei 93 db, manche Clubs haben Ausnahmegenehmigungen für 100 db im Stundenmittel. Da stehen dann auf der Tanzfläche tatsächlich Leute, die nicht wie Fans von minimalem Techno aussehen, mit in die Höhe gereckten Messgeräten und veranlassen bei Überschreitung der Grenzwerte ein sofortiges Drosseln der Lautstärke. In den zweifelhaften Genuss kam ich dann. Ergebnis: Der Floor war mit einem Schlag leer. Fakt ist, dass die Beschränkung bei elektronischer Musik besonders drastisch wirkt, weil die Tracks ohne fühlbaren Bass einfach nicht schocken. Im Gegensatz zu den Mitten und Höhen bei Rock- und Popmusik kommt der Bass allerdings um 8 db leiser im Innenohr an. Eine Ausnahmegenehmigung also für Techno und so? Geht natürlich nicht. Was statt dessen passiert: Die Elektronik-DJs reißen wieder vermehrt die Höhen auf, um wenigstens ein bisschen hörbare Dynamik reinzubekommen. Ist auch nicht so gut für die Ohren. Daher muss man lernen, mit Dynamik umzugehen, also bewusst laute und leise Parts im Set zu haben, um auf die durchschnittlich 100 db zu kommen. Auch das lernt man im Seminar zur Erlangung des Führerscheins.

Tatsache ist, dass die Gesundheitskosten im Bereich Gehörschäden in den letzten zwei Jahren um satte 80 Prozent gestiegen sind. Da Gehörverlust eine schleichende Erkrankung ist, merkt man oft auch erst jenseits der 40, dass man sich früher offenbar zu viel in der Disco rumgetrieben hat. Experten sagen voraus, dass jeder dritte Jugendliche mit 50 ein Hörgerät haben wird.

Ich bin hin- und hergerissen in meiner Einschätzung des DJ-Führerscheins. Rein gefühlsmäßig halte ich das Ganze für aktionistischen Quatsch, andererseits fällt mir auch keine bessere Lösung ein, um DJs wie Clubbetreiber, die beide ein persönliches Interesse an einer gewissen Lautstärke haben, für 100 db zu begeistern. Und freiwillig 100 als andernfalls per Gesetz 95 db, erscheinen einem da doch als die sinnvollere Lösung.

Gestern war ich, in mentaler Vorbereitung und hinsichtlich medizinischer Indikation bezüglich der anstehenden Entscheidung, beim Ohrenarzt. Der fragte mich nach dem Hörtest allen Ernstes, ob ich schon länger im Straßenbau tätig bin. Die bei mir beeinträchtigten Frequenzbereiche entsprächen genau denen eines Bauarbeiters, der seit Jahren mit dem Presslufthammer rumwerkelt.

Hmpf - zähneknirschend Daumen hoch also für den DJ-Führerschein. Und morgen kauf ich Ohrstöpsel.

02 / 2006
© ZEIT ONLINE