Subkultur

Ouagadougou Underground

Auch im afrikanischen Burkina Faso macht man HipHop. Wo der läuft und wovon er geprägt ist, hat Oskar Piegsa erforscht

Es wächst Gras auf den Straßen des Ghettos. Büschelweise bricht es aus den unbefestigten Wegen hervor, die die Häuser und Höfe von Bedogho verbinden. Das Viertel ist eines der ärmsten in Ouagadougou , der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Burkina Faso , der laut UN eines der ärmsten Länder der Welt ist. Wer in Bedogho wohnt, der lebt kaum anders, als man das in afrikanischen Dörfern tut ohne fließend Wasser, Strom, Sicherheiten. Dafür gibt es hier allerdings etwas, das man in afrikanischen Dörfern gar nicht erst zu suchen braucht: Graffiti.

„Mein Bruder hat das gemalt!“, schreit eine Frau vom Hof gegenüber. Stolz weist sie auf den Urheber des überdimensionalen Gemäldes hin, das sich an der Kreuzung zweier Lehmwege über eine Häuserwand zieht. Totenköpfe sind abgebildet und ein Sportwagen, durchzogen von dem Schriftzug „La Censure“, dem Namen einer Rap-Gruppe aus Burkina.

HipHop ist groß, auch in dem afrikanischen Land, dessen Namen in Europa kaum jemand kennt, weil es hier keine Rohstoffe gibt und schon lang keine Kriege mehr. Dafür kommen über 500 Leute zu den Breakdance-Battles in der Maison de la Jeunesse , zahlen Eintritt, tragen Baggypants und leisten sich einen Lifestyle, den man hier nicht erwartet hätte. Doch wer im Zentrum von Ouagadougou durch die Straßen fährt, kann sich kaum retten vor Bässen aus den so genannten Discothèques . Die Bretterverschläge am Straßenrand sind gesäumt mit Musik-Kassetten und Video-CDs voller billig produzierter Musikclips. Was man im Westen Black Music nennt, ist längst angekommen in Schwarzafrika .

Auf den Trittbrettern, die über Straßengräben führen, auf Straßenschildern und an Mauerecken stehen Namen getaggt . Young Boys , zum Beispiel, Power Boys und Biggy Euro Boys Reviermarken jugendlicher Cliquen, die an die frühen Gang-Graffitis aus den USA erinnern. Ganz in der Nähe der etwas eigenwillig betitelten Titanic Boys ziert noch ein anderer Schriftzug die Hauswand. „CFA“ steht da in weiß umrissenen Lettern an der Wand. Die Abkürzung steht für den Franc de la Communauté Financière d'Afrique , die Währung, die ähnlich einem afrikanischen Euro von den Staaten im Westen des Kontinents geteilt wird. CFA ist aber auch der Name einer örtlichen Rapgruppe, die sich nach den afrikanischen Francs benannt hat. Sie wohnt im Haus gegenüber.

Dort hinter dem Metalltor warten bereits Edouard Kollofo und Arsene Wango, alias King Hard & Core und King Kast . Beide sind Anfang 20, gehen noch zur Schule, wohnen noch bei ihren Eltern und behaupten, seit sieben Jahren HipHop zu machen. Sie haben sich als Breakdancer versucht und Wände bemalt. Jetzt rappen sie, zu programmierten Beats auf Kassette oder zum Live-Getrommel auf der Djembe . „Es dreht sich alles nur um Geld“, sagt Edouard. Deshalb hat er seine Band CFA genannt.

Hinter Arsene räkelt sich ein Mädchen oben ohne auf einem alten Renault. Wäre es zehn Jahre älter und der Wagen 20 Jahre jünger – die Szene wäre das perfekte Rap-Klischee. Doch Rap-Klischees sind fern, auf dem Hof von Edouards Eltern. Rechts picken Hühner, links will der Ghettoblaster nicht anspringen. Statt Joints werden home grown Erdnüsse gereicht, noch unreif und etwas bitter. Der Boden vibriert – allerdings nicht wegen der Bässe, sondern weil im Hinterhaus eine Baumaschine wummert. Egal, die Homies sind down mit CFA – eine ganze Horde kleiner Jungs und Mädels steht staunend um die Rapper, versteht zwar nichts von Flows und Rhymes, ist aber stolz auf die großen Brüder.

Die müssen heute a cappella auftreten, der Ghettoblaster läuft nicht und der Typ mit der Djembe ist nicht gekommen. CFAs Texte sind ein Gemisch aus Französisch, gebrochenem Englisch und der Sprache der Mossi, die die größte ethnische Gruppe in Burkina Faso stellen. Weil das dem ungeübten Ohr kaum verständlich ist, erklärt King Hard & Core zwischen den einzelnen Tracks seine Texte, während King Kast verschämt lächelt. „Aight. Das nächste Lied ist über die Korruption. Fuck la Corruption!“

Korruption ist ein Lieblingsthema von CFA. La Corruption , das bedeutet für sie zuerst einmal, dass man Konzertveranstaltern Geld für Auftritte bezahlen muss, dass Studios teuer sind und Produzenten auch, dass man nur wenig Chancen hat, Gehör zu finden, wenn man arm ist. „Geld zieht Geld an“, sagt King Hard & Core . Wer kein Geld hat, muss sehen, wo er bleibt: An den Straßenkreuzungen Handykarten verkaufen. Mit Bauchläden voll Taschentücher, Fußballtrikots oder Sonnenbrillen umherziehen. Obst verkaufen oder Mais rösten am staubigen Straßenrand. So läuft das bisher, in Burkina Faso.

„Wenn du in deinen Texten nur über Autos und Frauen sprichst, dann wird niemand Geld für deine Kassetten bezahlen“, sagt King Hard & Core . Deshalb rappt er über politische Themen. Und King Kast ergänzt: „Um die Leute zu erreichen, musst du etwas in ihre Herzen pflanzen.“ Politische Texte, aus finanziellem Kalkül? Jein. In einem Land wie Burkina Faso durch bloßes Können reich zu werden, ist schon immanent politisch. „Meine Eltern fangen erst langsam an zu verstehen, worum es mir geht“, sagt Edouard, „sie begreifen, dass in einem Land, in dem es schwer ist, Arbeit zu finden, Rap ein Ausweg sein kann.“

Schlagartig ist es dunkel geworden. Die Graffitis sind im Grau verschwunden und die Grasbüschel auch. Was bleibt, ist der Staub auf den Lippen, der salzig schmeckt vom Schweiß. Auswege sind keine ausgebauten Straßen. Und das Leben bleibt hart, in Bedogho.

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32 / 2006
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