Interview

Alles ist Musik

Schneider TM outet sich als Buddhist des Electroclash. Mit Björn Baumeister sprach er über sich und seine Musik als Teil des großen Ganzen und wie Drogen einem dabei helfen können, in Harmonie mit seinem Umfeld zu leben.

Fragen von Björn Baumeister

Warum ist dieser Berliner Laden hier Deiner Meinung nach die beste Kneipe der Welt?
"Der Club" ist mein zweites Wohnzimmer, weil meine Wohnung direkt oben drüber ist. In dieser Kneipe trifft man supernette, völlig unterschiedliche Menschen und es gibt hier alles, was man so braucht - von Billard bis Rauchwaren.

Bevor du 1999 nach Berlin gezogen bist, hast du in Ostwestfalen in Bands wie Hip Young Things oder Locust Fudge gespielt. Vermisst Du diese Zeit?
Nein, mir geht es heute viel besser als damals. Definitiv. Locust Fudge wurde niemals wirklich aufgelöst. Irgendwann wird es auch wieder neue Sachen von Krite und mir geben. Einmal im Jahr geben wir auch ein Konzert, aus Spaß an der Sache. Wir haben auch mal extra für eine Elvis-Party Songs vom King im Stile von Velvet Underground gecovert. Hip Young Things hingegen ist Geschichte. Unser Gitarrist wandert in Kürze nach Kanada aus und unser Bassist hat Haus, Familie und Job in Bielefeld. Naja, ein wenig vermisse ich es, laute Musik mit einer Band im Proberaum zu machen. Mittlerweile mache ich ja alles allein zuhause.

Verstehen deine Eltern, warum du das alles tust?
Zu meinem Vater habe ich gar keinen Kontakt. Meine Mutter und speziell meine Oma verstehen es zwar nicht, aber sie sind schon stolz, glaube ich. Sie wundern sich aber, wie ich davon seit Jahren leben kann, ohne einmal in der "Bravo" aufgetaucht zu sein. Sie sind sogar manchmal etwas neidisch, wenn ich erzähle, dass ich in Brasilien oder in Japan gespielt habe.

Hast Du das Gefühl, dass Schneider TM im Ausland einen gewissen Exotenbonus hat?
Im gewissen Sinne ja. Zwischen 2002 und 2004 habe ich mit Schneider TM höchstens 10 Konzerte hier in Deutschland gespielt, dafür aber über 150 im Ausland. Aber das ist gut so, denn gerade in anderen Ländern zu spielen und andere Menschen und ihre Kulturen kennen zu lernen, begeistert mich.

Was machen diese verschiedenen kulturellen Erfahrungen und Eindrücke mit dir?
Sehr viel. Die Erfahrungen und Eindrücke, die ich auf Tour erlebe, sind extrem wichtig für mich als Person. Die Konzerte sind manchmal sogar zweitrangig, weil es mir wichtig ist, Menschen und deren Lebensart kennen zu lernen und aufzusaugen. Oft merke ich erst nach der Tour, wie viel ich von ihnen gelernt habe. Unbewusst wirkt sich diese Bewusstseinserweiterung auf meine Musik auch aus, denn meine Musik ist vom Alltag nicht zu trennen, sondern kommt von dort.

Im Alltag stecken die unterschiedlichsten Klänge und Geräusche. Ist jedes Geräusch Musik für dich?
Ja, alles ist Musik. Alles, was klingt ist Musik - manchmal schön, manchmal auch nicht so schöne Musik.

Wird Musik dann nicht sehr beliebig?
Ich denke, dass jeder irgendwie seine eigene Wahrnehmung von Musik finden sollte. Ich habe meine Platte inmitten einer Baustelle gemacht, was einerseits tierisch nervig, andererseits aber auch sehr inspirierend war. Da gab es Momente, in denen ich völlig umgehauen wurde und die schönste Musik meines Lebens in diesem Baustellenlärm gehört habe. So etwas könnte man niemals komponieren. Das Ganze darf eben nicht in Beliebigkeit abdriften. Man muss die guten Momente finden und sie wahrnehmen. Mein Kriterium ist immer meine eigene Faszination.

Wie entsteht aus der Faszination eines Geräusches ein Song?
Wenn ich einmal einen faszinierenden Ansatz habe, gehe ich ziemlich strukturiert und konzeptionell an meine Songs heran. Ich baue sie so auf, dass sie ein in sich stimmiges System werden.

Wann berührt dich deine Musik?
Das ist eine intuitive Angelegenheit. Keine Ahnung, auf jeden Fall ist das immer sehr kopf- und hirnlos. Mir geht es ganz viel um einen bestimmten Spirit. Wie Sun Ra sagte: "Möglichst kraftvoll." und "Musik ist eine spirituelle Sprache." Ich glaube ganz fest daran, dass Musik unglaubliche Kraft haben und Energie spenden kann. Ich denke beim Musikmachen in einem größeren Zusammenhang.

Du bist also spirituell angefixt?
Auf jeden Fall! Alles was Du machst, bleibt erhalten. Es geht zu einem Erschaffer. Ich und meine Musik sind Teil des Ganzen, so wie alle Kreaturen und deren Output. Alle Strukturen, seien es gesellschaftliche, natürliche oder künstliche, sind ähnlich. Alles hängt zusammen. Ich bin nicht erleuchtet, aber ich habe eine Ahnung, die mir Sinn gibt.

Nimmt eine derartige Einstellung dir Existenzängste?
Ja, ich hatte früher solche Ängste. Mittlerweile gar nicht mehr. Mit einem freien Willen entscheidest du, welche Freundin du hast, wo du lebst und was du machst. Auch wenn das alles zusammenhängt, hast du es selber in der Hand. Diese Sicht ist für mich extrem befreiend.

Hast du diese Lebenseinstellung auch deinen Drogenerfahrungen zu verdanken?
Nicht nur, aber sie haben mir geholfen. Man muss solche Erfahrungen aber auch reflektieren, sonst bleibt man hängen. Ich genieße es sehr auf diesem Planeten zu sein. Aber meine Zeit ist kurz, und deshalb versuche ich möglichst respektvoll mit allem umzugehen, sei es in der Musik, der Natur oder meinem Umfeld. Ich versuche, in Harmonie mit dem zu leben, was mich umgibt.

Es fällt dir schwer, über Musik zu reden, oder?
Es fällt mir nicht schwer, über meine Motivation, Musik zu machen, zu sprechen. Aber über Musik an sich zu sprechen, geht nicht. Man hört etwas, man trifft Leute, man wird aktiv. Kommunizieren ohne Worte: das ist Musik! Ich will und kann darüber nicht reden. Wie meine Oma immer sagte: "Skoda Mluvit", was so viel bedeutete wie: Es ist eh zu schade, darüber reden zu müssen.

32 / 2006
ZEIT ONLINE