Identität

Geschlechts-Akt

Wenn Menschen sich im falschen Körper wähnen, ist eine Geschlechtsumwandlung der klassische Weg in die Transsexualität. Inge Hoppe (40) will sich trotzdem nicht entscheiden

Von Almut Steinecke

Verspielt schlenkert es mit den Armen, rollt eine Locke um den Finger, schmust mit der Puppe auf den Knien. Inge Hoppe (40) beobachtet das kleine Mädchen im getupften Sommerkleid, das sich einige Meter weiter auf die Stufen des Caféhauses gehockt hat. So ein typisches Mädchen ist Inge Hoppe nie gewesen, auch nicht, als sie noch so jung war wie die Kleine, war nie eine, die gerne mit Puppen spielt. Wobei sie Kinder liebt, dem Mädchen zulächelt, ganz den Eindruck vermittelt, zufrieden zu sein, mit sich und seinem Körper. Denn der ist seit einem Jahr geformt wie bei einem Mann.

Es ist einer dieser Feiertage mitten in der Woche. Das Städtchen Herne im Herzen des Ruhrpotts döst vor sich hin, die Straßen sind fast menschenleer, das stilvolle Caféhaus in der Fußgängerzone sieht an diesem Donnerstag vor allem Pärchen mit Kindern, die spielen, während die Erwachsenen ihre Milchkaffees schlürfen. Inge Hoppe kommt gerne hierher. Das Ambiente hat genügend Leichtigkeit, um ihre Geschichte zu erzählen.

Seit sie denken kann, leidet die kaufmännische Angestellte unter einer "Geschlechtsidentitätsproblematik, so nennen das die Psychologen, ein furchtbares Wort, das sprengt ja jeden Notizblock", Inge Hoppe lacht, winkt ab, trinkt Kaffee. Ihr Gesicht ist ungeschminkt, um ihren Mund spielt ein harter Zug, aber ihre Augen blicken warm. Ihre Sprache ist lakonisch, aber herzlich, sie redet offen, aber plappert nicht. Wie jemand, der sich keine unnötigen Gedanken macht, aber auch nicht oberflächlich ist. Ein männlicher Typ ist sie, aber möchte nicht als Transsexuelle bezeichnet werden. "Das Wort ,transsexuell’ ist mir zu billig. Mein Kern ist weiblich, meine Hülle männlich, ich würde sagen, ich bin transident."

Ein Mensch also, der das Pendel in sich ständig zwischen männlich und weiblich hin und her schwingen lässt, auf den Gefühls-Grenzen der Geschlechter balanciert? "Ja, so könnte man es ausdrücken", nickt sie und gibt zu, dass das nicht einfach zu verstehen ist.

Es wurde kompliziert, als sie 11 Jahre wurde, als ihre Brust zu wachsen begann. Exakt ab diesem Zeitpunkt hatte Inge Hoppe ein "diffuses Gefühl von einem inneren Unglück", wenn sie sich nackt im Spiegel besah. Warum sie die weiblichen Wölbungen nicht mochte, konnte sie nicht sagen. "Die Frage nach dem ,Warum’ kann ich auch heute nicht wirklich beantworten". Das innere Unglück zog sich tiefer, als bei ihr die Periode einsetzte. Die Pubertierende fühlte Ekel für diesen "Gebärapparat", den sie in sich hatte wie jedes Mädchen. "Es war wie ein eigenes, unerwünschtes, nicht beeinflussbares Leben in mir – aber ich habe das erst mal akzeptiert". Bis sie 18 wurde.

Da konnte sie plötzlich ihre Weiblichkeit nicht mehr ertragen. Machte eine Radikaldiät, schoss sich von 70 Kilo runter auf 50, bis ihr Körper wieder "etwas androgyner" war. Aber noch nicht genug. Die damalige Gymnasiastin betäubte ihr inneres Unwohlsein, das sie selbst nicht erklären konnte, ging "wie mit geschlossenen Augen durchs Leben". Machte Abitur, ihre Ausbildung, hatte Beziehungen zu Männern, aber nie wirklich feste, "wobei ich keine Männerhasserin bin, Männer sind okay". Aber mehr auch nicht. Mit 28 fing sie an "lesbisch zu leben". Sie lernte ihre damalige Freundin Petra (32) kennen, spürte zum ersten Mal Tiefe, Gefühl, eine Beziehung, die sie ausfüllte. Die aber nicht das körperliche Unglück vertrieb.

Jahre verstrichen. Mit 30 riet die Gynäkologin zu einer Brust-OP. Doch statt gleich eine "Mastektomie" zu fordern, bat Inge die Ärzte um "die extremste Verkleinerung, die sich durchführen lässt". Als sie danach in den Spiegel sah, brach sie in Tränen aus: "Die Ärzte hatten mir so ein Dirndl-Ding geformt", viel kleiner zwar, aber rund und prall.

Zehn Jahre lief sie mit "Maria-Hellwig-Brust" herum, acht Jahre lang ging sie zu einer Therapeutin, die jene ungelenk klingende "Geschlechtsidentifikationsproblematik" bei ihr diagnostizierte. Sie war es, die Inge Hoppe beibrachte, sich selbst ernst zu nehmen, und ihr so den Mut zu einer weiteren OP gab. Zum Jahresbeginn 2005 machte Inge Hoppe einen Termin bei einem Arzt im Elisabeth-Krankenhaus in Recklinghausen, um die Brust komplett entfernen zu lassen. Den 47-jährigen Chirurgen zu gewinnen war nicht einfach, "der hat sich gewunden wie ein Aal, er sagte, ,meine Aufgabe ist es doch, Frauen schöner zu machen’". Dass Inge Hoppe sich nur ganz flach ästhetisch fand, davon konnte sie ihn erst nach drei, vier Besuchen überzeugen.

Dann hatte die Hartnäckige den Arzt soweit. Am 25. Januar 2005 sollte der OP-Termin sein. Diesmal trug sie die Kosten allein, die psychiatrische Diagnose einer "transsexuellen Prägung" war der Krankenkasse nicht Grund genug, die Kosten zu übernehmen. Doch kurz vor der OP sagte sie panisch ab. "Ich hatte Angst, aus der Narkose nicht wieder aufzuwachen." Inge Hoppe schaut auf ihre Hände. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag wirkt sie verletzlich, ihre Augen wandern durchs Café, als sie sich an das letzte Jahr erinnert.

"Als ich die OP im Januar abgesagt hatte, stürzte ich in ein schwarzes Loch" – Depressionen. Inge Hoppe ließ sich krank schreiben, igelte sich neun Monate in ihrer Wohnung ein. "Es war ein Herumbringen von Stunden". Lesen. Schlafen. Füttern ihrer drei Katzen Fairy, Mimi und Kiwi. Hauptsächlich aber dieses dumpfe Brüten, als würde sie wieder mit geschlossenen Augen durchs Leben gehen, sich aber diesmal beobachten dabei, ein unerträglicher Anblick – "ich war an einem Punkt, wo andere ihr Leben beenden."

In der Zeit lernte sie zufällig eine OP-Schwester kennen, die bei dem Chirurgen aus Recklinghausen arbeitete. Inge Hoppe fragte, ob sich auch kurzfristig eine OP vereinbaren ließe, damit ihre Angst vor der Narkose nicht wieder wochenlang Gelegenheit hatte, sie auszubremsen. Rein organisatorisch kaum möglich, aber Inge Hoppe setzte auch diese Ausnahme durch. Im August 2005 wachte sie auf aus ihrer Lethargie, ließ sich die Brust komplett entfernen. "Man darf sich nichts vormachen, der Oberkörper wird stark zerschnitten und sieht von den Narben her heftig aus.

Aber als die frisch Operierte anschließend in den Spiegel blickte, "war das der imposanteste Augenblick meines Lebens – ich fühlte mich wie ein Bergsteiger, der auf der Spitze des Mount Everest angekommen ist und endlich freie Sicht auf alles hat". Dreieinhalb Wochen später "machte ich den Rundumschlag": Inge ließ sich die Gebärmutter herausnehmen. Eine Operation für nochmals 7000 Euro, "aber ich hatte gutartige Geschwulste, sogenannte Myomen, so dass die Krankenkasse diesmal übernahm".

Seit gut zehn Monaten hat Inge Hoppe per Definition keinen weiblichen Körper mehr. "Das Gefühl des Glücks, mit dem ich jeden Morgen aufwache, war den Kampf wert." Einmal am Tag schmiert sie sich Testosterone als Gel auf ihren Bauch, um langsam aber sicher immer androgyner zu werden. Trotz der entfernten Gebärmutter bleibt ein "Restgefühl von Weiblichkeit", jener "Kern", den sie ihrer "Hülle" entgegen hält. Deshalb will sie sich keinen Penis formen lassen, auch ihren Vornamen nicht abändern.

Meine Ärztin meinte, ich sei beileibe nicht die Einzige, die sich mit ihrer Weiblichkeit nicht anfreunden könne, aber ich sei eine der wenigen, die die Dinge in Angriff genommen hätten", sagt Inge.

Sie meint aber auch, dass ihr Weg schwieriger sei, als der eines Transsexuellen, "bei dem es klare Grenzen gibt, den man katalogisieren, einreihen kann". Sie will sich nicht entscheiden müssen, nur weil der Gesellschaft mit einem geschlechtlichen Entweder-Oder wohler ist. Dann winkt sie der Kellnerin, "zahlen bitte!", der Tag ist noch jung und Inge hat viele Hobbies: Computer, Autos, Fußball, Technik. Puppen weniger. Die würde sie höchstens reparieren.

Inge Hoppe freut sich über Feedback von anderen Betroffenen. Am besten via E-Mail

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30 / 2006
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