FILMFESTIVAL

Wie auf dem Dorf

Einmal im Jahr verwandelt sich die nordbayerische Kleinstadt Hof in eine Kino-Kultstätte. Die Hofer Filmtage haben Regisseure wie Wim Wenders, Sönke Wortmann und Tom Tykwer bekannt gemacht – heute ist der Glanz ein wenig verblichen, doch genau das ist das Schöne daran.

Von Carolin Ströbele

Vor dem Premierenkino in der Hofer Fußgängerzone gibt es keinen roten Teppich, dafür eine Würstelbude. Dort steht Werner, der "Teufelsbrater", und verkauft Bratwurst und Bier. Hinter Werner lächeln die Regisseure Wim Wenders , Werner Herzog , Sönke Wortmann und Tom Tykwer auf Fotos von der Wand. Sie sind die Söhne von Hof , haben dort ihre ersten Kurz- und Spielfilme vorgestellt.

Hof liegt in Nordbayern, am äußersten Rand der Republik, vor dem Mauerfall endete hier Deutschland. Der Regionalexpress fährt an senffarbenen, spitzgiebeligen Häusern vorbei, an Diskos, die "Piroschka" heißen und einem Dampflokomotivenmuseum. Deutschland sieht hier sehr alt aus, wie viele Städte im Osten vor der Sanierung.

Invasion der Medienmenschen

Das Festival, das nun 40 Jahre alt geworden ist, lebt von seinen Erinnerungen. Als einziger Filmemacher von Weltrang ist dieses Jahr der Finne Aki Kaurismäki angereist. Was die Schauspielerprominenz anbelangt, ist es mit Heike Makatsch und Katja Riemann getan. Dafür sieht man viele Gesichter, bei denen man denkt: "Den kenn ich doch aus dem Film – wie hieß der noch mal?"

Einmal im Jahr fallen die Filmschaffenden und Medienleute aus München, Köln, Hamburg und Berlin in die Stadt ein, und sowohl Gäste als auch Gastgeber scheinen sich über dieses seltsame Aufeinandertreffen zu freuen. Die Gastgeber, weil kurz ein Hauch von Glamour durch die kleine Fußgängerzone weht – und sie die Hotelpreise um 30 Prozent anheben können. Und die Gäste, weil es so übersichtlich, entspannt und unglamourös ist.

"I gfrei mi narrisch"

Für viele Regisseure gilt Hof immer noch als das ehrlichste und anspruchsvollste Festival in Deutschland. Wer dorthin eingeladen wird, an dem muss etwas dran sein. "I freu mi narrisch", sagt der bayerische Filmemacher Marcus H. Rosenmüller , "ich wollte schon immer in Hof laufen." Sein Film Schwere Jungs – die Geschichte zweier konkurrierender Garmischer Bobfahrer im Nachkriegsdeutschland - ist in diesem Jahr der Eröffnungsfilm. Man merkt dem 33-Jährigen auf der Bühne an, dass er gar nicht weiß, wohin mit seiner ganzen Begeisterung. Auch wenn Schwere Jungs eine eher platte Komödie ist, möchte man ihm am liebsten sofort und ständig auf die Schulter hauen - einfach, weil man sich mit ihm freut.

Laune des Schicksals

Die Hofer Filmtage waren eigentlich ein Zufall, eine Laune des Schicksals. 1967 zeigte der Filmstudent Heinz Badewitz ein paar Kurzfilme in seiner Heimatstadt – und nannte es der Einfachheit halber 1. Hofer Kurzfilmfestival. Das Ganze dauerte 2 ½ Stunden. "Kein Mensch hat damals ernsthaft an eine Fortsetzung geglaubt", sagt Badewitz heute. Doch schon im nächsten Jahr kamen sie alle wieder. Auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen war ein kritischer Film abgesetzt worden, die meisten deutschen Regisseure zogen aus Solidarität ihre Beiträge zurück und machten sich auf den Weg nach Hof, um sie dort zu zeigen.

Der kleine Ort wurde unversehens zum Mekka des deutschen Independentfilms: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog, Herbert Achternbusch, Wim Wenders zeigten ihre Filme, und plötzlich kamen auch die internationalen Stars: Jim Jarmusch , Dennis Hopper , Brian de Palma . In den 80ern wurde in Hof die neue deutsche Regie-Generation groß: Doris Doerrie, Tom Tykwer, Sönke Wortmann. Badewitz wurde vom Filmer zum Organisator. Seine Aufgabe: Filme finden, die nach Hof passen.

Schlachtfeld Familie

In diesem Jahr geht es vor allem um die Kampfzone Familie. Ein besonders gelungener Beitrag ist der Film Neandertal von Ingo Haeb und Jan-Christoph Glaser. Der 17-jährige Guido leidet an schwerer Neurodermitis und kommt erst langsam darauf, dass es die unterdrückten Konflikte in seiner Familie sind, die seine Haut zum Explodieren bringen. Positiv überrascht ist man auch von Heike Makatsch, die zu ihrem Film Schwesterherz auch das Drehbuch geschrieben hat. Eine sehr ehrliche Geschichte über die Angst vor dem Älterwerden in einer Gesellschaft und Arbeitswelt, die auf den flexiblen, trendbewussten Multi-Tasker ausgerichtet ist. Makatsch spielt eine Musikproduzentin in ihren Dreißigern, der im Urlaub mit der jüngeren Schwester ihr durchgestyltes Leben entgleitet.

Hüttenzauber

Natürlich geht es in Hof neben den Filmen vor allem auch ums Sehen und Gesehenwerden, ums Kontakteknüpfen und –vertiefen. Die Besäufnisse nach den Filmen sind legendär, vor allem, weil sie in so schräger Umgebung stattfinden. Die Kneipen hier heißen "Reeperbahn" oder "Tante Frieda" und sehen auch so aus. Grüne Kunst-palmen, bunte, rotierende Diskolichter und Sprüche auf Holztäfelchen wie "Lieber einen Bauch vom Saufen als einen Buckel vom Arbeiten."

"Ich bin zum dritten Mal hier, weil es einfach so nett ist", meint ein junger Regisseur aus Schwaben, der gerade seinen Kurzfilm in Hof vorgestellt hat, "ein bisschen wie zu Hause auf dem Dorf." Tatsächlich wirken die sonst so gestressten und überdrehten Schauspieler, Agenten und Filmer inmitten der Hirschgeweihe und Holzvertäfelungen erstaunlich entspannt. Man drängt sich zwischen Kachelöfen, tief hängenden Sechziger-Jahre-Lampen und dem DJ-Pult aus Zirbelholz, trinkt Hofer Scherdel-Pils und fragt sich, ob man schon betrunken genug ist, um zu Liedern wie "Lass die Finger von Emanuela" zu tanzen. Gerade weil die Riege der A-Promis nicht durch Hof rennt, können sich alle anderen zurücklehnen und sogar einen gewissen Entdeckerdrang verspüren. Weil Hof immer noch einen Anfang verspricht – auch vom letzten Winkel der Republik aus. 

Auch schön:

"First Steps Award" 2006 - Ruhm und Knete für den deutschen Filmnachwuchs

"Krieg vorbei, Festival noch da" - Das Sarajevo Filmfestival

Drüber reden? - Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

32 / 2006
ZEIT online