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Erfahrungsbericht

Das Haus, das Verrückte macht

Eigentlich soll bei der Musterung nur die Tauglichkeit für den Wehrdienst festgestellt werden. Die immer gleiche Prozedur aber hat Spuren beim Personal hinterlassen

Mein Musterungstermin ist um acht Uhr morgens. Ich bin pünktlich. Hinter dem Eingangsportal des Kreiswehrersatzamtes in der Sophienterasse 14 in Hamburg wartet der Pförtner. Als ich meinen Personalausweis vorzeige, klemmt er die Kippe zwischen seine Zähne und streicht meinen Namen aus einer Liste. "Anmeldung 2. Stock", brummt er, dann wendet er sich seiner Zeitschrift zu. Was erwartet mich? Intensive psychologische Tests? Militärisch präzise Organisation? Ein deutsches Amt wie aus dem Bilderbuch? Ich habe keine Ahnung.

Kurze Anmeldung im Büro. "Bitte nehmen Sie doch im Wartezimmer Platz". Auf den Tischen im Wartezimmer liegen statt Bunte oder Stern "Y. – Das Magazin der Bundeswehr" und "loyal – Das deutsche Wehrmagazin". Ich blättere zwischen Artikeln über Stealth-Technologie und die Ausbildung des Kommandos Spezialkräfte, warte. Eine Stunde vergeht. Hätte ja gar nicht so früh aufstehen brauchen, denke ich mir.

Dann aber geht es los. Eine junge blonde Frau bringt mich in ein karges Büro. Voraussichtlicher Schulabschluss? Leistungskurse? Zahl der Stunden, die ich pro Woche Sport treibe? Bei der Frage nach dem Familienstand (ledig) und Kindern (keine), merke ich kurz an, dass ich 19jähriger Schüler bin, es folgen trotzdem Fragen nach Funkpatent, Kapitänspatent, Segelschein und Kfz-Mechanik-Kenntnissen. "Bei diesen Fragen sagen alle immer nein", erklärt mein Gegenüber freundlich, "aber wir müssen sie stellen." Ach so. Immerhin bekomme ich einen Ausdruck mit meinen Angaben in die Hand gedrückt, den ich beim nächsten Gespräch vorzeigen kann.

Ich darf das Wartezimmer wechseln, auf der Zwischentür auf dem Weg dorthin steht "Psychologischer Dienst". In dieser Abteilung sind alle Türen offen. Man hört im Wartezimmer jedes Gespräch. Auch, wie sich ein Uwe (Name geändert) und seine Kollegin über den Flur ein Gespräch zubrüllen. Das klingt so:

Uwe: Bei mir ist alles blau!
Kollegin (zwei Büros weiter) : Du musst oben anrufen!
Uwe: Ich fahre noch mal runter und noch mal rauf!
Kollegin: Uwe?! Nein! Jetzt ist hier die fünf angenommen! Uwe, du hast die fünf angenommen! Uwe: Bei mir ist alles blau, ich kann gar nichts angenommen haben!
Kollegin: Es steht hier aber, dass du die fünf angenommen hast!
Uwe: Ich fahre noch mal runter und wieder rauf.

Ich werde zu Uwe gerufen, obwohl ich nicht die fünf bin. Bei Uwe ist aber auch nichts blau, das Büro ist grau, vielleicht war es mal weiß. Uwes Haare und sein Schnurrbart sind auch grau, sie waren wohl mal schwarz. Auf dem Schreibtisch steht eine Dose, drinnen am Rand kleben Zitronendrops. Uwe hat ein Schild geschrieben und es auf die Dose geklebt, "Selbstbedienung" steht da drauf. Mir ist nicht nach Drops. Uwe fragt mich nach meinem voraussichtlichen Schulabschluss, Familienstand und Kfz-Kenntnissen. Ich wedele mit meinem Ausdruck, das habe ich schließlich alles schon mal gesagt. "Ja, ja", nickt Uwe, "das müssen wir aber hier noch mal ins System eingeben". Ach so. Ich füge mich ins System, ich will schließlich nach Hause, fast zwei Stunden bin ich jetzt hier. Also: ledig, keine Kinder, Abschluss 2006, kein Kapitänspatent.

"Es folgt nun ein Test nach dem Mehrfachauswahlverfahren, besser bekannt als Multiple Choice." Uwe sagt das, als ob der Satz aus einer Dienstvorschrift stammt. Er sagt ihn jeden Tag immer wieder genau gleich, zumindest klingt es so. Ich denke, ich spreche mit einem Computer. Viele Sätze hier klingen so.

Weiterlesen im 2. Teil »


 
 



 

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